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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Leidenschaft, und Ehe porträtirt werden. Selbst bei Charakteren, deren Haupt¬
thätigkeit der Geschichte angehört, suchen wir mit Vorliebe die zartesten Beziehun¬
gen ihres Privatlebens auf, und erfreuen uns über nichts so sehr, als über das
Schöne und Herzliche, das in ihnen zu Tage kommt. Noch größer wird der
Reiz, den diese Einblicke in eine fremde Menschenseele auf uns ausüben, wenn
Liebe und Leidenschaft, Ehe und Hausstand nicht nur durch die' Persönlich¬
keiten der geschilderten Menschen, sondern auch durch die Eigenthümlichkeiten
einer Zeit charakterisirt werden, welche uns so fern ist, daß wir daS ihr eigne
Fremdartige mit Erstaunen wahrnehmen und doch noch so verständlich, daß wir
das ewig Menschliche darin mit Behagen erkennen. Gern halten wir uns dann
an die Züge, welche unserm eignen Empfinden am meisten entsprechen, und uns
die Gestalten der Vergangenheit lieb machen. Aber wer die Vergangenheit mit
Nutzen betrachten will, soll sich deshalb nicht fern halten, was in ihr dem
modernen Empfinden widerspricht. Zwar ist in deutscher Liebe und Ehe seit
uralter Zeit der Schlag! desselben Herzens herauszuerkennen, aber es gibt
doch keine Periode unserer Vergangenheit, in welcher nicht grade an den hol¬
desten Aeußerungen deS gemüthlichen Lebens auch Vergängliches haftet, das
unser Gefühl verstimmt, ja vielleicht empört. Eine gute alte Zeit, in welcher
Liebe und Ehe vorzugsweise hoch, edel und schön aufgefaßt wurden, hat eS
in Deutschland für den, welcher die Vergangenheit genau ansieht, nie gegeben.
Immer haben gute Menschen sich glücklich gefühlt, und immer haben Verkehrt¬
heiten der Bildung und des Charakters unglücklich gemacht, aber im Ganzen
betrachtet ist Inhalt und Form auch dieser Verhältnisse des Lebens in der Gegenwart
doch besser, edler, schöner geworden, als sie in irgend einer Vergangenheit waren.

Schon ein Mal sind in d. Bl. Mittheilungen aus Selbstbiographien ge¬
macht worden, welche Liebe und Brautstand des Ib. Jahrhunderts schilderten,
des Jahrhunderts, in welchem die neue Zeit des deutschen Lebens beginnt.
Hier soll eine ähnliche Schilderung folgen, in welcher die Liebe und ein junger
Hausstand in knappen bürgerlichen Verhältnissen sichtbar werden, die einfache
und treuherzige Erzählung deS baseler Arztes Felir Plater, dessen Selbst¬
biographie schon bei frühern Bildern erwähnt und benutzt wurde. Wäre hier
die Absicht, wirklich Geschehenes zu einer kleinen Novelle abzurunden, so hätte
nach dem Brauch der Dichter der Bericht über eine Liebeswerbung mit der
Hochzeit abgeschlossen werden müssen; aber grade was darauf folgt, ist vorzugs¬
weise geeignet, die bürgerlichen Verhältnisse deS 16. Jahrhunderts deutlich
zu machen.

Felir Plater ^336--1614) wurde zu Basel, als Sohn deS Bürgers,
Buchdruckers, Schullehrers und Hausbesitzers Thomas Plater, geboren. Sein
Vater war aus der größten Armuth durch unermüdliche Thätigkeit herauf¬
gekommen, und hatte bei der rastlosen Erweiterung seiner Geschäfte bis in


Leidenschaft, und Ehe porträtirt werden. Selbst bei Charakteren, deren Haupt¬
thätigkeit der Geschichte angehört, suchen wir mit Vorliebe die zartesten Beziehun¬
gen ihres Privatlebens auf, und erfreuen uns über nichts so sehr, als über das
Schöne und Herzliche, das in ihnen zu Tage kommt. Noch größer wird der
Reiz, den diese Einblicke in eine fremde Menschenseele auf uns ausüben, wenn
Liebe und Leidenschaft, Ehe und Hausstand nicht nur durch die' Persönlich¬
keiten der geschilderten Menschen, sondern auch durch die Eigenthümlichkeiten
einer Zeit charakterisirt werden, welche uns so fern ist, daß wir daS ihr eigne
Fremdartige mit Erstaunen wahrnehmen und doch noch so verständlich, daß wir
das ewig Menschliche darin mit Behagen erkennen. Gern halten wir uns dann
an die Züge, welche unserm eignen Empfinden am meisten entsprechen, und uns
die Gestalten der Vergangenheit lieb machen. Aber wer die Vergangenheit mit
Nutzen betrachten will, soll sich deshalb nicht fern halten, was in ihr dem
modernen Empfinden widerspricht. Zwar ist in deutscher Liebe und Ehe seit
uralter Zeit der Schlag! desselben Herzens herauszuerkennen, aber es gibt
doch keine Periode unserer Vergangenheit, in welcher nicht grade an den hol¬
desten Aeußerungen deS gemüthlichen Lebens auch Vergängliches haftet, das
unser Gefühl verstimmt, ja vielleicht empört. Eine gute alte Zeit, in welcher
Liebe und Ehe vorzugsweise hoch, edel und schön aufgefaßt wurden, hat eS
in Deutschland für den, welcher die Vergangenheit genau ansieht, nie gegeben.
Immer haben gute Menschen sich glücklich gefühlt, und immer haben Verkehrt¬
heiten der Bildung und des Charakters unglücklich gemacht, aber im Ganzen
betrachtet ist Inhalt und Form auch dieser Verhältnisse des Lebens in der Gegenwart
doch besser, edler, schöner geworden, als sie in irgend einer Vergangenheit waren.

Schon ein Mal sind in d. Bl. Mittheilungen aus Selbstbiographien ge¬
macht worden, welche Liebe und Brautstand des Ib. Jahrhunderts schilderten,
des Jahrhunderts, in welchem die neue Zeit des deutschen Lebens beginnt.
Hier soll eine ähnliche Schilderung folgen, in welcher die Liebe und ein junger
Hausstand in knappen bürgerlichen Verhältnissen sichtbar werden, die einfache
und treuherzige Erzählung deS baseler Arztes Felir Plater, dessen Selbst¬
biographie schon bei frühern Bildern erwähnt und benutzt wurde. Wäre hier
die Absicht, wirklich Geschehenes zu einer kleinen Novelle abzurunden, so hätte
nach dem Brauch der Dichter der Bericht über eine Liebeswerbung mit der
Hochzeit abgeschlossen werden müssen; aber grade was darauf folgt, ist vorzugs¬
weise geeignet, die bürgerlichen Verhältnisse deS 16. Jahrhunderts deutlich
zu machen.

Felir Plater ^336—1614) wurde zu Basel, als Sohn deS Bürgers,
Buchdruckers, Schullehrers und Hausbesitzers Thomas Plater, geboren. Sein
Vater war aus der größten Armuth durch unermüdliche Thätigkeit herauf¬
gekommen, und hatte bei der rastlosen Erweiterung seiner Geschäfte bis in


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[0237] Leidenschaft, und Ehe porträtirt werden. Selbst bei Charakteren, deren Haupt¬ thätigkeit der Geschichte angehört, suchen wir mit Vorliebe die zartesten Beziehun¬ gen ihres Privatlebens auf, und erfreuen uns über nichts so sehr, als über das Schöne und Herzliche, das in ihnen zu Tage kommt. Noch größer wird der Reiz, den diese Einblicke in eine fremde Menschenseele auf uns ausüben, wenn Liebe und Leidenschaft, Ehe und Hausstand nicht nur durch die' Persönlich¬ keiten der geschilderten Menschen, sondern auch durch die Eigenthümlichkeiten einer Zeit charakterisirt werden, welche uns so fern ist, daß wir daS ihr eigne Fremdartige mit Erstaunen wahrnehmen und doch noch so verständlich, daß wir das ewig Menschliche darin mit Behagen erkennen. Gern halten wir uns dann an die Züge, welche unserm eignen Empfinden am meisten entsprechen, und uns die Gestalten der Vergangenheit lieb machen. Aber wer die Vergangenheit mit Nutzen betrachten will, soll sich deshalb nicht fern halten, was in ihr dem modernen Empfinden widerspricht. Zwar ist in deutscher Liebe und Ehe seit uralter Zeit der Schlag! desselben Herzens herauszuerkennen, aber es gibt doch keine Periode unserer Vergangenheit, in welcher nicht grade an den hol¬ desten Aeußerungen deS gemüthlichen Lebens auch Vergängliches haftet, das unser Gefühl verstimmt, ja vielleicht empört. Eine gute alte Zeit, in welcher Liebe und Ehe vorzugsweise hoch, edel und schön aufgefaßt wurden, hat eS in Deutschland für den, welcher die Vergangenheit genau ansieht, nie gegeben. Immer haben gute Menschen sich glücklich gefühlt, und immer haben Verkehrt¬ heiten der Bildung und des Charakters unglücklich gemacht, aber im Ganzen betrachtet ist Inhalt und Form auch dieser Verhältnisse des Lebens in der Gegenwart doch besser, edler, schöner geworden, als sie in irgend einer Vergangenheit waren. Schon ein Mal sind in d. Bl. Mittheilungen aus Selbstbiographien ge¬ macht worden, welche Liebe und Brautstand des Ib. Jahrhunderts schilderten, des Jahrhunderts, in welchem die neue Zeit des deutschen Lebens beginnt. Hier soll eine ähnliche Schilderung folgen, in welcher die Liebe und ein junger Hausstand in knappen bürgerlichen Verhältnissen sichtbar werden, die einfache und treuherzige Erzählung deS baseler Arztes Felir Plater, dessen Selbst¬ biographie schon bei frühern Bildern erwähnt und benutzt wurde. Wäre hier die Absicht, wirklich Geschehenes zu einer kleinen Novelle abzurunden, so hätte nach dem Brauch der Dichter der Bericht über eine Liebeswerbung mit der Hochzeit abgeschlossen werden müssen; aber grade was darauf folgt, ist vorzugs¬ weise geeignet, die bürgerlichen Verhältnisse deS 16. Jahrhunderts deutlich zu machen. Felir Plater ^336—1614) wurde zu Basel, als Sohn deS Bürgers, Buchdruckers, Schullehrers und Hausbesitzers Thomas Plater, geboren. Sein Vater war aus der größten Armuth durch unermüdliche Thätigkeit herauf¬ gekommen, und hatte bei der rastlosen Erweiterung seiner Geschäfte bis in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/237>, abgerufen am 22.07.2024.