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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Diese drei Richtungen stimmen nicht immer überein, und es kann nicht fehlen,
daß ein Politiker, der alle drei gleichmäßig zu vertreten sucht, zuweilen mit
sich selbst in Widerspruch geräth. Aber davon abgesehen, hat Thiers jene drei
Grundsätze beständig festgehalten. Das Julikönigthum war in der üblen Lage,
sich auf denjenigen Theil des Bürgerstandes zu stützen, den man gewöhnlich
mit diesem Ausdruck bezeichnet, auf den materiellen Besitz, der ebensowenig
von den spiritualistischen Anforderungen der Kirche, als von den unruhigen
Bewegungen der Masse und des Krieges angefochten sein will. Wenn man
diesem Bürgerthum eine chevalereske Richtung geben will, so wird man leicht
ins Lächerliche verfallen, und das ist Thiers in der That mehre Male wider¬
fahren. Das kriegerische Ansehn, das er sich dem vereinigten Europa gegen¬
über 1840 geben wollte, stand ihm schlecht und imponirte niemand, und als
er 1848 die Wahl zwischen dem Schrecklichen und dem Lächerlichen treffen
sollte, bemerkte er ebenso witzig als treffend: bon vitoz'en prelers le
riäiouw. Die chevalereske Haltung der Neformbanketö übernahmen die Socia¬
listen, die chevalereske Haltung von 1840 der jüngere Napoleon. Beide wur¬
den nicht lächerlich, weil sie sich.auf ganz andere Slaatskräfte stützten.

Wenn sich Louis Philipp mit der Idee des bürgerlichen Königthums
seiner Natur und seinen Zwecken nach so identificirt hatte, daß man mit sei¬
ner Persönlichkeit die ganze Idee charakterisirt, so stellt Thiers den innern
Widerspruch dieser Idee dar, denn er wollte auf der einen Seite in der That
schlicht bürgerlich das Staatswesen leiten, auf der andern den napoleonischen
Geist fortpflanzen, und wenn er seinen Helden vorwarf, inS Uebermaß ge¬
rathen zu sein, so hielt er es doch für nöthig, Europa von Zeit zu Zeit in
Erinnerung zu bringen, daß Frankreich eigentlich die erste Rolle spiele. Gui-
zot, der im Grunde dieselbe Ansicht hegt, beruhigte sich mit seinem guten Be¬
wußtsein und hielt es nicht für nöthig, dieser Theorie einen praktischen Aus-,
druck zu geben. Thiers, der praktische Mann, sah vor allen Dingen auf den
Erfolg, und dabei widerfuhr es ihm freilich, daß er seine Mittel nicht richtig
..berechnete. --

Das Ministerium von 1836 fiel bald, und nach einer längern Reise nach
Italien trat Thiers an die Spitze der Opposition, bis ihm am 1. März 1840
wieder die Leitung des Ministeriums übertragen wurde. Die Verwirrungen
in der orientalischen Frage, die er nicht zu lösen verstand, veranlaßten am
21. October seinen Sturz, und er bemühte sich nun, die Opposition zu einer
gouvernementalen Partei zu ordnen, mit deren Hilfe er den verlorenen Posten
wieder erstürmen könne. Es gelang ihm nicht ganz, denn sein Ehrgeiz fand in der
liberalen Partei zu viel Concurrenten, und er trug durch seine heftigen Angriffe
gegen die Maßregeln des Ministeriums Guizot wider seinen Willen sehr viel dazu
bei, die Ereignisse von 1848 vorzubereiten. Darauf verlor er sich im ersten Augen-


Diese drei Richtungen stimmen nicht immer überein, und es kann nicht fehlen,
daß ein Politiker, der alle drei gleichmäßig zu vertreten sucht, zuweilen mit
sich selbst in Widerspruch geräth. Aber davon abgesehen, hat Thiers jene drei
Grundsätze beständig festgehalten. Das Julikönigthum war in der üblen Lage,
sich auf denjenigen Theil des Bürgerstandes zu stützen, den man gewöhnlich
mit diesem Ausdruck bezeichnet, auf den materiellen Besitz, der ebensowenig
von den spiritualistischen Anforderungen der Kirche, als von den unruhigen
Bewegungen der Masse und des Krieges angefochten sein will. Wenn man
diesem Bürgerthum eine chevalereske Richtung geben will, so wird man leicht
ins Lächerliche verfallen, und das ist Thiers in der That mehre Male wider¬
fahren. Das kriegerische Ansehn, das er sich dem vereinigten Europa gegen¬
über 1840 geben wollte, stand ihm schlecht und imponirte niemand, und als
er 1848 die Wahl zwischen dem Schrecklichen und dem Lächerlichen treffen
sollte, bemerkte er ebenso witzig als treffend: bon vitoz'en prelers le
riäiouw. Die chevalereske Haltung der Neformbanketö übernahmen die Socia¬
listen, die chevalereske Haltung von 1840 der jüngere Napoleon. Beide wur¬
den nicht lächerlich, weil sie sich.auf ganz andere Slaatskräfte stützten.

Wenn sich Louis Philipp mit der Idee des bürgerlichen Königthums
seiner Natur und seinen Zwecken nach so identificirt hatte, daß man mit sei¬
ner Persönlichkeit die ganze Idee charakterisirt, so stellt Thiers den innern
Widerspruch dieser Idee dar, denn er wollte auf der einen Seite in der That
schlicht bürgerlich das Staatswesen leiten, auf der andern den napoleonischen
Geist fortpflanzen, und wenn er seinen Helden vorwarf, inS Uebermaß ge¬
rathen zu sein, so hielt er es doch für nöthig, Europa von Zeit zu Zeit in
Erinnerung zu bringen, daß Frankreich eigentlich die erste Rolle spiele. Gui-
zot, der im Grunde dieselbe Ansicht hegt, beruhigte sich mit seinem guten Be¬
wußtsein und hielt es nicht für nöthig, dieser Theorie einen praktischen Aus-,
druck zu geben. Thiers, der praktische Mann, sah vor allen Dingen auf den
Erfolg, und dabei widerfuhr es ihm freilich, daß er seine Mittel nicht richtig
..berechnete. —

Das Ministerium von 1836 fiel bald, und nach einer längern Reise nach
Italien trat Thiers an die Spitze der Opposition, bis ihm am 1. März 1840
wieder die Leitung des Ministeriums übertragen wurde. Die Verwirrungen
in der orientalischen Frage, die er nicht zu lösen verstand, veranlaßten am
21. October seinen Sturz, und er bemühte sich nun, die Opposition zu einer
gouvernementalen Partei zu ordnen, mit deren Hilfe er den verlorenen Posten
wieder erstürmen könne. Es gelang ihm nicht ganz, denn sein Ehrgeiz fand in der
liberalen Partei zu viel Concurrenten, und er trug durch seine heftigen Angriffe
gegen die Maßregeln des Ministeriums Guizot wider seinen Willen sehr viel dazu
bei, die Ereignisse von 1848 vorzubereiten. Darauf verlor er sich im ersten Augen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/223>, abgerufen am 22.12.2024.