Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.arbeiten. Auch dies Buch ist sauber und correct gearbeitet, eS verräch einen Während sich Mignet immer mehr in die stillen Arbeiten der eigentlichen arbeiten. Auch dies Buch ist sauber und correct gearbeitet, eS verräch einen Während sich Mignet immer mehr in die stillen Arbeiten der eigentlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103355"/> <p xml:id="ID_761" prev="#ID_760"> arbeiten. Auch dies Buch ist sauber und correct gearbeitet, eS verräch einen<lb/> klaren Verstand und eine sichere Methode in der Benutzung der Quellen;<lb/> aber die Form ist trocken, und wenn auch die Ereignisse bestimmter hervor¬<lb/> treten, als bei Robertson, so ist dagegen die Färbung -bei dem schottischen<lb/> Geschichtschreiber viel interessanter, man steht daS Zeitalter deutlicher vor<lb/> Augen, und die neuen Entdeckungen berührten im Grund das Wesen der<lb/> Thatsachen wenig. So lobenswerth in all diesen Schriften die Arbeit ist,<lb/> (auch die Geschichte Franklins ist zu erwähnen), so empfängt man doch durch¬<lb/> weg den Eindruck einer Natur zweiten Ranges. Mignets literaturhistorische<lb/> Bedeutung knüpft sich ausschließlich an sein erstes Jugendwerk, wobei es ihm<lb/> aber immer zur Ehre angerechnet werden muß, daß er viel tiefer als seine<lb/> encyklopädistischen Parteigenossen die Bedeutung der deutschen Reformation<lb/> für die Entwicklung der Menschheit würdigte.</p><lb/> <p xml:id="ID_762" next="#ID_763"> Während sich Mignet immer mehr in die stillen Arbeiten der eigentlichen<lb/> Gelehrsamkeit zurückzog, drängte sich Thiers geschäftig auf den Markt des<lb/> Lebens. Auch hier mußte er zuerst seine Schule durchmachen. Im Anfang<lb/> bemühte er sich, philosophisch, gelehrt, bedeutend zu sprechen. Er machte kei¬<lb/> nen Eindruck, bis er plötzlich die steife Maske abwarf und auch als Redner<lb/> jenes Talent der liebenswürdigen Plauderei entwickelte, das auch da fesselt,<lb/> wo man nicht überzeugt wird. Erst allmälig lernte er die Kunst, nur das zu<lb/> sagen, waS zu dem beabsichtigten Eindruck erforderlich ist. Einzelne seiner<lb/> Bonmots, z. B. I« roi rexne, it us ^onverne pas, blieben die Stichwörter<lb/> des Liberalismus, auch nachdem' dieser seinen frühern Führer als Verräther<lb/> verwarf, und es waren in der That Gründe vorhanden, die alten Freunde zu<lb/> erbittern. Gleich nach der Revolution ins Ministerium aufgenommen, behielt<lb/> er seine Stelle auch unter Pvrier, wurde 1832 Staatsminister, 1836 Minister¬<lb/> präsident und verfehlte nicht, die Auswüchse der Freiheit, die er früher gepre¬<lb/> digt, durch Preßgesetze und militärische Zwangsmittel zu beschränken. In<lb/> Frankreich nimmt man es aber mit diesen Widersprüchen nicht so genau. Jeder¬<lb/> mann weiß, daß die Parteien, die außerhalb der Macht stehen, immer mehr<lb/> fordern, als sie zu gewähren denken, wenn sie die Macht erlangt haben, und<lb/> an diesem Parteimanöver nimmt im Grunde niemand Anstoß. Sodann war<lb/> es nicht die abstracte Freiheit, was Thiers in seiner liberalen Periode ver¬<lb/> focht, sondern die innere und äußere Staatsverwaltung nach den Grundsätzen<lb/> der ersten französischen Revolution. Es geht mit der Berufung auf 1789, wie<lb/> mit allen historischen Reminiscenzen. Die Thatsachen sind geduldig, und es<lb/> läßt sich bei gutem Willen sehr Verschiedenartiges hineinlegen. In der Re¬<lb/> volution von 1789 lag dreierlei: die Erhebung des Bürgerstandes gegen den<lb/> Hof, den Adel und die Kirche, die straffe administrative Centralisation des<lb/> Landes und das stolze, womöglich erobernde Auftreten gegen das Ausland.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0222]
arbeiten. Auch dies Buch ist sauber und correct gearbeitet, eS verräch einen
klaren Verstand und eine sichere Methode in der Benutzung der Quellen;
aber die Form ist trocken, und wenn auch die Ereignisse bestimmter hervor¬
treten, als bei Robertson, so ist dagegen die Färbung -bei dem schottischen
Geschichtschreiber viel interessanter, man steht daS Zeitalter deutlicher vor
Augen, und die neuen Entdeckungen berührten im Grund das Wesen der
Thatsachen wenig. So lobenswerth in all diesen Schriften die Arbeit ist,
(auch die Geschichte Franklins ist zu erwähnen), so empfängt man doch durch¬
weg den Eindruck einer Natur zweiten Ranges. Mignets literaturhistorische
Bedeutung knüpft sich ausschließlich an sein erstes Jugendwerk, wobei es ihm
aber immer zur Ehre angerechnet werden muß, daß er viel tiefer als seine
encyklopädistischen Parteigenossen die Bedeutung der deutschen Reformation
für die Entwicklung der Menschheit würdigte.
Während sich Mignet immer mehr in die stillen Arbeiten der eigentlichen
Gelehrsamkeit zurückzog, drängte sich Thiers geschäftig auf den Markt des
Lebens. Auch hier mußte er zuerst seine Schule durchmachen. Im Anfang
bemühte er sich, philosophisch, gelehrt, bedeutend zu sprechen. Er machte kei¬
nen Eindruck, bis er plötzlich die steife Maske abwarf und auch als Redner
jenes Talent der liebenswürdigen Plauderei entwickelte, das auch da fesselt,
wo man nicht überzeugt wird. Erst allmälig lernte er die Kunst, nur das zu
sagen, waS zu dem beabsichtigten Eindruck erforderlich ist. Einzelne seiner
Bonmots, z. B. I« roi rexne, it us ^onverne pas, blieben die Stichwörter
des Liberalismus, auch nachdem' dieser seinen frühern Führer als Verräther
verwarf, und es waren in der That Gründe vorhanden, die alten Freunde zu
erbittern. Gleich nach der Revolution ins Ministerium aufgenommen, behielt
er seine Stelle auch unter Pvrier, wurde 1832 Staatsminister, 1836 Minister¬
präsident und verfehlte nicht, die Auswüchse der Freiheit, die er früher gepre¬
digt, durch Preßgesetze und militärische Zwangsmittel zu beschränken. In
Frankreich nimmt man es aber mit diesen Widersprüchen nicht so genau. Jeder¬
mann weiß, daß die Parteien, die außerhalb der Macht stehen, immer mehr
fordern, als sie zu gewähren denken, wenn sie die Macht erlangt haben, und
an diesem Parteimanöver nimmt im Grunde niemand Anstoß. Sodann war
es nicht die abstracte Freiheit, was Thiers in seiner liberalen Periode ver¬
focht, sondern die innere und äußere Staatsverwaltung nach den Grundsätzen
der ersten französischen Revolution. Es geht mit der Berufung auf 1789, wie
mit allen historischen Reminiscenzen. Die Thatsachen sind geduldig, und es
läßt sich bei gutem Willen sehr Verschiedenartiges hineinlegen. In der Re¬
volution von 1789 lag dreierlei: die Erhebung des Bürgerstandes gegen den
Hof, den Adel und die Kirche, die straffe administrative Centralisation des
Landes und das stolze, womöglich erobernde Auftreten gegen das Ausland.
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