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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Und noch einigen andern minder bedeutenden Gelegenheiten. Der Art. 98
bezeichnet den Charakter der ausgleichenden Gewalt näher. "Sie ist, sagt er,
der Schlußstein der gesammten politischen Organisation und gehört ausschlie߬
lich dem Kaiser als oberstem Haupte der Nation und ihrem ersten Vertreter,
damit er unablässig über die Unabhängigkeit, das Gleichgewicht und das In¬
einandergreifen der andern Gewalten wache." -- Außerdem hat der Kaiser,
obwol des Beirathes der Minister bei Ausübung dieser Befugnisse entbunden,
doch dafür einen wirksamen Beistand in dem Staatsrathe, der aus den her¬
vorragendsten Männern des Landes zusammengesetzt ist, er muß jedesmal vom
Kaiser gehört werden, wenn derselbe seine ausgleichende Gewalt üben will,
aber auch sonst in allen wichtigen Angelegenheiten, seine Mitglieder sind wie
die Minister verantwortlich.

Die nanonale Souveränetät ist die Grundlage der brasilianischen Insti¬
tutionen, auf ihr ruht auch die gesetzgebende Gewalt. Die Vertreter der
Nation sind der Kaiser und die Reichsversammlung sagt Art. 12; von gött¬
lichem Rechte ist nicht die Rede. Die Versammlung besteht aus ^dem Senate
und der Abgeordnetenkammer. Beide beruhen auf Wahl, nur wählt man zur
letztern die Abgeordneten selbst nach Districten, für den Senat aber nur je drei
Kandidaten für einen erledigten Sitz, aus denen der Kaiser einen ernennt.
Die Senatoren müssen 6 0 Jahre alt sein und ein Einkommen von 2400 Fras.
nachweisen, sie sind auf Lebenszeit ernannt. Die Abgeordneten können mit
25 Jahren gewählt werden und brauchen nur 1200 Fras. Einkommen nach-,
zuweisen, sie werden für die Dauer der Legislaturperiode, i- Jahre, ernannt.
Bedauerlich ist eS, baß keine naturalisirten Fremden und keine Akatholiken ge¬
wählt werden dürfen. Abgeordnete und Senatoren empfangen Diäten und
Reisegelder. Das Recht der Initiative steht dem Staatsoberhaupt sowol
als beiden Kammern zu, in Steuersachen und für etwaige Wahl einer neuen
Dynastie bei Erlöschen der regierenden haben die Abgeordneten allein die
Initiative; vor diese Kammer müssen auch zuerst die Vorlagen der ausüben¬
den Gewalt gebracht werden, sie allein entscheidet endlich, ob Grund zu einer
Anklage gegen die Minister oder Staatsräthe vorliegt. Ausschließliches Recht
des Senates ist es dagegen, über individuelle Vergehen der Mitglieder der
kaiserlichen Familie, der Minister, Staatsräthe, Senatoren und der activen
Abgeordneten zu erkennen, sowie die Berusungsschreiben für die Volksvertre¬
tung auszusenden, wenn der Kaiser es binnen zwei Monaten nach dem ver¬
fassungsmäßig festgesetzten Termin (3. Mai) nicht gethan hat. Die Geschäfts¬
ordnung beider Kammern ist von strenger Etikette, wie im englischen Parla¬
mente werden die Reden an den Sprecher gerichtet. Wenn beide Kammern
sich nicht einigen können, so treten sie zu einer Versammlung zusammen, welche
nach Stimmenmehrheit entscheidet. Kann sich die Reichsversammlung mit der


Und noch einigen andern minder bedeutenden Gelegenheiten. Der Art. 98
bezeichnet den Charakter der ausgleichenden Gewalt näher. „Sie ist, sagt er,
der Schlußstein der gesammten politischen Organisation und gehört ausschlie߬
lich dem Kaiser als oberstem Haupte der Nation und ihrem ersten Vertreter,
damit er unablässig über die Unabhängigkeit, das Gleichgewicht und das In¬
einandergreifen der andern Gewalten wache." — Außerdem hat der Kaiser,
obwol des Beirathes der Minister bei Ausübung dieser Befugnisse entbunden,
doch dafür einen wirksamen Beistand in dem Staatsrathe, der aus den her¬
vorragendsten Männern des Landes zusammengesetzt ist, er muß jedesmal vom
Kaiser gehört werden, wenn derselbe seine ausgleichende Gewalt üben will,
aber auch sonst in allen wichtigen Angelegenheiten, seine Mitglieder sind wie
die Minister verantwortlich.

Die nanonale Souveränetät ist die Grundlage der brasilianischen Insti¬
tutionen, auf ihr ruht auch die gesetzgebende Gewalt. Die Vertreter der
Nation sind der Kaiser und die Reichsversammlung sagt Art. 12; von gött¬
lichem Rechte ist nicht die Rede. Die Versammlung besteht aus ^dem Senate
und der Abgeordnetenkammer. Beide beruhen auf Wahl, nur wählt man zur
letztern die Abgeordneten selbst nach Districten, für den Senat aber nur je drei
Kandidaten für einen erledigten Sitz, aus denen der Kaiser einen ernennt.
Die Senatoren müssen 6 0 Jahre alt sein und ein Einkommen von 2400 Fras.
nachweisen, sie sind auf Lebenszeit ernannt. Die Abgeordneten können mit
25 Jahren gewählt werden und brauchen nur 1200 Fras. Einkommen nach-,
zuweisen, sie werden für die Dauer der Legislaturperiode, i- Jahre, ernannt.
Bedauerlich ist eS, baß keine naturalisirten Fremden und keine Akatholiken ge¬
wählt werden dürfen. Abgeordnete und Senatoren empfangen Diäten und
Reisegelder. Das Recht der Initiative steht dem Staatsoberhaupt sowol
als beiden Kammern zu, in Steuersachen und für etwaige Wahl einer neuen
Dynastie bei Erlöschen der regierenden haben die Abgeordneten allein die
Initiative; vor diese Kammer müssen auch zuerst die Vorlagen der ausüben¬
den Gewalt gebracht werden, sie allein entscheidet endlich, ob Grund zu einer
Anklage gegen die Minister oder Staatsräthe vorliegt. Ausschließliches Recht
des Senates ist es dagegen, über individuelle Vergehen der Mitglieder der
kaiserlichen Familie, der Minister, Staatsräthe, Senatoren und der activen
Abgeordneten zu erkennen, sowie die Berusungsschreiben für die Volksvertre¬
tung auszusenden, wenn der Kaiser es binnen zwei Monaten nach dem ver¬
fassungsmäßig festgesetzten Termin (3. Mai) nicht gethan hat. Die Geschäfts¬
ordnung beider Kammern ist von strenger Etikette, wie im englischen Parla¬
mente werden die Reden an den Sprecher gerichtet. Wenn beide Kammern
sich nicht einigen können, so treten sie zu einer Versammlung zusammen, welche
nach Stimmenmehrheit entscheidet. Kann sich die Reichsversammlung mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/18>, abgerufen am 22.07.2024.