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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Münze, das Arsenal, die Militärakademie, viele Kirchen, Hospitäler und vier
Klöster. Bahia liegt an der Ostseite der Allerheiligenbucht, es hat 120,000
Einwohner und ist die zweite Handelsstadt Brasiliens. Pernambuco (62,000
Einw.), liegt an der Mündung deS Capibaribe, hat einen trefflichen Hafen
und lebhaften Handel. Die minderbedeutenden Stapelplätze sind zahlreich,
alle liegen an der'atlantischen Straße, die nach Indien, Australien und West¬
amerika führt, und geben die tropischen Producte den Schissen Europas, welche
ihnen unsre Jndustri.eerzeugnisse bringen.

Sehen wir jetzt, welche Institutionen sich auf diesem Grunde erhoben
haben. Es ward erwähnt, daß Dom Pedro I. Brasilien eine Verfassung ver¬
liehen, die mit nur geringen Abänderungen noch in Kraft besteht und der
größten Popularität genießt. Das bedeutsamste Merkmal einer guten Ver¬
fassung ist ihre Lebensfähigkeit, constitutionelle Gebäude, an denen die geschick¬
testen Theoretiker allen Fleiß verschwendeten, sind über Nacht zusammengestürzt,
andre, denen scheinbare Ungeheuerlichkeiten und Widersprüche anhaften, be¬
stehen und wirken gedeihlich. Das Werk eines Fürsten ist in dieser Beziehung
meist dem der gelehrtesten Theoretiker vorzuziehen, er hat durch seine Stellung
instinctiv einen umfassenden Blick für die allgemeinen Interessen und nothwen¬
digen Garantien, er sieht Thatsachen, wo die Wissenschaft nur Ideen erblickt,
er steht Menschen, wo die Theorie nur Principien kennt. Die brasilianische
Verfassung ist allerdings nicht rein aus dem Kopfe Dom Petros 1. entsprun-
. gen, die geschicktesten und weisesten Räthe seiner Krone haben daran mitgear¬
beitet, aber er war das bestimmende Element bei dieser Arbeit. Sie ward
nicht octroyirt, sondern erst zum Grundgesetz der Monarchie erklärt und be¬
schworen ^82i), als die große Mehrzahl der Municipalitäten sich dafür aus¬
gesprochen hatte, sie ist jetzt nach der englischen und nordamerikanischen Ver¬
fassung die älteste eristirende. Sie besteht aus acht Titeln, welche in 179
Artikel unterabgetheilt sind, und enthält zahlreiche Bestimmungen, die sich in
den meisten parlamentarischen Verfassungen wiederfinden, aber auch solche und
zwar sehr wichtige, die sie von der Mehrzahl ihrer Schwestern unterscheidet.
So kennen unsre europäischen Grundgesetze nur drei Gewalten, die gesetzge¬
bende, die ausführende und die richterliche, Brasilien hat eine vierte, die
ausgleichende Gewalt, (?unter monter-läoi-, das pouvoir mo<Zu'!^cur von Ben¬
jamin Constant), die dem Kaiser zusteht und die er ohne Mitwirkung der
Minister , in folgenden vom Art. 10-1 aufgezählten Umständen übt: Bei der
Ernennung von Senatoren, bei Berufung einer außerordentlichen Sitzung der
Reichsversammlung, bei Sanctionirung von Beschlüssen der letztern, die ihnen
Gesetzeskraft gibt, bei Vertagung oder Auflösung der Versammlung, bei Er¬
nennung und Entlassung der Minister, bei zeitweiser, verfassungsmäßig vor¬
gesehener Enthebung der Magistrate von ihrem Amte, bei Vegnadigungsfällen


Grenzbote". I. 18L7. 2

Münze, das Arsenal, die Militärakademie, viele Kirchen, Hospitäler und vier
Klöster. Bahia liegt an der Ostseite der Allerheiligenbucht, es hat 120,000
Einwohner und ist die zweite Handelsstadt Brasiliens. Pernambuco (62,000
Einw.), liegt an der Mündung deS Capibaribe, hat einen trefflichen Hafen
und lebhaften Handel. Die minderbedeutenden Stapelplätze sind zahlreich,
alle liegen an der'atlantischen Straße, die nach Indien, Australien und West¬
amerika führt, und geben die tropischen Producte den Schissen Europas, welche
ihnen unsre Jndustri.eerzeugnisse bringen.

Sehen wir jetzt, welche Institutionen sich auf diesem Grunde erhoben
haben. Es ward erwähnt, daß Dom Pedro I. Brasilien eine Verfassung ver¬
liehen, die mit nur geringen Abänderungen noch in Kraft besteht und der
größten Popularität genießt. Das bedeutsamste Merkmal einer guten Ver¬
fassung ist ihre Lebensfähigkeit, constitutionelle Gebäude, an denen die geschick¬
testen Theoretiker allen Fleiß verschwendeten, sind über Nacht zusammengestürzt,
andre, denen scheinbare Ungeheuerlichkeiten und Widersprüche anhaften, be¬
stehen und wirken gedeihlich. Das Werk eines Fürsten ist in dieser Beziehung
meist dem der gelehrtesten Theoretiker vorzuziehen, er hat durch seine Stellung
instinctiv einen umfassenden Blick für die allgemeinen Interessen und nothwen¬
digen Garantien, er sieht Thatsachen, wo die Wissenschaft nur Ideen erblickt,
er steht Menschen, wo die Theorie nur Principien kennt. Die brasilianische
Verfassung ist allerdings nicht rein aus dem Kopfe Dom Petros 1. entsprun-
. gen, die geschicktesten und weisesten Räthe seiner Krone haben daran mitgear¬
beitet, aber er war das bestimmende Element bei dieser Arbeit. Sie ward
nicht octroyirt, sondern erst zum Grundgesetz der Monarchie erklärt und be¬
schworen ^82i), als die große Mehrzahl der Municipalitäten sich dafür aus¬
gesprochen hatte, sie ist jetzt nach der englischen und nordamerikanischen Ver¬
fassung die älteste eristirende. Sie besteht aus acht Titeln, welche in 179
Artikel unterabgetheilt sind, und enthält zahlreiche Bestimmungen, die sich in
den meisten parlamentarischen Verfassungen wiederfinden, aber auch solche und
zwar sehr wichtige, die sie von der Mehrzahl ihrer Schwestern unterscheidet.
So kennen unsre europäischen Grundgesetze nur drei Gewalten, die gesetzge¬
bende, die ausführende und die richterliche, Brasilien hat eine vierte, die
ausgleichende Gewalt, (?unter monter-läoi-, das pouvoir mo<Zu'!^cur von Ben¬
jamin Constant), die dem Kaiser zusteht und die er ohne Mitwirkung der
Minister , in folgenden vom Art. 10-1 aufgezählten Umständen übt: Bei der
Ernennung von Senatoren, bei Berufung einer außerordentlichen Sitzung der
Reichsversammlung, bei Sanctionirung von Beschlüssen der letztern, die ihnen
Gesetzeskraft gibt, bei Vertagung oder Auflösung der Versammlung, bei Er¬
nennung und Entlassung der Minister, bei zeitweiser, verfassungsmäßig vor¬
gesehener Enthebung der Magistrate von ihrem Amte, bei Vegnadigungsfällen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/17>, abgerufen am 22.07.2024.