Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in der Absicht, mit einer litercirischen Paradorie Aussehn zu erregen -- zuerst
ausführte, alle Götter und Heroen seien nur ungewöhnliche hochbegabte Men¬
schen gewesen, die nach ihrem Tode göttliche Verehrung erlangt hätten. Kein
Buch ist später den christlichen Apologeten so willkommen gewesen, als die
Uebersetzung, die der alte römische Dichter Ennius, der Freund deS ältern
Scipio von dieser "heiligen Geschichte" des Euemerus veranstaltet hatte; sie fanden
hier den Boden für ihre Bemühungen geebnet und erklärten den bei den
Griechen als Atheisten Verrufener für einen ausgezeichneten Geschichtschreiber.

Grotes Kritik dieser Methode ist meisterhaft. Das Aeußerste, sagt er, waS
wir durch sie erreichen können, ist, daß wir durch Entkleidung der Mythe von
allem Wunderbaren und Uebernatürlichen zu einer Reihe von wirklichen Er¬
eignissen gelangen, die vielleicht wirklich vorgekommen sein mögen, und
gegen die kein innerer Einwand erhoben werden kann. Das ist genau der
Charakter eines gut geschriebenen modernen Romans (z. B. des Robinson),
dessen ganze Erzählung von der Art ist, daß sie sich im wirklichen Leben er¬
eignet haben kann; es ist wahrscheinliche Dichtung und nichts darüber. Die
halbhistorische Theorie bringt es dahin (so hat es Zoega gut ausgedrückt), daß
das Wunder aufhört, Wunder zu sein, ohne deshalb zur historischen Thatsache
zu werden. Denn um dies zu bewirken, ist auch das höchste Maß innerer
Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend, ein äußeres an sich glaubliches Zeugniß
wird dazu erfordert. Ein Mann, der uns sagt, daß an dem Tage der Schlacht
von Platäa auf der Stelle Regen fiel, wo nun die Stadt Neuyork steht,
wird Glauben weder verdienen, noch erhalten, weil er nicht die Mittel gehabt
haben kann, sich von diesem Vorgange in Kenntniß zu setzen, obgleich die
Angabe an und für sich nicht im mindesten unwahrscheinlich ist. Andrerseits
können an sich sehr unwahrscheinliche Angaben durch genügende Zeugnisse als
Wahrheit erwiesen werden; so ist die Durchgrabung des Athos auf Befehl
deS Xerres und die Durchsegelung dieses Kanals durch die persische Flotte an
sich sehr unwahrscheinlich, und deshalb von Juvenal als ein Beispiel grie¬
chischer Lügenhaftigkeit angeführt worden; aber sie ist so gut bezeugt, daß jetzt
niemand an der Wahrheit der Thatsache zweifelt. Der trojanische Krieg,
wenn man alles daraus wegläßt, was Thucydides daraus weggelassen hat,
ist nicht unwahrscheinlicher als die Kreuzzüge; aber für die Wirklichkeit der
Kreuzzüge haben wir genügende Zeugnisse der Zeitgenossen, für die deS troja,
Nischen Krieges kein anderes, als das der Sage. Wenn wir dieser nun für
einen Theil ihres Berichtes die Autorität absprechen, mit welchem Recht legen
wir ihr für einen andern Theil Autorität bei? Man hat den allgemeinen
Glauben der Griechen an diese Und andre Sagen als genügenden Beweis für
das Vorhandensein einer zu Grunde liegenden Thatsache angesehn. Aber der
Volksglaube bedarf zu seiner Entstehung einer solchen keineswegs^und wenn er


in der Absicht, mit einer litercirischen Paradorie Aussehn zu erregen — zuerst
ausführte, alle Götter und Heroen seien nur ungewöhnliche hochbegabte Men¬
schen gewesen, die nach ihrem Tode göttliche Verehrung erlangt hätten. Kein
Buch ist später den christlichen Apologeten so willkommen gewesen, als die
Uebersetzung, die der alte römische Dichter Ennius, der Freund deS ältern
Scipio von dieser „heiligen Geschichte" des Euemerus veranstaltet hatte; sie fanden
hier den Boden für ihre Bemühungen geebnet und erklärten den bei den
Griechen als Atheisten Verrufener für einen ausgezeichneten Geschichtschreiber.

Grotes Kritik dieser Methode ist meisterhaft. Das Aeußerste, sagt er, waS
wir durch sie erreichen können, ist, daß wir durch Entkleidung der Mythe von
allem Wunderbaren und Uebernatürlichen zu einer Reihe von wirklichen Er¬
eignissen gelangen, die vielleicht wirklich vorgekommen sein mögen, und
gegen die kein innerer Einwand erhoben werden kann. Das ist genau der
Charakter eines gut geschriebenen modernen Romans (z. B. des Robinson),
dessen ganze Erzählung von der Art ist, daß sie sich im wirklichen Leben er¬
eignet haben kann; es ist wahrscheinliche Dichtung und nichts darüber. Die
halbhistorische Theorie bringt es dahin (so hat es Zoega gut ausgedrückt), daß
das Wunder aufhört, Wunder zu sein, ohne deshalb zur historischen Thatsache
zu werden. Denn um dies zu bewirken, ist auch das höchste Maß innerer
Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend, ein äußeres an sich glaubliches Zeugniß
wird dazu erfordert. Ein Mann, der uns sagt, daß an dem Tage der Schlacht
von Platäa auf der Stelle Regen fiel, wo nun die Stadt Neuyork steht,
wird Glauben weder verdienen, noch erhalten, weil er nicht die Mittel gehabt
haben kann, sich von diesem Vorgange in Kenntniß zu setzen, obgleich die
Angabe an und für sich nicht im mindesten unwahrscheinlich ist. Andrerseits
können an sich sehr unwahrscheinliche Angaben durch genügende Zeugnisse als
Wahrheit erwiesen werden; so ist die Durchgrabung des Athos auf Befehl
deS Xerres und die Durchsegelung dieses Kanals durch die persische Flotte an
sich sehr unwahrscheinlich, und deshalb von Juvenal als ein Beispiel grie¬
chischer Lügenhaftigkeit angeführt worden; aber sie ist so gut bezeugt, daß jetzt
niemand an der Wahrheit der Thatsache zweifelt. Der trojanische Krieg,
wenn man alles daraus wegläßt, was Thucydides daraus weggelassen hat,
ist nicht unwahrscheinlicher als die Kreuzzüge; aber für die Wirklichkeit der
Kreuzzüge haben wir genügende Zeugnisse der Zeitgenossen, für die deS troja,
Nischen Krieges kein anderes, als das der Sage. Wenn wir dieser nun für
einen Theil ihres Berichtes die Autorität absprechen, mit welchem Recht legen
wir ihr für einen andern Theil Autorität bei? Man hat den allgemeinen
Glauben der Griechen an diese Und andre Sagen als genügenden Beweis für
das Vorhandensein einer zu Grunde liegenden Thatsache angesehn. Aber der
Volksglaube bedarf zu seiner Entstehung einer solchen keineswegs^und wenn er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103306"/>
            <p xml:id="ID_568" prev="#ID_567"> in der Absicht, mit einer litercirischen Paradorie Aussehn zu erregen &#x2014; zuerst<lb/>
ausführte, alle Götter und Heroen seien nur ungewöhnliche hochbegabte Men¬<lb/>
schen gewesen, die nach ihrem Tode göttliche Verehrung erlangt hätten. Kein<lb/>
Buch ist später den christlichen Apologeten so willkommen gewesen, als die<lb/>
Uebersetzung, die der alte römische Dichter Ennius, der Freund deS ältern<lb/>
Scipio von dieser &#x201E;heiligen Geschichte" des Euemerus veranstaltet hatte; sie fanden<lb/>
hier den Boden für ihre Bemühungen geebnet und erklärten den bei den<lb/>
Griechen als Atheisten Verrufener für einen ausgezeichneten Geschichtschreiber.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_569" next="#ID_570"> Grotes Kritik dieser Methode ist meisterhaft. Das Aeußerste, sagt er, waS<lb/>
wir durch sie erreichen können, ist, daß wir durch Entkleidung der Mythe von<lb/>
allem Wunderbaren und Uebernatürlichen zu einer Reihe von wirklichen Er¬<lb/>
eignissen gelangen, die vielleicht wirklich vorgekommen sein mögen, und<lb/>
gegen die kein innerer Einwand erhoben werden kann. Das ist genau der<lb/>
Charakter eines gut geschriebenen modernen Romans (z. B. des Robinson),<lb/>
dessen ganze Erzählung von der Art ist, daß sie sich im wirklichen Leben er¬<lb/>
eignet haben kann; es ist wahrscheinliche Dichtung und nichts darüber. Die<lb/>
halbhistorische Theorie bringt es dahin (so hat es Zoega gut ausgedrückt), daß<lb/>
das Wunder aufhört, Wunder zu sein, ohne deshalb zur historischen Thatsache<lb/>
zu werden. Denn um dies zu bewirken, ist auch das höchste Maß innerer<lb/>
Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend, ein äußeres an sich glaubliches Zeugniß<lb/>
wird dazu erfordert. Ein Mann, der uns sagt, daß an dem Tage der Schlacht<lb/>
von Platäa auf der Stelle Regen fiel, wo nun die Stadt Neuyork steht,<lb/>
wird Glauben weder verdienen, noch erhalten, weil er nicht die Mittel gehabt<lb/>
haben kann, sich von diesem Vorgange in Kenntniß zu setzen, obgleich die<lb/>
Angabe an und für sich nicht im mindesten unwahrscheinlich ist. Andrerseits<lb/>
können an sich sehr unwahrscheinliche Angaben durch genügende Zeugnisse als<lb/>
Wahrheit erwiesen werden; so ist die Durchgrabung des Athos auf Befehl<lb/>
deS Xerres und die Durchsegelung dieses Kanals durch die persische Flotte an<lb/>
sich sehr unwahrscheinlich, und deshalb von Juvenal als ein Beispiel grie¬<lb/>
chischer Lügenhaftigkeit angeführt worden; aber sie ist so gut bezeugt, daß jetzt<lb/>
niemand an der Wahrheit der Thatsache zweifelt. Der trojanische Krieg,<lb/>
wenn man alles daraus wegläßt, was Thucydides daraus weggelassen hat,<lb/>
ist nicht unwahrscheinlicher als die Kreuzzüge; aber für die Wirklichkeit der<lb/>
Kreuzzüge haben wir genügende Zeugnisse der Zeitgenossen, für die deS troja,<lb/>
Nischen Krieges kein anderes, als das der Sage. Wenn wir dieser nun für<lb/>
einen Theil ihres Berichtes die Autorität absprechen, mit welchem Recht legen<lb/>
wir ihr für einen andern Theil Autorität bei? Man hat den allgemeinen<lb/>
Glauben der Griechen an diese Und andre Sagen als genügenden Beweis für<lb/>
das Vorhandensein einer zu Grunde liegenden Thatsache angesehn. Aber der<lb/>
Volksglaube bedarf zu seiner Entstehung einer solchen keineswegs^und wenn er</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0173] in der Absicht, mit einer litercirischen Paradorie Aussehn zu erregen — zuerst ausführte, alle Götter und Heroen seien nur ungewöhnliche hochbegabte Men¬ schen gewesen, die nach ihrem Tode göttliche Verehrung erlangt hätten. Kein Buch ist später den christlichen Apologeten so willkommen gewesen, als die Uebersetzung, die der alte römische Dichter Ennius, der Freund deS ältern Scipio von dieser „heiligen Geschichte" des Euemerus veranstaltet hatte; sie fanden hier den Boden für ihre Bemühungen geebnet und erklärten den bei den Griechen als Atheisten Verrufener für einen ausgezeichneten Geschichtschreiber. Grotes Kritik dieser Methode ist meisterhaft. Das Aeußerste, sagt er, waS wir durch sie erreichen können, ist, daß wir durch Entkleidung der Mythe von allem Wunderbaren und Uebernatürlichen zu einer Reihe von wirklichen Er¬ eignissen gelangen, die vielleicht wirklich vorgekommen sein mögen, und gegen die kein innerer Einwand erhoben werden kann. Das ist genau der Charakter eines gut geschriebenen modernen Romans (z. B. des Robinson), dessen ganze Erzählung von der Art ist, daß sie sich im wirklichen Leben er¬ eignet haben kann; es ist wahrscheinliche Dichtung und nichts darüber. Die halbhistorische Theorie bringt es dahin (so hat es Zoega gut ausgedrückt), daß das Wunder aufhört, Wunder zu sein, ohne deshalb zur historischen Thatsache zu werden. Denn um dies zu bewirken, ist auch das höchste Maß innerer Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend, ein äußeres an sich glaubliches Zeugniß wird dazu erfordert. Ein Mann, der uns sagt, daß an dem Tage der Schlacht von Platäa auf der Stelle Regen fiel, wo nun die Stadt Neuyork steht, wird Glauben weder verdienen, noch erhalten, weil er nicht die Mittel gehabt haben kann, sich von diesem Vorgange in Kenntniß zu setzen, obgleich die Angabe an und für sich nicht im mindesten unwahrscheinlich ist. Andrerseits können an sich sehr unwahrscheinliche Angaben durch genügende Zeugnisse als Wahrheit erwiesen werden; so ist die Durchgrabung des Athos auf Befehl deS Xerres und die Durchsegelung dieses Kanals durch die persische Flotte an sich sehr unwahrscheinlich, und deshalb von Juvenal als ein Beispiel grie¬ chischer Lügenhaftigkeit angeführt worden; aber sie ist so gut bezeugt, daß jetzt niemand an der Wahrheit der Thatsache zweifelt. Der trojanische Krieg, wenn man alles daraus wegläßt, was Thucydides daraus weggelassen hat, ist nicht unwahrscheinlicher als die Kreuzzüge; aber für die Wirklichkeit der Kreuzzüge haben wir genügende Zeugnisse der Zeitgenossen, für die deS troja, Nischen Krieges kein anderes, als das der Sage. Wenn wir dieser nun für einen Theil ihres Berichtes die Autorität absprechen, mit welchem Recht legen wir ihr für einen andern Theil Autorität bei? Man hat den allgemeinen Glauben der Griechen an diese Und andre Sagen als genügenden Beweis für das Vorhandensein einer zu Grunde liegenden Thatsache angesehn. Aber der Volksglaube bedarf zu seiner Entstehung einer solchen keineswegs^und wenn er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/173
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/173>, abgerufen am 23.07.2024.