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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Originalausgabe die griechischen Götternamen durch die gangbareren römischen
erklärt sind (Zeus durch Jupiter, Hera durch Juno u. s. w.) Sogar für
den Unterricht von Kindern wird sich diese Erzählung der griechischen Sagen
benutzen lassen, die mit behaglicher epischer Breite, aber zugleich spannend und
fesselnd ausgeführt ist. Andrerseits findet aber auch der, welcher eine wissen¬
schaftliche Behandlung der Mythologie verlangt, seine Ansprüche in jeder
Hinsicht befriedigt. Die Masse des Ueberlieferten ist vollständig gesammelt,
die verschiedenen Quellen der Ueberlieferung sorgfältig geschieden, die Zeit
der Entstehung der Sagen, die Einflüsse, die ihre Gestaltung bestimmten,
gründlich erwogen.

Zwei Methoden, die Mythologie zu behandeln, die sowol in neuerer als
alter Zeit angewendet sind, hat Grote nicht nur unserer Meinung nach mit
Recht verworfen, sondern auch ihre Hohlheit aufs glänzendste nachgewiesen.
Die eine ist die allegorische, die andere die halbhistorische oder pragmatische.
Die erstere löst die Persönlichkeiten der Götter und Helden in philosophische,
moralische und physische Begriffe aus. Nach ihr ist Zeus der Aether, Hera
die Athmosphäre, Hephästos das Feuer, Ares der Haß, Aphrodite die Liebe,
und der Götterkampf in der Jliade bedeutet entweder einen Kampf der Ele¬
mente oder der Leidenschaften. So erklärten schon alte griechische Philosophen
den Homer, deren Nationalismus den naiven Glauben des mythenbildenden
Zeitalters nicht mehr verstand. Als später die christlichen Schriftsteller bei
ihren Begriffen gegen die Religionen des Heidenthums sich wie natürlich
grade auf die Dichter beriefen, die den Göttern so viele menschliche Schwach¬
heiten beilegten, da nahmen die Vertheidiger deS Hellenismus abermals zu
der Erklärung ihre Zuflucht, die ganze Sage sei nur eine poetische Einkleidung
ethischer oder physikalischer Systeme. Diese Erklärungsweise ist in neuester
Zeit wieder aufgewärmt, und namentlich von Creuzer mit dem ganz aus der
^se gegriffenen Einfall verbunden worden: in grauer Urzeit sei aus dem
fernen Osten oder dem geheimnißvollen Aegypten eine mit hoher Weisheit be¬
gabte Priesterschaft (die man sich ungefähr so vorstellte, wie Sarastro und
sein Kollegium in der Zauberflöte) eingewandert. Diese hätten den Griechen
die wichtigsten moralischen und natürlichen Wahrheiten unter dem Schleier
des Symbols mitgetheilt; denn ohne dasselbe würden die damals noch höchst
barbarischen Bewohner von Hellas die ihnen zu offenbarenden Lehren nicht
verstanden haben. Die ganze griechische Mythologie ist also nichts Anderes
als ein in populäre Form gekleidetes System der wichtigsten Wahrheiten,
welche die Natur, Gott und den Menschen betreffen. Diese allegorisch-sym¬
bolische Methode schien vor zwanzig bis dreißig Jahren durch I. H- Voß
und Lobeck gründlich beseitigt zu sein, aber sie ist seitdem von neuem zum
Vorschein gekommen, z. B. bei dem um griechische Topographie und Natur-


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Originalausgabe die griechischen Götternamen durch die gangbareren römischen
erklärt sind (Zeus durch Jupiter, Hera durch Juno u. s. w.) Sogar für
den Unterricht von Kindern wird sich diese Erzählung der griechischen Sagen
benutzen lassen, die mit behaglicher epischer Breite, aber zugleich spannend und
fesselnd ausgeführt ist. Andrerseits findet aber auch der, welcher eine wissen¬
schaftliche Behandlung der Mythologie verlangt, seine Ansprüche in jeder
Hinsicht befriedigt. Die Masse des Ueberlieferten ist vollständig gesammelt,
die verschiedenen Quellen der Ueberlieferung sorgfältig geschieden, die Zeit
der Entstehung der Sagen, die Einflüsse, die ihre Gestaltung bestimmten,
gründlich erwogen.

Zwei Methoden, die Mythologie zu behandeln, die sowol in neuerer als
alter Zeit angewendet sind, hat Grote nicht nur unserer Meinung nach mit
Recht verworfen, sondern auch ihre Hohlheit aufs glänzendste nachgewiesen.
Die eine ist die allegorische, die andere die halbhistorische oder pragmatische.
Die erstere löst die Persönlichkeiten der Götter und Helden in philosophische,
moralische und physische Begriffe aus. Nach ihr ist Zeus der Aether, Hera
die Athmosphäre, Hephästos das Feuer, Ares der Haß, Aphrodite die Liebe,
und der Götterkampf in der Jliade bedeutet entweder einen Kampf der Ele¬
mente oder der Leidenschaften. So erklärten schon alte griechische Philosophen
den Homer, deren Nationalismus den naiven Glauben des mythenbildenden
Zeitalters nicht mehr verstand. Als später die christlichen Schriftsteller bei
ihren Begriffen gegen die Religionen des Heidenthums sich wie natürlich
grade auf die Dichter beriefen, die den Göttern so viele menschliche Schwach¬
heiten beilegten, da nahmen die Vertheidiger deS Hellenismus abermals zu
der Erklärung ihre Zuflucht, die ganze Sage sei nur eine poetische Einkleidung
ethischer oder physikalischer Systeme. Diese Erklärungsweise ist in neuester
Zeit wieder aufgewärmt, und namentlich von Creuzer mit dem ganz aus der
^se gegriffenen Einfall verbunden worden: in grauer Urzeit sei aus dem
fernen Osten oder dem geheimnißvollen Aegypten eine mit hoher Weisheit be¬
gabte Priesterschaft (die man sich ungefähr so vorstellte, wie Sarastro und
sein Kollegium in der Zauberflöte) eingewandert. Diese hätten den Griechen
die wichtigsten moralischen und natürlichen Wahrheiten unter dem Schleier
des Symbols mitgetheilt; denn ohne dasselbe würden die damals noch höchst
barbarischen Bewohner von Hellas die ihnen zu offenbarenden Lehren nicht
verstanden haben. Die ganze griechische Mythologie ist also nichts Anderes
als ein in populäre Form gekleidetes System der wichtigsten Wahrheiten,
welche die Natur, Gott und den Menschen betreffen. Diese allegorisch-sym¬
bolische Methode schien vor zwanzig bis dreißig Jahren durch I. H- Voß
und Lobeck gründlich beseitigt zu sein, aber sie ist seitdem von neuem zum
Vorschein gekommen, z. B. bei dem um griechische Topographie und Natur-


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[0171] Originalausgabe die griechischen Götternamen durch die gangbareren römischen erklärt sind (Zeus durch Jupiter, Hera durch Juno u. s. w.) Sogar für den Unterricht von Kindern wird sich diese Erzählung der griechischen Sagen benutzen lassen, die mit behaglicher epischer Breite, aber zugleich spannend und fesselnd ausgeführt ist. Andrerseits findet aber auch der, welcher eine wissen¬ schaftliche Behandlung der Mythologie verlangt, seine Ansprüche in jeder Hinsicht befriedigt. Die Masse des Ueberlieferten ist vollständig gesammelt, die verschiedenen Quellen der Ueberlieferung sorgfältig geschieden, die Zeit der Entstehung der Sagen, die Einflüsse, die ihre Gestaltung bestimmten, gründlich erwogen. Zwei Methoden, die Mythologie zu behandeln, die sowol in neuerer als alter Zeit angewendet sind, hat Grote nicht nur unserer Meinung nach mit Recht verworfen, sondern auch ihre Hohlheit aufs glänzendste nachgewiesen. Die eine ist die allegorische, die andere die halbhistorische oder pragmatische. Die erstere löst die Persönlichkeiten der Götter und Helden in philosophische, moralische und physische Begriffe aus. Nach ihr ist Zeus der Aether, Hera die Athmosphäre, Hephästos das Feuer, Ares der Haß, Aphrodite die Liebe, und der Götterkampf in der Jliade bedeutet entweder einen Kampf der Ele¬ mente oder der Leidenschaften. So erklärten schon alte griechische Philosophen den Homer, deren Nationalismus den naiven Glauben des mythenbildenden Zeitalters nicht mehr verstand. Als später die christlichen Schriftsteller bei ihren Begriffen gegen die Religionen des Heidenthums sich wie natürlich grade auf die Dichter beriefen, die den Göttern so viele menschliche Schwach¬ heiten beilegten, da nahmen die Vertheidiger deS Hellenismus abermals zu der Erklärung ihre Zuflucht, die ganze Sage sei nur eine poetische Einkleidung ethischer oder physikalischer Systeme. Diese Erklärungsweise ist in neuester Zeit wieder aufgewärmt, und namentlich von Creuzer mit dem ganz aus der ^se gegriffenen Einfall verbunden worden: in grauer Urzeit sei aus dem fernen Osten oder dem geheimnißvollen Aegypten eine mit hoher Weisheit be¬ gabte Priesterschaft (die man sich ungefähr so vorstellte, wie Sarastro und sein Kollegium in der Zauberflöte) eingewandert. Diese hätten den Griechen die wichtigsten moralischen und natürlichen Wahrheiten unter dem Schleier des Symbols mitgetheilt; denn ohne dasselbe würden die damals noch höchst barbarischen Bewohner von Hellas die ihnen zu offenbarenden Lehren nicht verstanden haben. Die ganze griechische Mythologie ist also nichts Anderes als ein in populäre Form gekleidetes System der wichtigsten Wahrheiten, welche die Natur, Gott und den Menschen betreffen. Diese allegorisch-sym¬ bolische Methode schien vor zwanzig bis dreißig Jahren durch I. H- Voß und Lobeck gründlich beseitigt zu sein, aber sie ist seitdem von neuem zum Vorschein gekommen, z. B. bei dem um griechische Topographie und Natur- 21 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/171>, abgerufen am 22.12.2024.