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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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worde: es konnte niemand mehr ankommen, und wir wenigen Badegäste saßen
wie auf einer wüsten Insel, zitternd vor Frost; die Berge dampften fort, und
um sieben Uhr Abends war es finstre Nacht.

Aber alle Leiden haben ein Ende. Als endlich der herrliche Sonnenschein
kam, da sah alles anders aus; die Wolfsschlucht wurc>e zum romantischen
Felsenthal, und das Auge ruhte mit innigem Vergnügen auf dem herrlichen,
frischen Grün der Höhen. Es wurde uns sogar begreiflich, daß man nicht
immer mit so vielfachen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, um nach Starik zu
kommen, obgleich der Weg auch bei schönem Welter recht schlecht bleibt, da
die Felsblöcke sich nicht wegräumen lassen. Eine Karavane nach der andern
langte an, die Mannigfaltigkeit der mitgebrachten Gegenstände, die vor unsern
Augen ausgepackt wurden, war nicht wenig belustigend. Eine Familie hatte
die Vorsorge so weit getrieben, sogar eine Büffelkuh mit ins Bad zu nehmen,
und das Kalb mit seinen lustigen Sprüngen und seinem albernen Ausdruck
blieb fortan unser treuer Gefährte auf dem dreieckigen Grasplatz, und ver¬
breitete über Stroh und Unrath sogleich eine bescheidene Gemüthlichkeit. Auch
unsere Breterbuden wurden wohnlicher bei der behaglichen Sonnenwärme, und
als nun vollends an einem Nachmittage weit, weit aus dem Thäte von Okna her
lustiger Hörnerklang ertönte, und endlich ein Häuflein ungarischer Musikanten,
die Krämpen ihrer grauen Hüte unternehmend aufgebogen, mit klingendem
Spiel vor uns aufmarschirte, da ging uns armen Badegästen recht das Herz
auf; Groß und Klein versammelte sich um die willkommenen Fremden, und
gleich hatten wir hundert Ducaten zusammengeschossen, um uns den Rest der
Saison acht Stunden täglich vormusiciren zu lassen. Das enge Beisammen¬
leben hatte sämmtliche Einwohner von Starik sehr bald in eine einzige Ge¬
sellschaft vereinigt, und nun entstand, was in ähnlichen Verhältnissen bei dem
liebevollen, sich leicht anschließenden Charakter der Moldauer nicht fehlen
kann: ein behaglicher Kreis mit freundschaftlichen Formen, dessen Glieder
großentheils zum ersten Mal miteinander in Berührung kamen, sich deshalb
aber nicht weniger warm die Hand drückten. Der Moldauer kann nichis
allein genießen. Es waren Gutsbesitzer aus der Umgegend unter den Gästen,
die manches an Gemüsen und sonstigen Leckerbissen von Hause nachkommen
ließen: das wurde dann brüderlich getheilt mit den andern. Zweimal wöchent¬
lich ist Ball, ein jeder bringt sein Licht mit, um den sogenannten Salon
zu erleuchten, einen Breterverschlag, dessen eine Seite ganz offen ist, während
die drei andern kaum die Lichter vor dem Auslöschen schützen, dann wird ge¬
tanzt, bis der Arzt seinen Patienten das Zeichen zum Aufbruch gibt. Auch
die Spaziergänge werden gewöhnlich gemeinschaftlich gemacht; die Gesellschaft
arbeitet sich mühsam durch, klettert über Steine, balancirt auf den nachlässig
über den Starik geworfenen Balken, zerreißt bei jeder Promenade ein paar


worde: es konnte niemand mehr ankommen, und wir wenigen Badegäste saßen
wie auf einer wüsten Insel, zitternd vor Frost; die Berge dampften fort, und
um sieben Uhr Abends war es finstre Nacht.

Aber alle Leiden haben ein Ende. Als endlich der herrliche Sonnenschein
kam, da sah alles anders aus; die Wolfsschlucht wurc>e zum romantischen
Felsenthal, und das Auge ruhte mit innigem Vergnügen auf dem herrlichen,
frischen Grün der Höhen. Es wurde uns sogar begreiflich, daß man nicht
immer mit so vielfachen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, um nach Starik zu
kommen, obgleich der Weg auch bei schönem Welter recht schlecht bleibt, da
die Felsblöcke sich nicht wegräumen lassen. Eine Karavane nach der andern
langte an, die Mannigfaltigkeit der mitgebrachten Gegenstände, die vor unsern
Augen ausgepackt wurden, war nicht wenig belustigend. Eine Familie hatte
die Vorsorge so weit getrieben, sogar eine Büffelkuh mit ins Bad zu nehmen,
und das Kalb mit seinen lustigen Sprüngen und seinem albernen Ausdruck
blieb fortan unser treuer Gefährte auf dem dreieckigen Grasplatz, und ver¬
breitete über Stroh und Unrath sogleich eine bescheidene Gemüthlichkeit. Auch
unsere Breterbuden wurden wohnlicher bei der behaglichen Sonnenwärme, und
als nun vollends an einem Nachmittage weit, weit aus dem Thäte von Okna her
lustiger Hörnerklang ertönte, und endlich ein Häuflein ungarischer Musikanten,
die Krämpen ihrer grauen Hüte unternehmend aufgebogen, mit klingendem
Spiel vor uns aufmarschirte, da ging uns armen Badegästen recht das Herz
auf; Groß und Klein versammelte sich um die willkommenen Fremden, und
gleich hatten wir hundert Ducaten zusammengeschossen, um uns den Rest der
Saison acht Stunden täglich vormusiciren zu lassen. Das enge Beisammen¬
leben hatte sämmtliche Einwohner von Starik sehr bald in eine einzige Ge¬
sellschaft vereinigt, und nun entstand, was in ähnlichen Verhältnissen bei dem
liebevollen, sich leicht anschließenden Charakter der Moldauer nicht fehlen
kann: ein behaglicher Kreis mit freundschaftlichen Formen, dessen Glieder
großentheils zum ersten Mal miteinander in Berührung kamen, sich deshalb
aber nicht weniger warm die Hand drückten. Der Moldauer kann nichis
allein genießen. Es waren Gutsbesitzer aus der Umgegend unter den Gästen,
die manches an Gemüsen und sonstigen Leckerbissen von Hause nachkommen
ließen: das wurde dann brüderlich getheilt mit den andern. Zweimal wöchent¬
lich ist Ball, ein jeder bringt sein Licht mit, um den sogenannten Salon
zu erleuchten, einen Breterverschlag, dessen eine Seite ganz offen ist, während
die drei andern kaum die Lichter vor dem Auslöschen schützen, dann wird ge¬
tanzt, bis der Arzt seinen Patienten das Zeichen zum Aufbruch gibt. Auch
die Spaziergänge werden gewöhnlich gemeinschaftlich gemacht; die Gesellschaft
arbeitet sich mühsam durch, klettert über Steine, balancirt auf den nachlässig
über den Starik geworfenen Balken, zerreißt bei jeder Promenade ein paar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/159>, abgerufen am 22.12.2024.