Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schuhe, und lagert dann an einem herrlich gelegenen Lieblingsplätzchen, wo
Herren und Damen ihre Papiercigarren anzünden, und eine fröhliche Stunde
verplaudern. Dann stimmt wol eine der Damen ein moldauisches Volkslied
an, dessen melancholische Klänge von den Bergen wiederhallen wie ein Seufzer
der armen Moldau selbst über alles, was sie Beseufzenswerthes in sich schließt,
und der Waldstrom rauscht leise seine Begleitung dazu.

Den Männern liefert die Jagd im Gebirge eine willkommene Zerstreuung;
-- mancher bringt seine Hunde mit, fast alle Bauern des Thales sind Jäger,
und es gibt ein lebendiges kriegerisches Bild, wenn der Zug unter Schießen
und Hörnerklang bergauf zieht. An Wild fehlt es nicht, ich habe schon oben
erwähnt, daß die Bären zuweilen bis ins Thal herabsteigen und die Gärten
der Bauern verwüsten. Im vorigen Herbst hat sich hier ein sonderbarer Fall
ereignet. In geringer Entfernung von dem Badeorte liegt eine, auch von den
Badegästen besuchte Hochebene, die mit üppigem Gras bewachsen, und auf
drei Seiten i>urch senkrechte Felswände von der übrigen Welt abgeschnitten
ist, deshalb wird sie von den Hirten des Gebirges als Schafstall benutzt.
Von vier Schäfern gehen einst drei inS Thal hinunter nach Kukuruzmchl und
Salz; nur einer bleibt zurück. Da heulen plötzlich die Hunde und stürzen
wüthend dem Eingange zu; -- der Schäfer folgt ihnen, und sieht im hellen
Mondschein einen Bären aufrecht vor sich stehn. Entschlossen reißt er das
Beil aus dem Gürtel und holt aus zum Hiebe, aber in demselben Augenblick
hat ihn das Thier schon umgarnt und gräbt ihm die Tatzen in die Schultern.
Nun entstand ein Ringen aus Leben und Tod; wohl packen die treuen Hunde
den Bären von hinten, er fällt, aber er reißt den Schäfer mit, und in einem
wirren Haufen wälzen sich Mensch und Thiere unter- und übereinander.
Furchtbar hallt das Heulen und Brülle" des wüthenden K.mipfeö von den
Bergen wieder. Noch einmal stehn die Ringenden aus den Füßen -- da
fühlt der Schäfer plötzlich den Boden unter sich wanken -- sein Gegner hat
ihn im Eifer des Ringens bis hart an die steile Felswand geschleppt -- von
den Hunden gedrängt, macht der Bär noch einen Schritt rückwärts, und beide
stürzen in den Abgrund hinab! -- Sollte man es glauben, daß die zurück¬
gekehrten Schäfer ihren Gefährten lebend fanden! Der Bär lag mit zerschmet.
tertem Schädel unter ihm und hielt den Ohnmächtigen noch umfaßt, der freilich
arg zugerichtet, aber nicht tödlich verletzt ins Hospital nach Okna transportirt
wurde, wo er unter der Pflege des Doctor Baumann nach einigen Monaten
genaß. Ich habe den Menschen selbst gesehn -- er spricht gern von seinem
schrecklichen Abenteuer.

Noch ein originelles Vergnügen, welches an Urzustande der Menschheit
erinnert, machten wir uns bisweilen in Starik, Feuermerke ohne Pulver. Vier
Ochsen schleppen eine große Tanne von der nächsten Bergwand, man gräbt


Schuhe, und lagert dann an einem herrlich gelegenen Lieblingsplätzchen, wo
Herren und Damen ihre Papiercigarren anzünden, und eine fröhliche Stunde
verplaudern. Dann stimmt wol eine der Damen ein moldauisches Volkslied
an, dessen melancholische Klänge von den Bergen wiederhallen wie ein Seufzer
der armen Moldau selbst über alles, was sie Beseufzenswerthes in sich schließt,
und der Waldstrom rauscht leise seine Begleitung dazu.

Den Männern liefert die Jagd im Gebirge eine willkommene Zerstreuung;
— mancher bringt seine Hunde mit, fast alle Bauern des Thales sind Jäger,
und es gibt ein lebendiges kriegerisches Bild, wenn der Zug unter Schießen
und Hörnerklang bergauf zieht. An Wild fehlt es nicht, ich habe schon oben
erwähnt, daß die Bären zuweilen bis ins Thal herabsteigen und die Gärten
der Bauern verwüsten. Im vorigen Herbst hat sich hier ein sonderbarer Fall
ereignet. In geringer Entfernung von dem Badeorte liegt eine, auch von den
Badegästen besuchte Hochebene, die mit üppigem Gras bewachsen, und auf
drei Seiten i>urch senkrechte Felswände von der übrigen Welt abgeschnitten
ist, deshalb wird sie von den Hirten des Gebirges als Schafstall benutzt.
Von vier Schäfern gehen einst drei inS Thal hinunter nach Kukuruzmchl und
Salz; nur einer bleibt zurück. Da heulen plötzlich die Hunde und stürzen
wüthend dem Eingange zu; — der Schäfer folgt ihnen, und sieht im hellen
Mondschein einen Bären aufrecht vor sich stehn. Entschlossen reißt er das
Beil aus dem Gürtel und holt aus zum Hiebe, aber in demselben Augenblick
hat ihn das Thier schon umgarnt und gräbt ihm die Tatzen in die Schultern.
Nun entstand ein Ringen aus Leben und Tod; wohl packen die treuen Hunde
den Bären von hinten, er fällt, aber er reißt den Schäfer mit, und in einem
wirren Haufen wälzen sich Mensch und Thiere unter- und übereinander.
Furchtbar hallt das Heulen und Brülle» des wüthenden K.mipfeö von den
Bergen wieder. Noch einmal stehn die Ringenden aus den Füßen — da
fühlt der Schäfer plötzlich den Boden unter sich wanken — sein Gegner hat
ihn im Eifer des Ringens bis hart an die steile Felswand geschleppt — von
den Hunden gedrängt, macht der Bär noch einen Schritt rückwärts, und beide
stürzen in den Abgrund hinab! — Sollte man es glauben, daß die zurück¬
gekehrten Schäfer ihren Gefährten lebend fanden! Der Bär lag mit zerschmet.
tertem Schädel unter ihm und hielt den Ohnmächtigen noch umfaßt, der freilich
arg zugerichtet, aber nicht tödlich verletzt ins Hospital nach Okna transportirt
wurde, wo er unter der Pflege des Doctor Baumann nach einigen Monaten
genaß. Ich habe den Menschen selbst gesehn — er spricht gern von seinem
schrecklichen Abenteuer.

Noch ein originelles Vergnügen, welches an Urzustande der Menschheit
erinnert, machten wir uns bisweilen in Starik, Feuermerke ohne Pulver. Vier
Ochsen schleppen eine große Tanne von der nächsten Bergwand, man gräbt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103293"/>
            <p xml:id="ID_523" prev="#ID_522"> Schuhe, und lagert dann an einem herrlich gelegenen Lieblingsplätzchen, wo<lb/>
Herren und Damen ihre Papiercigarren anzünden, und eine fröhliche Stunde<lb/>
verplaudern. Dann stimmt wol eine der Damen ein moldauisches Volkslied<lb/>
an, dessen melancholische Klänge von den Bergen wiederhallen wie ein Seufzer<lb/>
der armen Moldau selbst über alles, was sie Beseufzenswerthes in sich schließt,<lb/>
und der Waldstrom rauscht leise seine Begleitung dazu.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_524"> Den Männern liefert die Jagd im Gebirge eine willkommene Zerstreuung;<lb/>
&#x2014; mancher bringt seine Hunde mit, fast alle Bauern des Thales sind Jäger,<lb/>
und es gibt ein lebendiges kriegerisches Bild, wenn der Zug unter Schießen<lb/>
und Hörnerklang bergauf zieht. An Wild fehlt es nicht, ich habe schon oben<lb/>
erwähnt, daß die Bären zuweilen bis ins Thal herabsteigen und die Gärten<lb/>
der Bauern verwüsten. Im vorigen Herbst hat sich hier ein sonderbarer Fall<lb/>
ereignet. In geringer Entfernung von dem Badeorte liegt eine, auch von den<lb/>
Badegästen besuchte Hochebene, die mit üppigem Gras bewachsen, und auf<lb/>
drei Seiten i&gt;urch senkrechte Felswände von der übrigen Welt abgeschnitten<lb/>
ist, deshalb wird sie von den Hirten des Gebirges als Schafstall benutzt.<lb/>
Von vier Schäfern gehen einst drei inS Thal hinunter nach Kukuruzmchl und<lb/>
Salz; nur einer bleibt zurück. Da heulen plötzlich die Hunde und stürzen<lb/>
wüthend dem Eingange zu; &#x2014; der Schäfer folgt ihnen, und sieht im hellen<lb/>
Mondschein einen Bären aufrecht vor sich stehn. Entschlossen reißt er das<lb/>
Beil aus dem Gürtel und holt aus zum Hiebe, aber in demselben Augenblick<lb/>
hat ihn das Thier schon umgarnt und gräbt ihm die Tatzen in die Schultern.<lb/>
Nun entstand ein Ringen aus Leben und Tod; wohl packen die treuen Hunde<lb/>
den Bären von hinten, er fällt, aber er reißt den Schäfer mit, und in einem<lb/>
wirren Haufen wälzen sich Mensch und Thiere unter- und übereinander.<lb/>
Furchtbar hallt das Heulen und Brülle» des wüthenden K.mipfeö von den<lb/>
Bergen wieder. Noch einmal stehn die Ringenden aus den Füßen &#x2014; da<lb/>
fühlt der Schäfer plötzlich den Boden unter sich wanken &#x2014; sein Gegner hat<lb/>
ihn im Eifer des Ringens bis hart an die steile Felswand geschleppt &#x2014; von<lb/>
den Hunden gedrängt, macht der Bär noch einen Schritt rückwärts, und beide<lb/>
stürzen in den Abgrund hinab! &#x2014; Sollte man es glauben, daß die zurück¬<lb/>
gekehrten Schäfer ihren Gefährten lebend fanden! Der Bär lag mit zerschmet.<lb/>
tertem Schädel unter ihm und hielt den Ohnmächtigen noch umfaßt, der freilich<lb/>
arg zugerichtet, aber nicht tödlich verletzt ins Hospital nach Okna transportirt<lb/>
wurde, wo er unter der Pflege des Doctor Baumann nach einigen Monaten<lb/>
genaß. Ich habe den Menschen selbst gesehn &#x2014; er spricht gern von seinem<lb/>
schrecklichen Abenteuer.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_525" next="#ID_526"> Noch ein originelles Vergnügen, welches an Urzustande der Menschheit<lb/>
erinnert, machten wir uns bisweilen in Starik, Feuermerke ohne Pulver. Vier<lb/>
Ochsen schleppen eine große Tanne von der nächsten Bergwand, man gräbt</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] Schuhe, und lagert dann an einem herrlich gelegenen Lieblingsplätzchen, wo Herren und Damen ihre Papiercigarren anzünden, und eine fröhliche Stunde verplaudern. Dann stimmt wol eine der Damen ein moldauisches Volkslied an, dessen melancholische Klänge von den Bergen wiederhallen wie ein Seufzer der armen Moldau selbst über alles, was sie Beseufzenswerthes in sich schließt, und der Waldstrom rauscht leise seine Begleitung dazu. Den Männern liefert die Jagd im Gebirge eine willkommene Zerstreuung; — mancher bringt seine Hunde mit, fast alle Bauern des Thales sind Jäger, und es gibt ein lebendiges kriegerisches Bild, wenn der Zug unter Schießen und Hörnerklang bergauf zieht. An Wild fehlt es nicht, ich habe schon oben erwähnt, daß die Bären zuweilen bis ins Thal herabsteigen und die Gärten der Bauern verwüsten. Im vorigen Herbst hat sich hier ein sonderbarer Fall ereignet. In geringer Entfernung von dem Badeorte liegt eine, auch von den Badegästen besuchte Hochebene, die mit üppigem Gras bewachsen, und auf drei Seiten i>urch senkrechte Felswände von der übrigen Welt abgeschnitten ist, deshalb wird sie von den Hirten des Gebirges als Schafstall benutzt. Von vier Schäfern gehen einst drei inS Thal hinunter nach Kukuruzmchl und Salz; nur einer bleibt zurück. Da heulen plötzlich die Hunde und stürzen wüthend dem Eingange zu; — der Schäfer folgt ihnen, und sieht im hellen Mondschein einen Bären aufrecht vor sich stehn. Entschlossen reißt er das Beil aus dem Gürtel und holt aus zum Hiebe, aber in demselben Augenblick hat ihn das Thier schon umgarnt und gräbt ihm die Tatzen in die Schultern. Nun entstand ein Ringen aus Leben und Tod; wohl packen die treuen Hunde den Bären von hinten, er fällt, aber er reißt den Schäfer mit, und in einem wirren Haufen wälzen sich Mensch und Thiere unter- und übereinander. Furchtbar hallt das Heulen und Brülle» des wüthenden K.mipfeö von den Bergen wieder. Noch einmal stehn die Ringenden aus den Füßen — da fühlt der Schäfer plötzlich den Boden unter sich wanken — sein Gegner hat ihn im Eifer des Ringens bis hart an die steile Felswand geschleppt — von den Hunden gedrängt, macht der Bär noch einen Schritt rückwärts, und beide stürzen in den Abgrund hinab! — Sollte man es glauben, daß die zurück¬ gekehrten Schäfer ihren Gefährten lebend fanden! Der Bär lag mit zerschmet. tertem Schädel unter ihm und hielt den Ohnmächtigen noch umfaßt, der freilich arg zugerichtet, aber nicht tödlich verletzt ins Hospital nach Okna transportirt wurde, wo er unter der Pflege des Doctor Baumann nach einigen Monaten genaß. Ich habe den Menschen selbst gesehn — er spricht gern von seinem schrecklichen Abenteuer. Noch ein originelles Vergnügen, welches an Urzustande der Menschheit erinnert, machten wir uns bisweilen in Starik, Feuermerke ohne Pulver. Vier Ochsen schleppen eine große Tanne von der nächsten Bergwand, man gräbt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/160>, abgerufen am 22.07.2024.