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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Trinkenden hergerichtete Galerie eine wahre Schande für die Administration.
Sie muß natürlich den Quellen so nahe als möglich liegen; -- aber diese
Quellen dienen zugleich zum Baden; nicht jedem verordnet der Arzt die Bäder
kalt. Um nun daS Wasser nicht zu weit tragen zu müssen, wird neben der
Galerie, hart am Ufer des Starik, der heilloseste Unfug getrieben. Wer Lust
hat, läßt sich von den Bergabhängen, die zum Theil schon ihres grünen
Schmuckes beraubt sind, junge Bäume und Baumzweige herunterholen, so
viel er braucht, um eine Hütte zu bauen, in die er seine Wanne stellt. Ge¬
kocht darf das Wasser nicht werden, sondern nur mit glühenden Steinen ge¬
wärmt -- es entstehen also so viele Scheiterhaufen, als warme Bäder gebraucht
werden, lustig prasseln die Flammen und schicken ihren Rauch den Trinkenden
zu, und nasse Wäsche flattert im Morgenwinde, während die Badediener, bär-
lüßige Bauern im Hemde und mit dem Ledergürtel, rauchgeschwärzt wie Kobolde,
von einem Haufen zum andern rennen und das Feuer schüren. Dies ist die
Aussicht von der Galerie, die auf der Slanikseite offen ist. Das Innere der¬
selben ist ebenso ungemüthlich. Breter bilden hier das einzige Baumaterial;
Breter schließen also die Südseite ein, und benehmen dem Kranken, welcher mit
seinem kalten Mineralwasser die dreißig Schritt lange Galerie auf- und abgeht,
jeden Sonnenstrahl, der ihm in der sehr empfindlichen Morgenfrische deS engen
Thals s" wohlthun würde. Aber dem Sturm ist der Durchgang gestattet, und
er benutzt die Erlaubniß, indem er brummend und heulend durch die finger¬
breiten Spalten dringt; an ein Auskehren wird nie gedacht -- Wäsche liegt
und hängt auch hier herum -- kurz, diese Stelle, wo der Kranke täglich ein
Paar Stunden zubringen soll, ist ein widerlicher Aufenthalt.

Ein leidenschaftlicher Liebhaber der Jagd, der bei den Salzgruben von
Okna angestellte Sardar Michalaki Spridon, verfolgte im Jahr -1801 einen
Hirsch durch das damals noch von keiner menschlichen Seele bewohnte und
mit kaum zu durchdringendem Urwald bewachsene Slanikthal. Er sank erschöpft
an einem Felsen nieder, wo dicht unter ihm der schäumende Waldbach rauschte.
Da ficht er aus der fast senkrechten Wand eine Quelle hervorrieseln, deren
Wasser einen gelblichweißen Bodensatz auf dem kurzen Lauf bis zum Bach
zurückläßt. Der Jäger trinkt und füllt die Flüssigkeit in eine Flasche, um
den Fund der Prüfung seiner Freunde in Okna zu unterwerfen, die das
Wasser für ein Mineralwasser erklären, wie es in fremden Ländern zur Heilung
von Krankheiten gebraucht werde. Der Sardar Michalaki Spridon, in der
ungewissen Ahnung auf einen Vortheil, läßt sich die Mühe nicht verdrießen,
noch einmal den höchst beschwerlichen Weg zu machen. In Begleitung einiger
Leute, die daS Dickicht um die Quelle herum lichten, während in dieser
Einöde vielleicht zum ersten Mal die Art das Echo der Berge wachruft,
entdeckt er noch eine, darauf noch mehre Mineralquellen, und räumt


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Trinkenden hergerichtete Galerie eine wahre Schande für die Administration.
Sie muß natürlich den Quellen so nahe als möglich liegen; — aber diese
Quellen dienen zugleich zum Baden; nicht jedem verordnet der Arzt die Bäder
kalt. Um nun daS Wasser nicht zu weit tragen zu müssen, wird neben der
Galerie, hart am Ufer des Starik, der heilloseste Unfug getrieben. Wer Lust
hat, läßt sich von den Bergabhängen, die zum Theil schon ihres grünen
Schmuckes beraubt sind, junge Bäume und Baumzweige herunterholen, so
viel er braucht, um eine Hütte zu bauen, in die er seine Wanne stellt. Ge¬
kocht darf das Wasser nicht werden, sondern nur mit glühenden Steinen ge¬
wärmt — es entstehen also so viele Scheiterhaufen, als warme Bäder gebraucht
werden, lustig prasseln die Flammen und schicken ihren Rauch den Trinkenden
zu, und nasse Wäsche flattert im Morgenwinde, während die Badediener, bär-
lüßige Bauern im Hemde und mit dem Ledergürtel, rauchgeschwärzt wie Kobolde,
von einem Haufen zum andern rennen und das Feuer schüren. Dies ist die
Aussicht von der Galerie, die auf der Slanikseite offen ist. Das Innere der¬
selben ist ebenso ungemüthlich. Breter bilden hier das einzige Baumaterial;
Breter schließen also die Südseite ein, und benehmen dem Kranken, welcher mit
seinem kalten Mineralwasser die dreißig Schritt lange Galerie auf- und abgeht,
jeden Sonnenstrahl, der ihm in der sehr empfindlichen Morgenfrische deS engen
Thals s» wohlthun würde. Aber dem Sturm ist der Durchgang gestattet, und
er benutzt die Erlaubniß, indem er brummend und heulend durch die finger¬
breiten Spalten dringt; an ein Auskehren wird nie gedacht — Wäsche liegt
und hängt auch hier herum — kurz, diese Stelle, wo der Kranke täglich ein
Paar Stunden zubringen soll, ist ein widerlicher Aufenthalt.

Ein leidenschaftlicher Liebhaber der Jagd, der bei den Salzgruben von
Okna angestellte Sardar Michalaki Spridon, verfolgte im Jahr -1801 einen
Hirsch durch das damals noch von keiner menschlichen Seele bewohnte und
mit kaum zu durchdringendem Urwald bewachsene Slanikthal. Er sank erschöpft
an einem Felsen nieder, wo dicht unter ihm der schäumende Waldbach rauschte.
Da ficht er aus der fast senkrechten Wand eine Quelle hervorrieseln, deren
Wasser einen gelblichweißen Bodensatz auf dem kurzen Lauf bis zum Bach
zurückläßt. Der Jäger trinkt und füllt die Flüssigkeit in eine Flasche, um
den Fund der Prüfung seiner Freunde in Okna zu unterwerfen, die das
Wasser für ein Mineralwasser erklären, wie es in fremden Ländern zur Heilung
von Krankheiten gebraucht werde. Der Sardar Michalaki Spridon, in der
ungewissen Ahnung auf einen Vortheil, läßt sich die Mühe nicht verdrießen,
noch einmal den höchst beschwerlichen Weg zu machen. In Begleitung einiger
Leute, die daS Dickicht um die Quelle herum lichten, während in dieser
Einöde vielleicht zum ersten Mal die Art das Echo der Berge wachruft,
entdeckt er noch eine, darauf noch mehre Mineralquellen, und räumt


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[0155] Trinkenden hergerichtete Galerie eine wahre Schande für die Administration. Sie muß natürlich den Quellen so nahe als möglich liegen; — aber diese Quellen dienen zugleich zum Baden; nicht jedem verordnet der Arzt die Bäder kalt. Um nun daS Wasser nicht zu weit tragen zu müssen, wird neben der Galerie, hart am Ufer des Starik, der heilloseste Unfug getrieben. Wer Lust hat, läßt sich von den Bergabhängen, die zum Theil schon ihres grünen Schmuckes beraubt sind, junge Bäume und Baumzweige herunterholen, so viel er braucht, um eine Hütte zu bauen, in die er seine Wanne stellt. Ge¬ kocht darf das Wasser nicht werden, sondern nur mit glühenden Steinen ge¬ wärmt — es entstehen also so viele Scheiterhaufen, als warme Bäder gebraucht werden, lustig prasseln die Flammen und schicken ihren Rauch den Trinkenden zu, und nasse Wäsche flattert im Morgenwinde, während die Badediener, bär- lüßige Bauern im Hemde und mit dem Ledergürtel, rauchgeschwärzt wie Kobolde, von einem Haufen zum andern rennen und das Feuer schüren. Dies ist die Aussicht von der Galerie, die auf der Slanikseite offen ist. Das Innere der¬ selben ist ebenso ungemüthlich. Breter bilden hier das einzige Baumaterial; Breter schließen also die Südseite ein, und benehmen dem Kranken, welcher mit seinem kalten Mineralwasser die dreißig Schritt lange Galerie auf- und abgeht, jeden Sonnenstrahl, der ihm in der sehr empfindlichen Morgenfrische deS engen Thals s» wohlthun würde. Aber dem Sturm ist der Durchgang gestattet, und er benutzt die Erlaubniß, indem er brummend und heulend durch die finger¬ breiten Spalten dringt; an ein Auskehren wird nie gedacht — Wäsche liegt und hängt auch hier herum — kurz, diese Stelle, wo der Kranke täglich ein Paar Stunden zubringen soll, ist ein widerlicher Aufenthalt. Ein leidenschaftlicher Liebhaber der Jagd, der bei den Salzgruben von Okna angestellte Sardar Michalaki Spridon, verfolgte im Jahr -1801 einen Hirsch durch das damals noch von keiner menschlichen Seele bewohnte und mit kaum zu durchdringendem Urwald bewachsene Slanikthal. Er sank erschöpft an einem Felsen nieder, wo dicht unter ihm der schäumende Waldbach rauschte. Da ficht er aus der fast senkrechten Wand eine Quelle hervorrieseln, deren Wasser einen gelblichweißen Bodensatz auf dem kurzen Lauf bis zum Bach zurückläßt. Der Jäger trinkt und füllt die Flüssigkeit in eine Flasche, um den Fund der Prüfung seiner Freunde in Okna zu unterwerfen, die das Wasser für ein Mineralwasser erklären, wie es in fremden Ländern zur Heilung von Krankheiten gebraucht werde. Der Sardar Michalaki Spridon, in der ungewissen Ahnung auf einen Vortheil, läßt sich die Mühe nicht verdrießen, noch einmal den höchst beschwerlichen Weg zu machen. In Begleitung einiger Leute, die daS Dickicht um die Quelle herum lichten, während in dieser Einöde vielleicht zum ersten Mal die Art das Echo der Berge wachruft, entdeckt er noch eine, darauf noch mehre Mineralquellen, und räumt 19 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/155>, abgerufen am 22.12.2024.