Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dach, wo der Regen durchträufelte, wurden noch mit Hilfe Vergüten vier
Zimmerleute vernagelt, und wir konnten uns endlich hinsetzen und ausruhen!
Da saßen wir im Bade.

Man Muß nach Slcmik kommen, um zu wissen, welch ein Wonnegefühl
das Sitzen und Aufruhr erwecken kann. Auch für die leibliche Nahrung
wurde gesorgt; -- hinter jeder "Nummer" steht eine Breterbude, in deren Mitte
sich ein mit Sand und Steinen gefüllter Kasten erhebt: das ist die Küche;
wir konnten uns wenigstens satt essen, und es dämmerte kaum draußen, als
in Ur. 11 und 12 alles im tiefsten Schlafe lag.

Am folgenden Morgen stieß ich mit dem Kopf an den niedrigen Thür¬
pfosten und trat ins Freie. Die ungünstige Witterung hatte bis jetzt die
Badebedürstigen zu Hause zurückgehalten -- kaum vier bis fünf Nummern
waren besetzt; Durchreisende gibt, es hier nie, da weiter hinauf ins Gebirge
kein Weg führt -- es war also ein stilles Bild, das sich meinen Blicken dar¬
bot. Steinhaufen, faulende Holzklötze, und was sich sonst im Laufe der Jahre
sammelt, lag auf dem dreieckigen Platz; selten einmal ging ein menschliches
Wesen von einem Gebäude zum andern; Stimmen horte man gar nicht; nur
der Starik rauschte fort und fort, eine Herde Gänse Schnatterte lustwandelnd,
und einige Pferde, die Vorderbeine mit eisernen Ringen zusammengekettet,
weideten auf dem grasbewachsenen Fleck, und bei jedem ihrer Sprünge rasselte
es wie die Fesseln eines Gefangenen. Ich schlug meinen Negenschiem auf,
und ging, um die Quellen zu besichtigen. Das Thal wird gleich hinter den
Häuserreihen so eng, daß man nur auf Treppen und Brücken längs dem
Starik weiter kann. Aber die Natur ist wild erhaben; Felsen thürmen sich
auf Felsen -- oft sieht es aus, als müßte ein Granitblock auf das Haupt
des Wandrers herabstürzen, und das reißende Wasser unten sprudelt, zischt
und kocht über sein unebenes Bett hinweg. -- Ich stand vor den Quellen.
Ur. 1., dessen Wasser nur getrunken wird, fließt so aus dem Felsen, daß man
sich nicht zu bücken braucht, um sein Glas unter die kleine hölzerne Rinne zu
stellen, bei Ur. 3 muß man wie ein Canarienvogel auf zwei schwankenden
Bretern herumspringen; und Ur. 6 fließt grade in den breternen Badekäfig --
Will man nun von dem Wasser trinken, während grade jemand sich hader, so
muß man hinter den Käfig kriechen, mit Gras und Moos die Rinne zum
Ueberlaufen bringen, und dann sein Glas drunter halten, während Gras und
Moos unterdessen fortgerissen und dem Badenden unversehens auf den Kopf
geschwemmt wird. Ich werfe noch einen Blick auf die übrigen vier Quellen,
in denen man sich kalt badet: überall herrscht eine eremplarische Unreinlichkeit,
Endchen ausgerauchter Cigarren schwimmen im Wasser, und was sonst der
Zufall hineingeworfen. Ueberall bläst der Wind durch, überall sind Löcher in
den Verschlügen, die Thüren schließen nur nothdürftig. Dabei ist die für die


Dach, wo der Regen durchträufelte, wurden noch mit Hilfe Vergüten vier
Zimmerleute vernagelt, und wir konnten uns endlich hinsetzen und ausruhen!
Da saßen wir im Bade.

Man Muß nach Slcmik kommen, um zu wissen, welch ein Wonnegefühl
das Sitzen und Aufruhr erwecken kann. Auch für die leibliche Nahrung
wurde gesorgt; — hinter jeder „Nummer" steht eine Breterbude, in deren Mitte
sich ein mit Sand und Steinen gefüllter Kasten erhebt: das ist die Küche;
wir konnten uns wenigstens satt essen, und es dämmerte kaum draußen, als
in Ur. 11 und 12 alles im tiefsten Schlafe lag.

Am folgenden Morgen stieß ich mit dem Kopf an den niedrigen Thür¬
pfosten und trat ins Freie. Die ungünstige Witterung hatte bis jetzt die
Badebedürstigen zu Hause zurückgehalten — kaum vier bis fünf Nummern
waren besetzt; Durchreisende gibt, es hier nie, da weiter hinauf ins Gebirge
kein Weg führt — es war also ein stilles Bild, das sich meinen Blicken dar¬
bot. Steinhaufen, faulende Holzklötze, und was sich sonst im Laufe der Jahre
sammelt, lag auf dem dreieckigen Platz; selten einmal ging ein menschliches
Wesen von einem Gebäude zum andern; Stimmen horte man gar nicht; nur
der Starik rauschte fort und fort, eine Herde Gänse Schnatterte lustwandelnd,
und einige Pferde, die Vorderbeine mit eisernen Ringen zusammengekettet,
weideten auf dem grasbewachsenen Fleck, und bei jedem ihrer Sprünge rasselte
es wie die Fesseln eines Gefangenen. Ich schlug meinen Negenschiem auf,
und ging, um die Quellen zu besichtigen. Das Thal wird gleich hinter den
Häuserreihen so eng, daß man nur auf Treppen und Brücken längs dem
Starik weiter kann. Aber die Natur ist wild erhaben; Felsen thürmen sich
auf Felsen — oft sieht es aus, als müßte ein Granitblock auf das Haupt
des Wandrers herabstürzen, und das reißende Wasser unten sprudelt, zischt
und kocht über sein unebenes Bett hinweg. — Ich stand vor den Quellen.
Ur. 1., dessen Wasser nur getrunken wird, fließt so aus dem Felsen, daß man
sich nicht zu bücken braucht, um sein Glas unter die kleine hölzerne Rinne zu
stellen, bei Ur. 3 muß man wie ein Canarienvogel auf zwei schwankenden
Bretern herumspringen; und Ur. 6 fließt grade in den breternen Badekäfig —
Will man nun von dem Wasser trinken, während grade jemand sich hader, so
muß man hinter den Käfig kriechen, mit Gras und Moos die Rinne zum
Ueberlaufen bringen, und dann sein Glas drunter halten, während Gras und
Moos unterdessen fortgerissen und dem Badenden unversehens auf den Kopf
geschwemmt wird. Ich werfe noch einen Blick auf die übrigen vier Quellen,
in denen man sich kalt badet: überall herrscht eine eremplarische Unreinlichkeit,
Endchen ausgerauchter Cigarren schwimmen im Wasser, und was sonst der
Zufall hineingeworfen. Ueberall bläst der Wind durch, überall sind Löcher in
den Verschlügen, die Thüren schließen nur nothdürftig. Dabei ist die für die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103287"/>
            <p xml:id="ID_505" prev="#ID_504"> Dach, wo der Regen durchträufelte, wurden noch mit Hilfe Vergüten vier<lb/>
Zimmerleute vernagelt, und wir konnten uns endlich hinsetzen und ausruhen!<lb/>
Da saßen wir im Bade.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_506"> Man Muß nach Slcmik kommen, um zu wissen, welch ein Wonnegefühl<lb/>
das Sitzen und Aufruhr erwecken kann. Auch für die leibliche Nahrung<lb/>
wurde gesorgt; &#x2014; hinter jeder &#x201E;Nummer" steht eine Breterbude, in deren Mitte<lb/>
sich ein mit Sand und Steinen gefüllter Kasten erhebt: das ist die Küche;<lb/>
wir konnten uns wenigstens satt essen, und es dämmerte kaum draußen, als<lb/>
in Ur. 11 und 12 alles im tiefsten Schlafe lag.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_507" next="#ID_508"> Am folgenden Morgen stieß ich mit dem Kopf an den niedrigen Thür¬<lb/>
pfosten und trat ins Freie. Die ungünstige Witterung hatte bis jetzt die<lb/>
Badebedürstigen zu Hause zurückgehalten &#x2014; kaum vier bis fünf Nummern<lb/>
waren besetzt; Durchreisende gibt, es hier nie, da weiter hinauf ins Gebirge<lb/>
kein Weg führt &#x2014; es war also ein stilles Bild, das sich meinen Blicken dar¬<lb/>
bot. Steinhaufen, faulende Holzklötze, und was sich sonst im Laufe der Jahre<lb/>
sammelt, lag auf dem dreieckigen Platz; selten einmal ging ein menschliches<lb/>
Wesen von einem Gebäude zum andern; Stimmen horte man gar nicht; nur<lb/>
der Starik rauschte fort und fort, eine Herde Gänse Schnatterte lustwandelnd,<lb/>
und einige Pferde, die Vorderbeine mit eisernen Ringen zusammengekettet,<lb/>
weideten auf dem grasbewachsenen Fleck, und bei jedem ihrer Sprünge rasselte<lb/>
es wie die Fesseln eines Gefangenen. Ich schlug meinen Negenschiem auf,<lb/>
und ging, um die Quellen zu besichtigen. Das Thal wird gleich hinter den<lb/>
Häuserreihen so eng, daß man nur auf Treppen und Brücken längs dem<lb/>
Starik weiter kann. Aber die Natur ist wild erhaben; Felsen thürmen sich<lb/>
auf Felsen &#x2014; oft sieht es aus, als müßte ein Granitblock auf das Haupt<lb/>
des Wandrers herabstürzen, und das reißende Wasser unten sprudelt, zischt<lb/>
und kocht über sein unebenes Bett hinweg. &#x2014; Ich stand vor den Quellen.<lb/>
Ur. 1., dessen Wasser nur getrunken wird, fließt so aus dem Felsen, daß man<lb/>
sich nicht zu bücken braucht, um sein Glas unter die kleine hölzerne Rinne zu<lb/>
stellen, bei Ur. 3 muß man wie ein Canarienvogel auf zwei schwankenden<lb/>
Bretern herumspringen; und Ur. 6 fließt grade in den breternen Badekäfig &#x2014;<lb/>
Will man nun von dem Wasser trinken, während grade jemand sich hader, so<lb/>
muß man hinter den Käfig kriechen, mit Gras und Moos die Rinne zum<lb/>
Ueberlaufen bringen, und dann sein Glas drunter halten, während Gras und<lb/>
Moos unterdessen fortgerissen und dem Badenden unversehens auf den Kopf<lb/>
geschwemmt wird. Ich werfe noch einen Blick auf die übrigen vier Quellen,<lb/>
in denen man sich kalt badet: überall herrscht eine eremplarische Unreinlichkeit,<lb/>
Endchen ausgerauchter Cigarren schwimmen im Wasser, und was sonst der<lb/>
Zufall hineingeworfen. Ueberall bläst der Wind durch, überall sind Löcher in<lb/>
den Verschlügen, die Thüren schließen nur nothdürftig. Dabei ist die für die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0154] Dach, wo der Regen durchträufelte, wurden noch mit Hilfe Vergüten vier Zimmerleute vernagelt, und wir konnten uns endlich hinsetzen und ausruhen! Da saßen wir im Bade. Man Muß nach Slcmik kommen, um zu wissen, welch ein Wonnegefühl das Sitzen und Aufruhr erwecken kann. Auch für die leibliche Nahrung wurde gesorgt; — hinter jeder „Nummer" steht eine Breterbude, in deren Mitte sich ein mit Sand und Steinen gefüllter Kasten erhebt: das ist die Küche; wir konnten uns wenigstens satt essen, und es dämmerte kaum draußen, als in Ur. 11 und 12 alles im tiefsten Schlafe lag. Am folgenden Morgen stieß ich mit dem Kopf an den niedrigen Thür¬ pfosten und trat ins Freie. Die ungünstige Witterung hatte bis jetzt die Badebedürstigen zu Hause zurückgehalten — kaum vier bis fünf Nummern waren besetzt; Durchreisende gibt, es hier nie, da weiter hinauf ins Gebirge kein Weg führt — es war also ein stilles Bild, das sich meinen Blicken dar¬ bot. Steinhaufen, faulende Holzklötze, und was sich sonst im Laufe der Jahre sammelt, lag auf dem dreieckigen Platz; selten einmal ging ein menschliches Wesen von einem Gebäude zum andern; Stimmen horte man gar nicht; nur der Starik rauschte fort und fort, eine Herde Gänse Schnatterte lustwandelnd, und einige Pferde, die Vorderbeine mit eisernen Ringen zusammengekettet, weideten auf dem grasbewachsenen Fleck, und bei jedem ihrer Sprünge rasselte es wie die Fesseln eines Gefangenen. Ich schlug meinen Negenschiem auf, und ging, um die Quellen zu besichtigen. Das Thal wird gleich hinter den Häuserreihen so eng, daß man nur auf Treppen und Brücken längs dem Starik weiter kann. Aber die Natur ist wild erhaben; Felsen thürmen sich auf Felsen — oft sieht es aus, als müßte ein Granitblock auf das Haupt des Wandrers herabstürzen, und das reißende Wasser unten sprudelt, zischt und kocht über sein unebenes Bett hinweg. — Ich stand vor den Quellen. Ur. 1., dessen Wasser nur getrunken wird, fließt so aus dem Felsen, daß man sich nicht zu bücken braucht, um sein Glas unter die kleine hölzerne Rinne zu stellen, bei Ur. 3 muß man wie ein Canarienvogel auf zwei schwankenden Bretern herumspringen; und Ur. 6 fließt grade in den breternen Badekäfig — Will man nun von dem Wasser trinken, während grade jemand sich hader, so muß man hinter den Käfig kriechen, mit Gras und Moos die Rinne zum Ueberlaufen bringen, und dann sein Glas drunter halten, während Gras und Moos unterdessen fortgerissen und dem Badenden unversehens auf den Kopf geschwemmt wird. Ich werfe noch einen Blick auf die übrigen vier Quellen, in denen man sich kalt badet: überall herrscht eine eremplarische Unreinlichkeit, Endchen ausgerauchter Cigarren schwimmen im Wasser, und was sonst der Zufall hineingeworfen. Ueberall bläst der Wind durch, überall sind Löcher in den Verschlügen, die Thüren schließen nur nothdürftig. Dabei ist die für die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/154
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/154>, abgerufen am 22.12.2024.