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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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bei dem abschüssigen Hinunterfahren in den Starik die Räder hart an einem
nicht wenige Fuß hohen Abhang hingehn; ist nun der Weg nach einem Re¬
gen schlüpfrig, wie es bei unserer Reise der Fall war, so ist einem zuweilen,
als sei das Hinabstürzen unvermeidlich; -- und ich gestehe aufrichtig, daß mir
nicht selten die Haare zu Berge standen.

Nach den ersten zwei Stunden -- die ganze Fahrt von zwei Meilen
nimmt sechs Stunden in Anspruch! stoßt man auf ein ärmliches, von Ungarn
bewohntes Dorf, dessen elende Häuser in weiter Entfernung voneinander,
theils wenig über dem Wasser, theils wie Schwalbennester an den Abhängen
kleben. Hier reift schon der Kukuruz selten -- und wenn er auch reifte, wo
sollten die armen Leute so viel anbauen, um ihr Leben zu fristen? Ein jeder
Bauer hat dem Gcbirgsboden einige Quadratklaftern bei seinem Hause abge¬
wönne", auf denen er Gemüse baut, die er den Badegästen verkauft. Das
trägt ihm mehr ein. Aber siehe! auch hier in dem wilden Karpathenthale kün¬
digte sich die Nähe des Bades an: kleine Kinder, halb- und ganz nackt, um¬
kreisten unser Fuhrwerk und boten uns mit weitemporgestreckten Aermchen ihre
Blumensträuße, die großentheils aus Gewächsen bestanden, welche der Gärt¬
ner mit dem wegwerfenden Namen Unkraut bezeichnet. Die bittenden Mienen
waren beredter als die Lau.te der ungarischen Sprache, die wir nicht verstan¬
den. Aber zur Badecur brauchten die Blumenverkäufer nicht zu gehn; die
blühendste Gesundheit lachte ihnen aus den schmuzigen Gesichtern. Der Herr
der Welt hält immer etwas bereit, um das Leben zu versüßen, wo es bitter
wird.

Unterdeß sank die Nacht herab auf das Jammerthal, durch das unser
Weg führte und, um Abwechselung in die einförmige Fahrt zu bringen, zog
wieder einmal ein Gewitter auf. Es regnete in dicken Tropfen, und das
Wasser drang wie durch ein Sieb durch das elende Zeltdach des Wagens,
unter welchem wir nicht einmal einen Regenschirm aufspannen konnten. Aber
die Hälfte des Weges und zugleich ein Obdach waren erreicht. Wir mußten
uns entschließen, wieder zu übernachten. Dieses Obdach für die Kranken, die i"S
Bad gehn, heißt Tschcrdaz, und besteht aus einem Häuschen am rechten,
einem andern am linken Ufer des Starik, und einer Art großer Brücke mit
einem Dach und fensterlosen Seitenwänden zwischen beiden Gebäuden über
dem rauschenden Wasser. Wir traten schnell unter Dach. Aus Milch, Eiern,
jungen Hühnern und der moldauischen Polenta, Mamaliga genannt, bildete
sich ein für die Umstände höchst anmuthiges Abendessen, und wir begaben uns
zur Ruhe.

Mit Tagesanbruch saßen wir wieder unter unserer Leinwand. Der Himmel
war vunkelgrau wie unsere Laune, aber der Weg etwas besser. Das Thal
wird an einzelnen Stellen breiter, üppiger Graswuchs erfreut das Auge, und


bei dem abschüssigen Hinunterfahren in den Starik die Räder hart an einem
nicht wenige Fuß hohen Abhang hingehn; ist nun der Weg nach einem Re¬
gen schlüpfrig, wie es bei unserer Reise der Fall war, so ist einem zuweilen,
als sei das Hinabstürzen unvermeidlich; — und ich gestehe aufrichtig, daß mir
nicht selten die Haare zu Berge standen.

Nach den ersten zwei Stunden — die ganze Fahrt von zwei Meilen
nimmt sechs Stunden in Anspruch! stoßt man auf ein ärmliches, von Ungarn
bewohntes Dorf, dessen elende Häuser in weiter Entfernung voneinander,
theils wenig über dem Wasser, theils wie Schwalbennester an den Abhängen
kleben. Hier reift schon der Kukuruz selten — und wenn er auch reifte, wo
sollten die armen Leute so viel anbauen, um ihr Leben zu fristen? Ein jeder
Bauer hat dem Gcbirgsboden einige Quadratklaftern bei seinem Hause abge¬
wönne», auf denen er Gemüse baut, die er den Badegästen verkauft. Das
trägt ihm mehr ein. Aber siehe! auch hier in dem wilden Karpathenthale kün¬
digte sich die Nähe des Bades an: kleine Kinder, halb- und ganz nackt, um¬
kreisten unser Fuhrwerk und boten uns mit weitemporgestreckten Aermchen ihre
Blumensträuße, die großentheils aus Gewächsen bestanden, welche der Gärt¬
ner mit dem wegwerfenden Namen Unkraut bezeichnet. Die bittenden Mienen
waren beredter als die Lau.te der ungarischen Sprache, die wir nicht verstan¬
den. Aber zur Badecur brauchten die Blumenverkäufer nicht zu gehn; die
blühendste Gesundheit lachte ihnen aus den schmuzigen Gesichtern. Der Herr
der Welt hält immer etwas bereit, um das Leben zu versüßen, wo es bitter
wird.

Unterdeß sank die Nacht herab auf das Jammerthal, durch das unser
Weg führte und, um Abwechselung in die einförmige Fahrt zu bringen, zog
wieder einmal ein Gewitter auf. Es regnete in dicken Tropfen, und das
Wasser drang wie durch ein Sieb durch das elende Zeltdach des Wagens,
unter welchem wir nicht einmal einen Regenschirm aufspannen konnten. Aber
die Hälfte des Weges und zugleich ein Obdach waren erreicht. Wir mußten
uns entschließen, wieder zu übernachten. Dieses Obdach für die Kranken, die i»S
Bad gehn, heißt Tschcrdaz, und besteht aus einem Häuschen am rechten,
einem andern am linken Ufer des Starik, und einer Art großer Brücke mit
einem Dach und fensterlosen Seitenwänden zwischen beiden Gebäuden über
dem rauschenden Wasser. Wir traten schnell unter Dach. Aus Milch, Eiern,
jungen Hühnern und der moldauischen Polenta, Mamaliga genannt, bildete
sich ein für die Umstände höchst anmuthiges Abendessen, und wir begaben uns
zur Ruhe.

Mit Tagesanbruch saßen wir wieder unter unserer Leinwand. Der Himmel
war vunkelgrau wie unsere Laune, aber der Weg etwas besser. Das Thal
wird an einzelnen Stellen breiter, üppiger Graswuchs erfreut das Auge, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/152>, abgerufen am 23.07.2024.