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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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ging. Wo das Wasser am tiefsten war und sogar in den hochbeinigen Karren,
hineinspülte, blieben die Thiere stehen, um sich mit einem frischen Trunk zu
stärken; wir steckten die Füße in die Luft, da man doch in einem Wagen nicht
auf die Nothwendigkeit von Gummiüberschuhen rechnet, und schrien aus Lei¬
beskräften dem Führer zu, uns nicht im Stich zu lassen. Das Wasser floß
unter uns sogleich wieder ab, als wir das jenseitige User erreicht hatten.

Warum passirt man aber den tiesenTrvtusch ohne Brücke? Weil vor drei Jahren
ein Wolkenbruch die Brücken weggeschwemmt, und das Kreisamt Bakau, zu dessen
Gerichtsbarkeit die Stadt Okna gehört, in diesen Jahren noch nicht die Zeit
gefunden, ein paar Balken ins Wasser zu stecken und ein paar Breter darüber
zu nageln, wie bei einer regulären moldauischen Brücke Brauch ist, auf der Mensch
und Vieh im besten Fall immer noch den Hals brechen kann. Es liegen frei¬
lich schon Balken am Ufer; aber es ist zu befürchten, es könnten unterdeß
andere Bauten nothwendiger erscheinen.

Jenseit des Trotusch erscheint der Weg anfänglich erträglich, nicht un¬
freundliche Baueruhäuschen stehn zu beiden Seiten mit ihren Kukuruz- und
Obstgärten; es lehnen sich sogar Rebstöcke an den Abhang der Berge, und
man wundert sich über den Widerwillen der Pfcrdevermiether von Okna,
ihre Fuhrwerke in dieser Richtung zu verdingen. B.alt aber wird die Sache
erklärlich. Kaum hat man die letzten Häuser deS Dörfchens hinter sich, so
wird das Thal bei jedem Schritt enger; steil ragen die Bergwände zu beiden
Seiten, zum Theil mit Buchen und Tannen bewachsen, meist schroff abfallend
und in ihrer Nacktheit die verschiedenen Erd- und Felsschichten bloßlegend. So
bilden sich auf einzelnen Stellen wunderliche Arabesken und grell voneinan¬
der abstechende Streifen. Jetzt ist ' nicht immer Raum für einen Weg
neben dem Gebirgswasser, und es beginnt ein beinah funfzigmal sich wieder¬
holendes Durchwaten des Slcmik. -- Große Steine und Granitblöcke liegen
umher, buchstäblich wie von Riefen!)and ausgesäet; jeden Augenblick hängt
der Karren bald auf die eine, bald auf die andere Seite, und wenn die Rä¬
der, nachdem sie das Hinderniß überwunden, von einer tüchtigen Steinmasse
Plötzlich abgleiten und auf den Boden stoßen, so zittert das Fuhrwerk in allen
seinen Fugen, und die Reisenden werden in ost recht komischen Stellungen
durcheinandergeworfen. Im Wasser liegen natürlich die Steine ebenso groß
und ebenso nahe aneinander, und das ist noch auffallender, wenn plötzlich ein
Rad hoch auffährt, während die anderen tiefer in den wildschäumenden
Waldbach sinken. -- Aber die Ochsen schreiten vorsichtig weiter, werfen sich
ohne nachzugeben mit ganzer Kraft ins Joch, und immer wieder spritzt das
Wasser hoch auf, wenn der Wagen, der sich aus den Fluten auf ein Felsstück
erhoben hat, hineinfällt, um einen Augenblick später das nämliche Ex¬
periment zu wiederholen. Hin und wieder wird der Weg so schmal, daß


ging. Wo das Wasser am tiefsten war und sogar in den hochbeinigen Karren,
hineinspülte, blieben die Thiere stehen, um sich mit einem frischen Trunk zu
stärken; wir steckten die Füße in die Luft, da man doch in einem Wagen nicht
auf die Nothwendigkeit von Gummiüberschuhen rechnet, und schrien aus Lei¬
beskräften dem Führer zu, uns nicht im Stich zu lassen. Das Wasser floß
unter uns sogleich wieder ab, als wir das jenseitige User erreicht hatten.

Warum passirt man aber den tiesenTrvtusch ohne Brücke? Weil vor drei Jahren
ein Wolkenbruch die Brücken weggeschwemmt, und das Kreisamt Bakau, zu dessen
Gerichtsbarkeit die Stadt Okna gehört, in diesen Jahren noch nicht die Zeit
gefunden, ein paar Balken ins Wasser zu stecken und ein paar Breter darüber
zu nageln, wie bei einer regulären moldauischen Brücke Brauch ist, auf der Mensch
und Vieh im besten Fall immer noch den Hals brechen kann. Es liegen frei¬
lich schon Balken am Ufer; aber es ist zu befürchten, es könnten unterdeß
andere Bauten nothwendiger erscheinen.

Jenseit des Trotusch erscheint der Weg anfänglich erträglich, nicht un¬
freundliche Baueruhäuschen stehn zu beiden Seiten mit ihren Kukuruz- und
Obstgärten; es lehnen sich sogar Rebstöcke an den Abhang der Berge, und
man wundert sich über den Widerwillen der Pfcrdevermiether von Okna,
ihre Fuhrwerke in dieser Richtung zu verdingen. B.alt aber wird die Sache
erklärlich. Kaum hat man die letzten Häuser deS Dörfchens hinter sich, so
wird das Thal bei jedem Schritt enger; steil ragen die Bergwände zu beiden
Seiten, zum Theil mit Buchen und Tannen bewachsen, meist schroff abfallend
und in ihrer Nacktheit die verschiedenen Erd- und Felsschichten bloßlegend. So
bilden sich auf einzelnen Stellen wunderliche Arabesken und grell voneinan¬
der abstechende Streifen. Jetzt ist ' nicht immer Raum für einen Weg
neben dem Gebirgswasser, und es beginnt ein beinah funfzigmal sich wieder¬
holendes Durchwaten des Slcmik. — Große Steine und Granitblöcke liegen
umher, buchstäblich wie von Riefen!)and ausgesäet; jeden Augenblick hängt
der Karren bald auf die eine, bald auf die andere Seite, und wenn die Rä¬
der, nachdem sie das Hinderniß überwunden, von einer tüchtigen Steinmasse
Plötzlich abgleiten und auf den Boden stoßen, so zittert das Fuhrwerk in allen
seinen Fugen, und die Reisenden werden in ost recht komischen Stellungen
durcheinandergeworfen. Im Wasser liegen natürlich die Steine ebenso groß
und ebenso nahe aneinander, und das ist noch auffallender, wenn plötzlich ein
Rad hoch auffährt, während die anderen tiefer in den wildschäumenden
Waldbach sinken. — Aber die Ochsen schreiten vorsichtig weiter, werfen sich
ohne nachzugeben mit ganzer Kraft ins Joch, und immer wieder spritzt das
Wasser hoch auf, wenn der Wagen, der sich aus den Fluten auf ein Felsstück
erhoben hat, hineinfällt, um einen Augenblick später das nämliche Ex¬
periment zu wiederholen. Hin und wieder wird der Weg so schmal, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/151>, abgerufen am 23.07.2024.