Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fällt der aus felsiger Waldeinsamkeit kommende Starik, der den Heilquellen
seinen Namen gibt -- längs dem Starik also, tief ins Gebirge hinein führt
der Weg zu dem Badeorte. Mit meinem Wagen und meinen abgematteter
Pferden konnte ich nicht weiter, das wußte ich wohl; ich brachte also Frau
und Kinder zu Okna unter so gut es ging, und schaute mich nach einem
anderen Fuhrwerk um.

Aus der Post wurde ich schnöde abgewiesen; ein Pferdevermiethcr lachte
mir ins Gesicht; da nahm sich ein barmherziger Städter meiner an. "Herr,"
sagte er mir, "der Trotusch und Starik sind angeschwollen, und Sie müssen
i2 Mal durchs Wasser fahren, ehe Sie ins Bad kommen. Mit Pferden können
Sie nicht von der Stelle." -- "Lieber Mann," erwiederte ich ihm mit dem
Menschenhaß eines Verzweifelnden, dem die Galle übergeht^ "wie soll ich
denn weiter? In Okna bleibe ich auf keinen Fall!" -- Er zog die Uhr:
"Spät,ist es freilich schon."

Es war etwa zwei Uhr Nachmittags, und die ganze Entfernung bis
Starik betrug, wie gesagt, kaum zwei Meilen. Mir war, als hielt mich der
Mensch zum Narren.

"Spät ist es freilich," fuhr er kaltblütig fort, "aber Sie könnens versuchen.
Nehmen Sie eine Ochsensuhre." --

Die Manifestationen der Verwunderung, das Hin- und Herrennen, --
nahm noch eine Stunde weg. Aber die Ochsenfuhre trug am Ende den Sieg
davon, und ich mußte noch dazu mit ansehen, wie sich meine Kinder darauf
freuten, einmal mit Ochsen zu fahren!

Der Karren lenkte in den Hof, eine Maschine mit ungeheuren Rädern,
ohne den geringsten Eisenbeschlag. Faßreifen wurden über den Korb geschlagen
und über diese ein hin und wieder mit Bindfaden befestigtes Tuch geworfen
-- der Baldachin war fertig; unsere Wagenkoffer mußten uns als Sitze die¬
nen, und wir krochen mühsam unter das improvisirte Dach, wo wir etwas
gebückt sitzen mußten, um unsere Hüte vor dein unwiderbringlichen Verlust
aller Form zu bewahren. Der Führer, ein Bauerbursche in weißem Hemde
mit dem breiten Ledergürtel schwang die Peitsche, und unsere vier silberweißen
gehörnten Zugthiere setzten sich bedächtigen Schritts in Bewegung.

Es gibt einen Augenblick, wo die üble Laune an ihre äußerste Grenze
stößt und plötzlich in ein unaufhaltsames Lachen übergeht. So ging eS auch
uns." Wir lachten laut auf, als unser Karren über das Straßenpflaster der
Stadt Okna holperte; die Kinder lachten mit -- sogar der Ochsenführer, der
uns aber dabei ansah, als habe er die Pointe nicht recht verstanden.

Abschüssig ging eS sogleich in das Bett deS Tortusch hinein. Unser
Bursche hatte seine Pfeife angezündet und überließ uns dem guten Willen
seines Gespannes, indem er selbst weiter unten auf einem Steg über den Fluß


fällt der aus felsiger Waldeinsamkeit kommende Starik, der den Heilquellen
seinen Namen gibt — längs dem Starik also, tief ins Gebirge hinein führt
der Weg zu dem Badeorte. Mit meinem Wagen und meinen abgematteter
Pferden konnte ich nicht weiter, das wußte ich wohl; ich brachte also Frau
und Kinder zu Okna unter so gut es ging, und schaute mich nach einem
anderen Fuhrwerk um.

Aus der Post wurde ich schnöde abgewiesen; ein Pferdevermiethcr lachte
mir ins Gesicht; da nahm sich ein barmherziger Städter meiner an. „Herr,"
sagte er mir, „der Trotusch und Starik sind angeschwollen, und Sie müssen
i2 Mal durchs Wasser fahren, ehe Sie ins Bad kommen. Mit Pferden können
Sie nicht von der Stelle." — „Lieber Mann," erwiederte ich ihm mit dem
Menschenhaß eines Verzweifelnden, dem die Galle übergeht^ „wie soll ich
denn weiter? In Okna bleibe ich auf keinen Fall!" — Er zog die Uhr:
„Spät,ist es freilich schon."

Es war etwa zwei Uhr Nachmittags, und die ganze Entfernung bis
Starik betrug, wie gesagt, kaum zwei Meilen. Mir war, als hielt mich der
Mensch zum Narren.

„Spät ist es freilich," fuhr er kaltblütig fort, „aber Sie könnens versuchen.
Nehmen Sie eine Ochsensuhre." —

Die Manifestationen der Verwunderung, das Hin- und Herrennen, —
nahm noch eine Stunde weg. Aber die Ochsenfuhre trug am Ende den Sieg
davon, und ich mußte noch dazu mit ansehen, wie sich meine Kinder darauf
freuten, einmal mit Ochsen zu fahren!

Der Karren lenkte in den Hof, eine Maschine mit ungeheuren Rädern,
ohne den geringsten Eisenbeschlag. Faßreifen wurden über den Korb geschlagen
und über diese ein hin und wieder mit Bindfaden befestigtes Tuch geworfen
— der Baldachin war fertig; unsere Wagenkoffer mußten uns als Sitze die¬
nen, und wir krochen mühsam unter das improvisirte Dach, wo wir etwas
gebückt sitzen mußten, um unsere Hüte vor dein unwiderbringlichen Verlust
aller Form zu bewahren. Der Führer, ein Bauerbursche in weißem Hemde
mit dem breiten Ledergürtel schwang die Peitsche, und unsere vier silberweißen
gehörnten Zugthiere setzten sich bedächtigen Schritts in Bewegung.

Es gibt einen Augenblick, wo die üble Laune an ihre äußerste Grenze
stößt und plötzlich in ein unaufhaltsames Lachen übergeht. So ging eS auch
uns.« Wir lachten laut auf, als unser Karren über das Straßenpflaster der
Stadt Okna holperte; die Kinder lachten mit — sogar der Ochsenführer, der
uns aber dabei ansah, als habe er die Pointe nicht recht verstanden.

Abschüssig ging eS sogleich in das Bett deS Tortusch hinein. Unser
Bursche hatte seine Pfeife angezündet und überließ uns dem guten Willen
seines Gespannes, indem er selbst weiter unten auf einem Steg über den Fluß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103283"/>
            <p xml:id="ID_487" prev="#ID_486"> fällt der aus felsiger Waldeinsamkeit kommende Starik, der den Heilquellen<lb/>
seinen Namen gibt &#x2014; längs dem Starik also, tief ins Gebirge hinein führt<lb/>
der Weg zu dem Badeorte. Mit meinem Wagen und meinen abgematteter<lb/>
Pferden konnte ich nicht weiter, das wußte ich wohl; ich brachte also Frau<lb/>
und Kinder zu Okna unter so gut es ging, und schaute mich nach einem<lb/>
anderen Fuhrwerk um.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_488"> Aus der Post wurde ich schnöde abgewiesen; ein Pferdevermiethcr lachte<lb/>
mir ins Gesicht; da nahm sich ein barmherziger Städter meiner an. &#x201E;Herr,"<lb/>
sagte er mir, &#x201E;der Trotusch und Starik sind angeschwollen, und Sie müssen<lb/>
i2 Mal durchs Wasser fahren, ehe Sie ins Bad kommen. Mit Pferden können<lb/>
Sie nicht von der Stelle." &#x2014; &#x201E;Lieber Mann," erwiederte ich ihm mit dem<lb/>
Menschenhaß eines Verzweifelnden, dem die Galle übergeht^ &#x201E;wie soll ich<lb/>
denn weiter? In Okna bleibe ich auf keinen Fall!" &#x2014; Er zog die Uhr:<lb/>
&#x201E;Spät,ist es freilich schon."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_489"> Es war etwa zwei Uhr Nachmittags, und die ganze Entfernung bis<lb/>
Starik betrug, wie gesagt, kaum zwei Meilen. Mir war, als hielt mich der<lb/>
Mensch zum Narren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_490"> &#x201E;Spät ist es freilich," fuhr er kaltblütig fort, &#x201E;aber Sie könnens versuchen.<lb/>
Nehmen Sie eine Ochsensuhre." &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_491"> Die Manifestationen der Verwunderung, das Hin- und Herrennen, &#x2014;<lb/>
nahm noch eine Stunde weg. Aber die Ochsenfuhre trug am Ende den Sieg<lb/>
davon, und ich mußte noch dazu mit ansehen, wie sich meine Kinder darauf<lb/>
freuten, einmal mit Ochsen zu fahren!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_492"> Der Karren lenkte in den Hof, eine Maschine mit ungeheuren Rädern,<lb/>
ohne den geringsten Eisenbeschlag. Faßreifen wurden über den Korb geschlagen<lb/>
und über diese ein hin und wieder mit Bindfaden befestigtes Tuch geworfen<lb/>
&#x2014; der Baldachin war fertig; unsere Wagenkoffer mußten uns als Sitze die¬<lb/>
nen, und wir krochen mühsam unter das improvisirte Dach, wo wir etwas<lb/>
gebückt sitzen mußten, um unsere Hüte vor dein unwiderbringlichen Verlust<lb/>
aller Form zu bewahren. Der Führer, ein Bauerbursche in weißem Hemde<lb/>
mit dem breiten Ledergürtel schwang die Peitsche, und unsere vier silberweißen<lb/>
gehörnten Zugthiere setzten sich bedächtigen Schritts in Bewegung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_493"> Es gibt einen Augenblick, wo die üble Laune an ihre äußerste Grenze<lb/>
stößt und plötzlich in ein unaufhaltsames Lachen übergeht. So ging eS auch<lb/>
uns.« Wir lachten laut auf, als unser Karren über das Straßenpflaster der<lb/>
Stadt Okna holperte; die Kinder lachten mit &#x2014; sogar der Ochsenführer, der<lb/>
uns aber dabei ansah, als habe er die Pointe nicht recht verstanden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_494" next="#ID_495"> Abschüssig ging eS sogleich in das Bett deS Tortusch hinein. Unser<lb/>
Bursche hatte seine Pfeife angezündet und überließ uns dem guten Willen<lb/>
seines Gespannes, indem er selbst weiter unten auf einem Steg über den Fluß</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] fällt der aus felsiger Waldeinsamkeit kommende Starik, der den Heilquellen seinen Namen gibt — längs dem Starik also, tief ins Gebirge hinein führt der Weg zu dem Badeorte. Mit meinem Wagen und meinen abgematteter Pferden konnte ich nicht weiter, das wußte ich wohl; ich brachte also Frau und Kinder zu Okna unter so gut es ging, und schaute mich nach einem anderen Fuhrwerk um. Aus der Post wurde ich schnöde abgewiesen; ein Pferdevermiethcr lachte mir ins Gesicht; da nahm sich ein barmherziger Städter meiner an. „Herr," sagte er mir, „der Trotusch und Starik sind angeschwollen, und Sie müssen i2 Mal durchs Wasser fahren, ehe Sie ins Bad kommen. Mit Pferden können Sie nicht von der Stelle." — „Lieber Mann," erwiederte ich ihm mit dem Menschenhaß eines Verzweifelnden, dem die Galle übergeht^ „wie soll ich denn weiter? In Okna bleibe ich auf keinen Fall!" — Er zog die Uhr: „Spät,ist es freilich schon." Es war etwa zwei Uhr Nachmittags, und die ganze Entfernung bis Starik betrug, wie gesagt, kaum zwei Meilen. Mir war, als hielt mich der Mensch zum Narren. „Spät ist es freilich," fuhr er kaltblütig fort, „aber Sie könnens versuchen. Nehmen Sie eine Ochsensuhre." — Die Manifestationen der Verwunderung, das Hin- und Herrennen, — nahm noch eine Stunde weg. Aber die Ochsenfuhre trug am Ende den Sieg davon, und ich mußte noch dazu mit ansehen, wie sich meine Kinder darauf freuten, einmal mit Ochsen zu fahren! Der Karren lenkte in den Hof, eine Maschine mit ungeheuren Rädern, ohne den geringsten Eisenbeschlag. Faßreifen wurden über den Korb geschlagen und über diese ein hin und wieder mit Bindfaden befestigtes Tuch geworfen — der Baldachin war fertig; unsere Wagenkoffer mußten uns als Sitze die¬ nen, und wir krochen mühsam unter das improvisirte Dach, wo wir etwas gebückt sitzen mußten, um unsere Hüte vor dein unwiderbringlichen Verlust aller Form zu bewahren. Der Führer, ein Bauerbursche in weißem Hemde mit dem breiten Ledergürtel schwang die Peitsche, und unsere vier silberweißen gehörnten Zugthiere setzten sich bedächtigen Schritts in Bewegung. Es gibt einen Augenblick, wo die üble Laune an ihre äußerste Grenze stößt und plötzlich in ein unaufhaltsames Lachen übergeht. So ging eS auch uns.« Wir lachten laut auf, als unser Karren über das Straßenpflaster der Stadt Okna holperte; die Kinder lachten mit — sogar der Ochsenführer, der uns aber dabei ansah, als habe er die Pointe nicht recht verstanden. Abschüssig ging eS sogleich in das Bett deS Tortusch hinein. Unser Bursche hatte seine Pfeife angezündet und überließ uns dem guten Willen seines Gespannes, indem er selbst weiter unten auf einem Steg über den Fluß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/150>, abgerufen am 22.12.2024.