Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

reisen. Diese sind theils der englischen Linienarmee, theils der ostindischen
Compagnie entnommen, und sie führen ihre Ercursionen unter den verschie¬
densten Vorwänden aus, um ihre Untersuchung über das Innere des Landes
und seine Vcrbindungsfähigkeit geheim zu halten.

Den Lauf der Bahn zu verstehen, muß man einen Blick auf die Natur
des Landes werfen. Man weiß, daß Kleinasten von jeher kein centrales Leben
hatte. Die Halbinsel ist als selbstständiges Ganze, etwa wie Spanien oder
Italien, niemals ausgetreten. Ihr fehlte dazu der Mittelpunkt. Alle ihre
Entwicklung war eine peripherische. Auf der Peripherie lagen im Alterthum
Troja, Heraklea, Pergamum, Smyrna, Sardes, Ephesus, Magnesia, Hali-
carnassus, Partara, Seleucia, Trachea und Tarsus; desgleichen Prusa, das
pontische Heraklea, Miletus, Sinope, Amisus, Polemonium und Trapezus;
das Innere dagegen war im Vergleich damit öde und zwar aus doppeltem
Grunde, wegen der großen Schwierigkeit der Verbindung, welche das gebirg-
durchzogene Land darbot, und sodann, weil grade an der Stelle, wo der innerste
Lebenspunkt seinen Platz gefunden hätte, da, wo sich die Diagonalen des großen
Vierecks kreutzen, eine weitausgedehnte Salzsteppe gelegen ist. Es ist die
Ebene des Salzsees, oder des Tusgöl, die unwirthbare Region zwischen
Sivri Hissar und Ak Serai. Der Flächenraum, den diese Gegend einnimmt,
kommt etwa dem des Königreichs Sachsen gleich; wenn man aber die angren¬
zenden mehr oder weniger wüsten Landschaften einrechnet, ist er um vieles
größer. Heute durchzieht den Strich die große Straße, ein Karavanenpfad,
und das Kameel leistet hier ebenso , unerläßliche Dienste, wie im Sande der
arabischen Wüste oder der Sahara. Im vergangenen Sommer wurde diese
Straße als die kürzeste Linie der Eisenbahn von der Times protegirt. Seitdem
hat man die Ueberlegung genommen, daß von einer commerciellen Ausbeutung
Kleinasiens durch diese Bahn nur wenig zu erwarten sei. Deshalb hat man
jetzt die Linie modificirt, und, wenn auch "och nicht zu einer definitiven
Entscheidung, ist man dennoch über die nachstehenden Hauptpunkte zu einem
vorläufigen Beschluß gekommen.

Die Bahn wird, wegen engstmöglicher Verbindung mit der Bahnlinie
Belgrad-Konstantinopel, von Skutari ihren Ausgang nehmen, und sich von
dort zunächst auf Jsmid dirigiren, welches einer der wichtigsten Knoten für
den kleinastatischen Verkehr werden dürfte. Südlich von Jsmid streicht ein
hohes Gebirge, welches noch wenig erforscht ist, und über dessen Wegsamkeit
erst die britischen Ingenieure genaue Auskunft gegeben haben. Sie bezeich¬
nen das Thal des Sakariastromes, der bekanntlich ins schwarze Meer mündet,
als das am bequemsten gelegene Defilee, um in dieses Labyrinth von Bergen
und Schluchten einzubrechen und zu den dahintergelegenen Gegenden, einem
Plateauland, Zugang zu gewinnen. Den eigentlichen Kamm wird die Bahn


reisen. Diese sind theils der englischen Linienarmee, theils der ostindischen
Compagnie entnommen, und sie führen ihre Ercursionen unter den verschie¬
densten Vorwänden aus, um ihre Untersuchung über das Innere des Landes
und seine Vcrbindungsfähigkeit geheim zu halten.

Den Lauf der Bahn zu verstehen, muß man einen Blick auf die Natur
des Landes werfen. Man weiß, daß Kleinasten von jeher kein centrales Leben
hatte. Die Halbinsel ist als selbstständiges Ganze, etwa wie Spanien oder
Italien, niemals ausgetreten. Ihr fehlte dazu der Mittelpunkt. Alle ihre
Entwicklung war eine peripherische. Auf der Peripherie lagen im Alterthum
Troja, Heraklea, Pergamum, Smyrna, Sardes, Ephesus, Magnesia, Hali-
carnassus, Partara, Seleucia, Trachea und Tarsus; desgleichen Prusa, das
pontische Heraklea, Miletus, Sinope, Amisus, Polemonium und Trapezus;
das Innere dagegen war im Vergleich damit öde und zwar aus doppeltem
Grunde, wegen der großen Schwierigkeit der Verbindung, welche das gebirg-
durchzogene Land darbot, und sodann, weil grade an der Stelle, wo der innerste
Lebenspunkt seinen Platz gefunden hätte, da, wo sich die Diagonalen des großen
Vierecks kreutzen, eine weitausgedehnte Salzsteppe gelegen ist. Es ist die
Ebene des Salzsees, oder des Tusgöl, die unwirthbare Region zwischen
Sivri Hissar und Ak Serai. Der Flächenraum, den diese Gegend einnimmt,
kommt etwa dem des Königreichs Sachsen gleich; wenn man aber die angren¬
zenden mehr oder weniger wüsten Landschaften einrechnet, ist er um vieles
größer. Heute durchzieht den Strich die große Straße, ein Karavanenpfad,
und das Kameel leistet hier ebenso , unerläßliche Dienste, wie im Sande der
arabischen Wüste oder der Sahara. Im vergangenen Sommer wurde diese
Straße als die kürzeste Linie der Eisenbahn von der Times protegirt. Seitdem
hat man die Ueberlegung genommen, daß von einer commerciellen Ausbeutung
Kleinasiens durch diese Bahn nur wenig zu erwarten sei. Deshalb hat man
jetzt die Linie modificirt, und, wenn auch »och nicht zu einer definitiven
Entscheidung, ist man dennoch über die nachstehenden Hauptpunkte zu einem
vorläufigen Beschluß gekommen.

Die Bahn wird, wegen engstmöglicher Verbindung mit der Bahnlinie
Belgrad-Konstantinopel, von Skutari ihren Ausgang nehmen, und sich von
dort zunächst auf Jsmid dirigiren, welches einer der wichtigsten Knoten für
den kleinastatischen Verkehr werden dürfte. Südlich von Jsmid streicht ein
hohes Gebirge, welches noch wenig erforscht ist, und über dessen Wegsamkeit
erst die britischen Ingenieure genaue Auskunft gegeben haben. Sie bezeich¬
nen das Thal des Sakariastromes, der bekanntlich ins schwarze Meer mündet,
als das am bequemsten gelegene Defilee, um in dieses Labyrinth von Bergen
und Schluchten einzubrechen und zu den dahintergelegenen Gegenden, einem
Plateauland, Zugang zu gewinnen. Den eigentlichen Kamm wird die Bahn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103243"/>
          <p xml:id="ID_321" prev="#ID_320"> reisen. Diese sind theils der englischen Linienarmee, theils der ostindischen<lb/>
Compagnie entnommen, und sie führen ihre Ercursionen unter den verschie¬<lb/>
densten Vorwänden aus, um ihre Untersuchung über das Innere des Landes<lb/>
und seine Vcrbindungsfähigkeit geheim zu halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_322"> Den Lauf der Bahn zu verstehen, muß man einen Blick auf die Natur<lb/>
des Landes werfen. Man weiß, daß Kleinasten von jeher kein centrales Leben<lb/>
hatte. Die Halbinsel ist als selbstständiges Ganze, etwa wie Spanien oder<lb/>
Italien, niemals ausgetreten. Ihr fehlte dazu der Mittelpunkt. Alle ihre<lb/>
Entwicklung war eine peripherische. Auf der Peripherie lagen im Alterthum<lb/>
Troja, Heraklea, Pergamum, Smyrna, Sardes, Ephesus, Magnesia, Hali-<lb/>
carnassus, Partara, Seleucia, Trachea und Tarsus; desgleichen Prusa, das<lb/>
pontische Heraklea, Miletus, Sinope, Amisus, Polemonium und Trapezus;<lb/>
das Innere dagegen war im Vergleich damit öde und zwar aus doppeltem<lb/>
Grunde, wegen der großen Schwierigkeit der Verbindung, welche das gebirg-<lb/>
durchzogene Land darbot, und sodann, weil grade an der Stelle, wo der innerste<lb/>
Lebenspunkt seinen Platz gefunden hätte, da, wo sich die Diagonalen des großen<lb/>
Vierecks kreutzen, eine weitausgedehnte Salzsteppe gelegen ist. Es ist die<lb/>
Ebene des Salzsees, oder des Tusgöl, die unwirthbare Region zwischen<lb/>
Sivri Hissar und Ak Serai. Der Flächenraum, den diese Gegend einnimmt,<lb/>
kommt etwa dem des Königreichs Sachsen gleich; wenn man aber die angren¬<lb/>
zenden mehr oder weniger wüsten Landschaften einrechnet, ist er um vieles<lb/>
größer. Heute durchzieht den Strich die große Straße, ein Karavanenpfad,<lb/>
und das Kameel leistet hier ebenso , unerläßliche Dienste, wie im Sande der<lb/>
arabischen Wüste oder der Sahara. Im vergangenen Sommer wurde diese<lb/>
Straße als die kürzeste Linie der Eisenbahn von der Times protegirt. Seitdem<lb/>
hat man die Ueberlegung genommen, daß von einer commerciellen Ausbeutung<lb/>
Kleinasiens durch diese Bahn nur wenig zu erwarten sei. Deshalb hat man<lb/>
jetzt die Linie modificirt, und, wenn auch »och nicht zu einer definitiven<lb/>
Entscheidung, ist man dennoch über die nachstehenden Hauptpunkte zu einem<lb/>
vorläufigen Beschluß gekommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_323" next="#ID_324"> Die Bahn wird, wegen engstmöglicher Verbindung mit der Bahnlinie<lb/>
Belgrad-Konstantinopel, von Skutari ihren Ausgang nehmen, und sich von<lb/>
dort zunächst auf Jsmid dirigiren, welches einer der wichtigsten Knoten für<lb/>
den kleinastatischen Verkehr werden dürfte. Südlich von Jsmid streicht ein<lb/>
hohes Gebirge, welches noch wenig erforscht ist, und über dessen Wegsamkeit<lb/>
erst die britischen Ingenieure genaue Auskunft gegeben haben. Sie bezeich¬<lb/>
nen das Thal des Sakariastromes, der bekanntlich ins schwarze Meer mündet,<lb/>
als das am bequemsten gelegene Defilee, um in dieses Labyrinth von Bergen<lb/>
und Schluchten einzubrechen und zu den dahintergelegenen Gegenden, einem<lb/>
Plateauland, Zugang zu gewinnen. Den eigentlichen Kamm wird die Bahn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] reisen. Diese sind theils der englischen Linienarmee, theils der ostindischen Compagnie entnommen, und sie führen ihre Ercursionen unter den verschie¬ densten Vorwänden aus, um ihre Untersuchung über das Innere des Landes und seine Vcrbindungsfähigkeit geheim zu halten. Den Lauf der Bahn zu verstehen, muß man einen Blick auf die Natur des Landes werfen. Man weiß, daß Kleinasten von jeher kein centrales Leben hatte. Die Halbinsel ist als selbstständiges Ganze, etwa wie Spanien oder Italien, niemals ausgetreten. Ihr fehlte dazu der Mittelpunkt. Alle ihre Entwicklung war eine peripherische. Auf der Peripherie lagen im Alterthum Troja, Heraklea, Pergamum, Smyrna, Sardes, Ephesus, Magnesia, Hali- carnassus, Partara, Seleucia, Trachea und Tarsus; desgleichen Prusa, das pontische Heraklea, Miletus, Sinope, Amisus, Polemonium und Trapezus; das Innere dagegen war im Vergleich damit öde und zwar aus doppeltem Grunde, wegen der großen Schwierigkeit der Verbindung, welche das gebirg- durchzogene Land darbot, und sodann, weil grade an der Stelle, wo der innerste Lebenspunkt seinen Platz gefunden hätte, da, wo sich die Diagonalen des großen Vierecks kreutzen, eine weitausgedehnte Salzsteppe gelegen ist. Es ist die Ebene des Salzsees, oder des Tusgöl, die unwirthbare Region zwischen Sivri Hissar und Ak Serai. Der Flächenraum, den diese Gegend einnimmt, kommt etwa dem des Königreichs Sachsen gleich; wenn man aber die angren¬ zenden mehr oder weniger wüsten Landschaften einrechnet, ist er um vieles größer. Heute durchzieht den Strich die große Straße, ein Karavanenpfad, und das Kameel leistet hier ebenso , unerläßliche Dienste, wie im Sande der arabischen Wüste oder der Sahara. Im vergangenen Sommer wurde diese Straße als die kürzeste Linie der Eisenbahn von der Times protegirt. Seitdem hat man die Ueberlegung genommen, daß von einer commerciellen Ausbeutung Kleinasiens durch diese Bahn nur wenig zu erwarten sei. Deshalb hat man jetzt die Linie modificirt, und, wenn auch »och nicht zu einer definitiven Entscheidung, ist man dennoch über die nachstehenden Hauptpunkte zu einem vorläufigen Beschluß gekommen. Die Bahn wird, wegen engstmöglicher Verbindung mit der Bahnlinie Belgrad-Konstantinopel, von Skutari ihren Ausgang nehmen, und sich von dort zunächst auf Jsmid dirigiren, welches einer der wichtigsten Knoten für den kleinastatischen Verkehr werden dürfte. Südlich von Jsmid streicht ein hohes Gebirge, welches noch wenig erforscht ist, und über dessen Wegsamkeit erst die britischen Ingenieure genaue Auskunft gegeben haben. Sie bezeich¬ nen das Thal des Sakariastromes, der bekanntlich ins schwarze Meer mündet, als das am bequemsten gelegene Defilee, um in dieses Labyrinth von Bergen und Schluchten einzubrechen und zu den dahintergelegenen Gegenden, einem Plateauland, Zugang zu gewinnen. Den eigentlichen Kamm wird die Bahn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/110>, abgerufen am 22.12.2024.