Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

europäische Heere werden, um über die Geschicke der Welt zu entscheiden.
Das Meer, Englands Domäne, ist ihm sicher, hier sucht es zunächst seine
Verbindungs- und Operationslinien, um unabhängig von den Wechselfällen
der europäischen Politik zu bleiben und nöthigenfalls auf sich selbst zu stehen.
Das Project, in welchem dieser Anschauung Rechnung getragen wird, ist der
bekannte Entwurf der Euphratbahn, die Verbindung des persischen Meer¬
busens Indischen Oceans) mit dem Mittelmeer, in politischem Sinne eine
doppelte Basirung der Türkei, auf Englands mediterrane Machtstellung und
auf seine indische. Diese Bahn von Seleucia oder dem Orontes bis zur
Mündung des Schad-el-Arad soll also zunächst England selbst in den Stand
setzen, den fraglichen Raum commerciell zu beherrsche" und bei neu entstehen¬
den Conflict die asiaiische Türkei und Persien wider Nußland zu vertheidigen.
Für die nächsten Zeiten wird sie, das kann man im voraus erkennen, diesen
Zwecken genügen. Aber sie wird es nicht sür alle Zukunft vermögen. Sie
läßt den Hanptmittelpunkt des türkischen Reiches, der freilich von der See zu
erreichen ist, Konstantinopel, unberührt, und durchschneidet nicht den Hauptsitz
der osmanischen Bevölkerung, Kleinasien, sondern nur Syrien und Irak. Um
das Ganze des Padischahreiches erfassen zu können, ist eine andere Verbin¬
dungslinie herzustellen und durch bedeutendere militärische Kräfte zu decken,
als England besitzt. Das ist die große Mission, die dem deutschen Volke
von fern winkt, dereinst als nächster Vorkämpfer für die Sache Europas auf
das Entscheidungsfeld zu treten, England aber liegt die Pflicht ob, ihm dazu
die Wege zu ebenen.

Wenn die europäische Türkei von einer Bahn durchzogen sein wird, die,
bei Belgrad beginnend, in Konstantinopel ihren Ausgang hat, und wenn eine
andere Bahn von Skutari quer durch Kleinasten nach Seleucia oder dem
Oroytes führt, dann wird es auch den deutschen Heeren möglich sein, am
Bosporus und am Euphrat zu erscheinen, und Rußland wird sich nicht mehr
in der vortheilhaften Lage befinden, mittelst seiner ungeheuren Fronten jeden
Angriff zu überflügeln und seine Gegner, zu umklammern, wie dies na¬
mentlich noch vor kurzem gegenüber Oestreich möglich gewesen, sondern es
wird sich selbst in der Lage befinden, der umfaßte Theil und concentrisch wir¬
kenden Angriffsstößen ausgesetzt zu sein. Endlich wäre mit dieser Bahn unter
Anschließung derselben an die von Seleucia nach Bassora die Hälfte der Arbeit
gethan, um eine Landverbindung mit Indien herzustellen.

Die Energie deS britischen Volkes hat bewirkt, daß auch dieses großartige
Project nicht mehr Project ist, sondern mit gebotener Vorsicht seiner Ausführung
entgegengeschoben wird. In diesem Augenblick läßt England das türkische
Reich nicht nur von Ingenieuren und Feldmessern, sondern auch von Militärs
aller Grade und im Besondern von jungen und talentvollen Genieoffizieren durch-


europäische Heere werden, um über die Geschicke der Welt zu entscheiden.
Das Meer, Englands Domäne, ist ihm sicher, hier sucht es zunächst seine
Verbindungs- und Operationslinien, um unabhängig von den Wechselfällen
der europäischen Politik zu bleiben und nöthigenfalls auf sich selbst zu stehen.
Das Project, in welchem dieser Anschauung Rechnung getragen wird, ist der
bekannte Entwurf der Euphratbahn, die Verbindung des persischen Meer¬
busens Indischen Oceans) mit dem Mittelmeer, in politischem Sinne eine
doppelte Basirung der Türkei, auf Englands mediterrane Machtstellung und
auf seine indische. Diese Bahn von Seleucia oder dem Orontes bis zur
Mündung des Schad-el-Arad soll also zunächst England selbst in den Stand
setzen, den fraglichen Raum commerciell zu beherrsche» und bei neu entstehen¬
den Conflict die asiaiische Türkei und Persien wider Nußland zu vertheidigen.
Für die nächsten Zeiten wird sie, das kann man im voraus erkennen, diesen
Zwecken genügen. Aber sie wird es nicht sür alle Zukunft vermögen. Sie
läßt den Hanptmittelpunkt des türkischen Reiches, der freilich von der See zu
erreichen ist, Konstantinopel, unberührt, und durchschneidet nicht den Hauptsitz
der osmanischen Bevölkerung, Kleinasien, sondern nur Syrien und Irak. Um
das Ganze des Padischahreiches erfassen zu können, ist eine andere Verbin¬
dungslinie herzustellen und durch bedeutendere militärische Kräfte zu decken,
als England besitzt. Das ist die große Mission, die dem deutschen Volke
von fern winkt, dereinst als nächster Vorkämpfer für die Sache Europas auf
das Entscheidungsfeld zu treten, England aber liegt die Pflicht ob, ihm dazu
die Wege zu ebenen.

Wenn die europäische Türkei von einer Bahn durchzogen sein wird, die,
bei Belgrad beginnend, in Konstantinopel ihren Ausgang hat, und wenn eine
andere Bahn von Skutari quer durch Kleinasten nach Seleucia oder dem
Oroytes führt, dann wird es auch den deutschen Heeren möglich sein, am
Bosporus und am Euphrat zu erscheinen, und Rußland wird sich nicht mehr
in der vortheilhaften Lage befinden, mittelst seiner ungeheuren Fronten jeden
Angriff zu überflügeln und seine Gegner, zu umklammern, wie dies na¬
mentlich noch vor kurzem gegenüber Oestreich möglich gewesen, sondern es
wird sich selbst in der Lage befinden, der umfaßte Theil und concentrisch wir¬
kenden Angriffsstößen ausgesetzt zu sein. Endlich wäre mit dieser Bahn unter
Anschließung derselben an die von Seleucia nach Bassora die Hälfte der Arbeit
gethan, um eine Landverbindung mit Indien herzustellen.

Die Energie deS britischen Volkes hat bewirkt, daß auch dieses großartige
Project nicht mehr Project ist, sondern mit gebotener Vorsicht seiner Ausführung
entgegengeschoben wird. In diesem Augenblick läßt England das türkische
Reich nicht nur von Ingenieuren und Feldmessern, sondern auch von Militärs
aller Grade und im Besondern von jungen und talentvollen Genieoffizieren durch-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103242"/>
          <p xml:id="ID_318" prev="#ID_317"> europäische Heere werden, um über die Geschicke der Welt zu entscheiden.<lb/>
Das Meer, Englands Domäne, ist ihm sicher, hier sucht es zunächst seine<lb/>
Verbindungs- und Operationslinien, um unabhängig von den Wechselfällen<lb/>
der europäischen Politik zu bleiben und nöthigenfalls auf sich selbst zu stehen.<lb/>
Das Project, in welchem dieser Anschauung Rechnung getragen wird, ist der<lb/>
bekannte Entwurf der Euphratbahn, die Verbindung des persischen Meer¬<lb/>
busens Indischen Oceans) mit dem Mittelmeer, in politischem Sinne eine<lb/>
doppelte Basirung der Türkei, auf Englands mediterrane Machtstellung und<lb/>
auf seine indische. Diese Bahn von Seleucia oder dem Orontes bis zur<lb/>
Mündung des Schad-el-Arad soll also zunächst England selbst in den Stand<lb/>
setzen, den fraglichen Raum commerciell zu beherrsche» und bei neu entstehen¬<lb/>
den Conflict die asiaiische Türkei und Persien wider Nußland zu vertheidigen.<lb/>
Für die nächsten Zeiten wird sie, das kann man im voraus erkennen, diesen<lb/>
Zwecken genügen. Aber sie wird es nicht sür alle Zukunft vermögen. Sie<lb/>
läßt den Hanptmittelpunkt des türkischen Reiches, der freilich von der See zu<lb/>
erreichen ist, Konstantinopel, unberührt, und durchschneidet nicht den Hauptsitz<lb/>
der osmanischen Bevölkerung, Kleinasien, sondern nur Syrien und Irak. Um<lb/>
das Ganze des Padischahreiches erfassen zu können, ist eine andere Verbin¬<lb/>
dungslinie herzustellen und durch bedeutendere militärische Kräfte zu decken,<lb/>
als England besitzt. Das ist die große Mission, die dem deutschen Volke<lb/>
von fern winkt, dereinst als nächster Vorkämpfer für die Sache Europas auf<lb/>
das Entscheidungsfeld zu treten, England aber liegt die Pflicht ob, ihm dazu<lb/>
die Wege zu ebenen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_319"> Wenn die europäische Türkei von einer Bahn durchzogen sein wird, die,<lb/>
bei Belgrad beginnend, in Konstantinopel ihren Ausgang hat, und wenn eine<lb/>
andere Bahn von Skutari quer durch Kleinasten nach Seleucia oder dem<lb/>
Oroytes führt, dann wird es auch den deutschen Heeren möglich sein, am<lb/>
Bosporus und am Euphrat zu erscheinen, und Rußland wird sich nicht mehr<lb/>
in der vortheilhaften Lage befinden, mittelst seiner ungeheuren Fronten jeden<lb/>
Angriff zu überflügeln und seine Gegner, zu umklammern, wie dies na¬<lb/>
mentlich noch vor kurzem gegenüber Oestreich möglich gewesen, sondern es<lb/>
wird sich selbst in der Lage befinden, der umfaßte Theil und concentrisch wir¬<lb/>
kenden Angriffsstößen ausgesetzt zu sein. Endlich wäre mit dieser Bahn unter<lb/>
Anschließung derselben an die von Seleucia nach Bassora die Hälfte der Arbeit<lb/>
gethan, um eine Landverbindung mit Indien herzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_320" next="#ID_321"> Die Energie deS britischen Volkes hat bewirkt, daß auch dieses großartige<lb/>
Project nicht mehr Project ist, sondern mit gebotener Vorsicht seiner Ausführung<lb/>
entgegengeschoben wird. In diesem Augenblick läßt England das türkische<lb/>
Reich nicht nur von Ingenieuren und Feldmessern, sondern auch von Militärs<lb/>
aller Grade und im Besondern von jungen und talentvollen Genieoffizieren durch-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] europäische Heere werden, um über die Geschicke der Welt zu entscheiden. Das Meer, Englands Domäne, ist ihm sicher, hier sucht es zunächst seine Verbindungs- und Operationslinien, um unabhängig von den Wechselfällen der europäischen Politik zu bleiben und nöthigenfalls auf sich selbst zu stehen. Das Project, in welchem dieser Anschauung Rechnung getragen wird, ist der bekannte Entwurf der Euphratbahn, die Verbindung des persischen Meer¬ busens Indischen Oceans) mit dem Mittelmeer, in politischem Sinne eine doppelte Basirung der Türkei, auf Englands mediterrane Machtstellung und auf seine indische. Diese Bahn von Seleucia oder dem Orontes bis zur Mündung des Schad-el-Arad soll also zunächst England selbst in den Stand setzen, den fraglichen Raum commerciell zu beherrsche» und bei neu entstehen¬ den Conflict die asiaiische Türkei und Persien wider Nußland zu vertheidigen. Für die nächsten Zeiten wird sie, das kann man im voraus erkennen, diesen Zwecken genügen. Aber sie wird es nicht sür alle Zukunft vermögen. Sie läßt den Hanptmittelpunkt des türkischen Reiches, der freilich von der See zu erreichen ist, Konstantinopel, unberührt, und durchschneidet nicht den Hauptsitz der osmanischen Bevölkerung, Kleinasien, sondern nur Syrien und Irak. Um das Ganze des Padischahreiches erfassen zu können, ist eine andere Verbin¬ dungslinie herzustellen und durch bedeutendere militärische Kräfte zu decken, als England besitzt. Das ist die große Mission, die dem deutschen Volke von fern winkt, dereinst als nächster Vorkämpfer für die Sache Europas auf das Entscheidungsfeld zu treten, England aber liegt die Pflicht ob, ihm dazu die Wege zu ebenen. Wenn die europäische Türkei von einer Bahn durchzogen sein wird, die, bei Belgrad beginnend, in Konstantinopel ihren Ausgang hat, und wenn eine andere Bahn von Skutari quer durch Kleinasten nach Seleucia oder dem Oroytes führt, dann wird es auch den deutschen Heeren möglich sein, am Bosporus und am Euphrat zu erscheinen, und Rußland wird sich nicht mehr in der vortheilhaften Lage befinden, mittelst seiner ungeheuren Fronten jeden Angriff zu überflügeln und seine Gegner, zu umklammern, wie dies na¬ mentlich noch vor kurzem gegenüber Oestreich möglich gewesen, sondern es wird sich selbst in der Lage befinden, der umfaßte Theil und concentrisch wir¬ kenden Angriffsstößen ausgesetzt zu sein. Endlich wäre mit dieser Bahn unter Anschließung derselben an die von Seleucia nach Bassora die Hälfte der Arbeit gethan, um eine Landverbindung mit Indien herzustellen. Die Energie deS britischen Volkes hat bewirkt, daß auch dieses großartige Project nicht mehr Project ist, sondern mit gebotener Vorsicht seiner Ausführung entgegengeschoben wird. In diesem Augenblick läßt England das türkische Reich nicht nur von Ingenieuren und Feldmessern, sondern auch von Militärs aller Grade und im Besondern von jungen und talentvollen Genieoffizieren durch-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/109>, abgerufen am 23.07.2024.