Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.fangen. Die Stellungen und Geberden sind immer edel, die Linien ent¬ Steinhäuser aus Bremen ist Jmhoff Nachbar. Bekanntlich ist von Es sind jetzt grade die Kosten gedeckt worden, doch bereut Steinhäuser Heinrich Kümmel, aus Hannover, war, als er am 31. December 18S!i fangen. Die Stellungen und Geberden sind immer edel, die Linien ent¬ Steinhäuser aus Bremen ist Jmhoff Nachbar. Bekanntlich ist von Es sind jetzt grade die Kosten gedeckt worden, doch bereut Steinhäuser Heinrich Kümmel, aus Hannover, war, als er am 31. December 18S!i <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102667"/> <p xml:id="ID_216" prev="#ID_215"> fangen. Die Stellungen und Geberden sind immer edel, die Linien ent¬<lb/> zückend, der Faltenwurf verräth den Meister. Bei stark bewegten Figuren,<lb/> bei freieren Gruppen quält er sich, wie es scheint, ohne Erfolg; sie sind eben<lb/> nicht seine Sa che.</p><lb/> <p xml:id="ID_217"> Steinhäuser aus Bremen ist Jmhoff Nachbar. Bekanntlich ist von<lb/> ihm der jetzt für Weimar acquirirte kolossale Goethe nach Bettinas Zeichnung<lb/> ausgeführt. Der Entwurf ist durch das Titelblatt zu „Goethes Brief¬<lb/> wechsel mit einem Kinde" hinlänglich bekannt. Wir konnten leider weder<lb/> die Marmor- noch die Gypsgruppe sehen; die erstere war schon nach Deutsch¬<lb/> land abgegangen. Der Künstler hat an diesem Werk sechs Jahr lang ge¬<lb/> arbeitet. Man hatte ihn von Berlin aus bestimmte Hoffnung gemacht. Sie<lb/> erwies sich indessen als nichtig.</p><lb/> <p xml:id="ID_218"> Es sind jetzt grade die Kosten gedeckt worden, doch bereut Steinhäuser<lb/> nicht, die Arbeit unternommen zu haben, so wie er überhaupt für Bettinas<lb/> Werk die größte Begeisterung bewahrt. Er ist vor einige« Jahren zum Katho¬<lb/> licismus übergetreten. Man wird das bei einem Künstler, der so viele Jahre<lb/> ,dem „alten Heiden" Goethe widmen mochte, nicht begreiflich finden. Bei den<lb/> Romantikern, zu denen Steinhäuser zählen dürfte, , laufen indeß so manche<lb/> unverfolgbare Gefühlsäden durcheinander, daß es schwer hält, sie nach dem<lb/> Maße der gewöhnlichen Logik zu messen. Heilige Stoffe scheint er selten zu<lb/> arbeiten; einige Bestellungen für den Dom zu Speier hängen wol mehr mit<lb/> seinem Uebertritt als mit seinem Geschmack zusammen. Wenigstens erklärte<lb/> sich sonst schwer die Wahl anderer Motive, wie z. B. Genoveva mit Kind und<lb/> Hirschkuh, Hero und Leander :c., alles mehr jener romantischen Richtung an¬<lb/> gehörend.</p><lb/> <p xml:id="ID_219" next="#ID_220"> Heinrich Kümmel, aus Hannover, war, als er am 31. December 18S!i<lb/> starb, wol den Fünfzigen nahe. Wir sahen halb vollendet seine Sakontala;<lb/> die „Schönhüftige" ist von dem Künstler zu keinem der vielen Motive benutzt<lb/> worden, die ihm Kalidasa an die Hand gab. Sie steht mit übereinander-<lb/> gestellten Füßen neben einer niedrigen Säule, auf welche sich ihr rechter Arm<lb/> stützt; ihr Kopf wendet sich halb über die linke Achsel. Ein Stirnband zeigt<lb/> sich zwischen Brauen und Haupthaar. Die Züge sind nicht classisch, aber pi¬<lb/> kant. Sein ausschreitender Eestuskämpfer, an die Kämpfer in Dresden ge¬<lb/> mahnend, ist nicht ganz frei von Pathos. Auch die Knochenspielerin erinnert<lb/> an ein antikes Motiv. Amor und Psyche, erstehend, sie zu seinen Füßen, neben<lb/> ihr die verhängnißvolle Pandorabüchse, ist eine reizend durchgeführte Gruppe.<lb/> Der auf Delllas Schoß schlummernde Simson ist schön, aber das donnernde<lb/> „Philister, über euch!" traut man ihm auch wachend nicht zu. General Al-<lb/> ters großes Standbild wurde in Bronze für Hannover ausgeführt. Eine<lb/> italienische Aehrenleserin mit Kind gehört in die Kategorie jener marmornen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
fangen. Die Stellungen und Geberden sind immer edel, die Linien ent¬
zückend, der Faltenwurf verräth den Meister. Bei stark bewegten Figuren,
bei freieren Gruppen quält er sich, wie es scheint, ohne Erfolg; sie sind eben
nicht seine Sa che.
Steinhäuser aus Bremen ist Jmhoff Nachbar. Bekanntlich ist von
ihm der jetzt für Weimar acquirirte kolossale Goethe nach Bettinas Zeichnung
ausgeführt. Der Entwurf ist durch das Titelblatt zu „Goethes Brief¬
wechsel mit einem Kinde" hinlänglich bekannt. Wir konnten leider weder
die Marmor- noch die Gypsgruppe sehen; die erstere war schon nach Deutsch¬
land abgegangen. Der Künstler hat an diesem Werk sechs Jahr lang ge¬
arbeitet. Man hatte ihn von Berlin aus bestimmte Hoffnung gemacht. Sie
erwies sich indessen als nichtig.
Es sind jetzt grade die Kosten gedeckt worden, doch bereut Steinhäuser
nicht, die Arbeit unternommen zu haben, so wie er überhaupt für Bettinas
Werk die größte Begeisterung bewahrt. Er ist vor einige« Jahren zum Katho¬
licismus übergetreten. Man wird das bei einem Künstler, der so viele Jahre
,dem „alten Heiden" Goethe widmen mochte, nicht begreiflich finden. Bei den
Romantikern, zu denen Steinhäuser zählen dürfte, , laufen indeß so manche
unverfolgbare Gefühlsäden durcheinander, daß es schwer hält, sie nach dem
Maße der gewöhnlichen Logik zu messen. Heilige Stoffe scheint er selten zu
arbeiten; einige Bestellungen für den Dom zu Speier hängen wol mehr mit
seinem Uebertritt als mit seinem Geschmack zusammen. Wenigstens erklärte
sich sonst schwer die Wahl anderer Motive, wie z. B. Genoveva mit Kind und
Hirschkuh, Hero und Leander :c., alles mehr jener romantischen Richtung an¬
gehörend.
Heinrich Kümmel, aus Hannover, war, als er am 31. December 18S!i
starb, wol den Fünfzigen nahe. Wir sahen halb vollendet seine Sakontala;
die „Schönhüftige" ist von dem Künstler zu keinem der vielen Motive benutzt
worden, die ihm Kalidasa an die Hand gab. Sie steht mit übereinander-
gestellten Füßen neben einer niedrigen Säule, auf welche sich ihr rechter Arm
stützt; ihr Kopf wendet sich halb über die linke Achsel. Ein Stirnband zeigt
sich zwischen Brauen und Haupthaar. Die Züge sind nicht classisch, aber pi¬
kant. Sein ausschreitender Eestuskämpfer, an die Kämpfer in Dresden ge¬
mahnend, ist nicht ganz frei von Pathos. Auch die Knochenspielerin erinnert
an ein antikes Motiv. Amor und Psyche, erstehend, sie zu seinen Füßen, neben
ihr die verhängnißvolle Pandorabüchse, ist eine reizend durchgeführte Gruppe.
Der auf Delllas Schoß schlummernde Simson ist schön, aber das donnernde
„Philister, über euch!" traut man ihm auch wachend nicht zu. General Al-
ters großes Standbild wurde in Bronze für Hannover ausgeführt. Eine
italienische Aehrenleserin mit Kind gehört in die Kategorie jener marmornen
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