Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dränge Lust machen. Noch jetzt ist seine Erscheinung die eines Handwerkers
norddeutschen Schlages, und der unverwüstliche westphälische Dialekt stempelt
alles, was er spricht, mit dem Scheine zungenlahmer Unbeholfenheit, die ihn,
den "schlichten Mann", wie er sich nennt, manchem Spott aussetzt. Er steht
durch diese Eigenthümlichkeit seiner Erscheinung ziemlich einsam da, hat wenig
Zusammenhang mit den übrigen deutschen Künstlern, und lebt um so unge¬
störter in der kindlichen Gemüthswelt seiner heiligen Geschichten, die er ohne
Klügelei und frommen Witz in der ganzen Ursprünglichkeit ihrer Einfalt
auffaßt.

Parallelen zwischen dem Düsseldorfer Mintrop, und dem römischen
Achtermann wären interessant. Beider Talente sind bedeutend, beide ver¬
säumten die Jünglingszeit, der eine hinterm Pfluge, der andre an der Drechsel¬
bank; beide sind Katholiken und heiligen Darstellungen zugethan, beide kindlich
in ihrer Empfindung und dem Zerrbilde abgeneigt, wie es die streitende Kirche
nicht selten dem Künstler in die Seele pflanzt. Den einen schuld die Akademie,
der andere steht unter dem Einflüsse strenggläubiger Besteller. Die Zeit muß
lehren, wie sich die Kunst in beiden lauter erhält und ob sie ihre Bahnen
unbeirrt gehen wird.

Der Schweizer Im Hof, circa 45 Jahr alt und leidender Körperverfassung,
wohnt nicht weit von Achtermann. Er hat sich mit vielem Geschick in
Stoffen des alten Testaments als tüchtiger Künstler bethätigt. Judith, Ruth,
Moses Aussetzung, Rebecca, Tobias sind Kunstwerke von schöner Einfachheit
und Strenge, von denen die meisten öfter nachbestellt wurden. Größere Gruppen
scheinen ihm weniger gelingen zu wollen. Rachel und Jacob, mit deren Aus¬
führung er eben beschäftigt war, sind nur von einer Seite günstig zu sehen.
Auch Adam und Er-a, ein ohnehin etwas abgenutztes Motiv, von dem ver¬
storbenen Kaiser von Rußland bestellt, später aber wegen des Kriegs contre-
mandirt, lassen die harmonische-Abrundung und Untrennbarkeit vermissen, ohne
welche eine Gruppe nie wohlthuend wirken kann. In der Art, wie Eva neben
dem stehenden Adam kniet, beide in Front und Gott gegenüber gedacht, wird
man an die Stellung des ersten Gliedes eines Füselierbataillons beim Feuer¬
geben erinnert. -- Die über alles liebliche Aussetzung Mose befindet sich in
dem Besitz deS verstorbenen Kaisers Nikolaus. Auch zwei kleine spielende
Amorinen waren für ihn in Arbeit. Hagar mit dem verschmachtender Ismael
kann nicht schöner und zu Herzen sprechender erfunden werden. Dagegen
waren weder Flora noch Atalante von wohlthuender Wirkung.

Jmhof trifft mit großer Feinheit den Ausdruck ernster Sammlung, ver¬
schämter Befangenheit, schmerzlicher Ermattung; wo er den niederbückenden
Kopf einer jener jüdischen Frauen deS alten Testaments meißelt, da ist er
seines Erfolgs gewiß; man gibt sich dem wohlthuenden Eindruck gern ge-


dränge Lust machen. Noch jetzt ist seine Erscheinung die eines Handwerkers
norddeutschen Schlages, und der unverwüstliche westphälische Dialekt stempelt
alles, was er spricht, mit dem Scheine zungenlahmer Unbeholfenheit, die ihn,
den „schlichten Mann", wie er sich nennt, manchem Spott aussetzt. Er steht
durch diese Eigenthümlichkeit seiner Erscheinung ziemlich einsam da, hat wenig
Zusammenhang mit den übrigen deutschen Künstlern, und lebt um so unge¬
störter in der kindlichen Gemüthswelt seiner heiligen Geschichten, die er ohne
Klügelei und frommen Witz in der ganzen Ursprünglichkeit ihrer Einfalt
auffaßt.

Parallelen zwischen dem Düsseldorfer Mintrop, und dem römischen
Achtermann wären interessant. Beider Talente sind bedeutend, beide ver¬
säumten die Jünglingszeit, der eine hinterm Pfluge, der andre an der Drechsel¬
bank; beide sind Katholiken und heiligen Darstellungen zugethan, beide kindlich
in ihrer Empfindung und dem Zerrbilde abgeneigt, wie es die streitende Kirche
nicht selten dem Künstler in die Seele pflanzt. Den einen schuld die Akademie,
der andere steht unter dem Einflüsse strenggläubiger Besteller. Die Zeit muß
lehren, wie sich die Kunst in beiden lauter erhält und ob sie ihre Bahnen
unbeirrt gehen wird.

Der Schweizer Im Hof, circa 45 Jahr alt und leidender Körperverfassung,
wohnt nicht weit von Achtermann. Er hat sich mit vielem Geschick in
Stoffen des alten Testaments als tüchtiger Künstler bethätigt. Judith, Ruth,
Moses Aussetzung, Rebecca, Tobias sind Kunstwerke von schöner Einfachheit
und Strenge, von denen die meisten öfter nachbestellt wurden. Größere Gruppen
scheinen ihm weniger gelingen zu wollen. Rachel und Jacob, mit deren Aus¬
führung er eben beschäftigt war, sind nur von einer Seite günstig zu sehen.
Auch Adam und Er-a, ein ohnehin etwas abgenutztes Motiv, von dem ver¬
storbenen Kaiser von Rußland bestellt, später aber wegen des Kriegs contre-
mandirt, lassen die harmonische-Abrundung und Untrennbarkeit vermissen, ohne
welche eine Gruppe nie wohlthuend wirken kann. In der Art, wie Eva neben
dem stehenden Adam kniet, beide in Front und Gott gegenüber gedacht, wird
man an die Stellung des ersten Gliedes eines Füselierbataillons beim Feuer¬
geben erinnert. — Die über alles liebliche Aussetzung Mose befindet sich in
dem Besitz deS verstorbenen Kaisers Nikolaus. Auch zwei kleine spielende
Amorinen waren für ihn in Arbeit. Hagar mit dem verschmachtender Ismael
kann nicht schöner und zu Herzen sprechender erfunden werden. Dagegen
waren weder Flora noch Atalante von wohlthuender Wirkung.

Jmhof trifft mit großer Feinheit den Ausdruck ernster Sammlung, ver¬
schämter Befangenheit, schmerzlicher Ermattung; wo er den niederbückenden
Kopf einer jener jüdischen Frauen deS alten Testaments meißelt, da ist er
seines Erfolgs gewiß; man gibt sich dem wohlthuenden Eindruck gern ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0071" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102666"/>
          <p xml:id="ID_212" prev="#ID_211"> dränge Lust machen. Noch jetzt ist seine Erscheinung die eines Handwerkers<lb/>
norddeutschen Schlages, und der unverwüstliche westphälische Dialekt stempelt<lb/>
alles, was er spricht, mit dem Scheine zungenlahmer Unbeholfenheit, die ihn,<lb/>
den &#x201E;schlichten Mann", wie er sich nennt, manchem Spott aussetzt. Er steht<lb/>
durch diese Eigenthümlichkeit seiner Erscheinung ziemlich einsam da, hat wenig<lb/>
Zusammenhang mit den übrigen deutschen Künstlern, und lebt um so unge¬<lb/>
störter in der kindlichen Gemüthswelt seiner heiligen Geschichten, die er ohne<lb/>
Klügelei und frommen Witz in der ganzen Ursprünglichkeit ihrer Einfalt<lb/>
auffaßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_213"> Parallelen zwischen dem Düsseldorfer Mintrop, und dem römischen<lb/>
Achtermann wären interessant. Beider Talente sind bedeutend, beide ver¬<lb/>
säumten die Jünglingszeit, der eine hinterm Pfluge, der andre an der Drechsel¬<lb/>
bank; beide sind Katholiken und heiligen Darstellungen zugethan, beide kindlich<lb/>
in ihrer Empfindung und dem Zerrbilde abgeneigt, wie es die streitende Kirche<lb/>
nicht selten dem Künstler in die Seele pflanzt. Den einen schuld die Akademie,<lb/>
der andere steht unter dem Einflüsse strenggläubiger Besteller. Die Zeit muß<lb/>
lehren, wie sich die Kunst in beiden lauter erhält und ob sie ihre Bahnen<lb/>
unbeirrt gehen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_214"> Der Schweizer Im Hof, circa 45 Jahr alt und leidender Körperverfassung,<lb/>
wohnt nicht weit von Achtermann. Er hat sich mit vielem Geschick in<lb/>
Stoffen des alten Testaments als tüchtiger Künstler bethätigt. Judith, Ruth,<lb/>
Moses Aussetzung, Rebecca, Tobias sind Kunstwerke von schöner Einfachheit<lb/>
und Strenge, von denen die meisten öfter nachbestellt wurden. Größere Gruppen<lb/>
scheinen ihm weniger gelingen zu wollen. Rachel und Jacob, mit deren Aus¬<lb/>
führung er eben beschäftigt war, sind nur von einer Seite günstig zu sehen.<lb/>
Auch Adam und Er-a, ein ohnehin etwas abgenutztes Motiv, von dem ver¬<lb/>
storbenen Kaiser von Rußland bestellt, später aber wegen des Kriegs contre-<lb/>
mandirt, lassen die harmonische-Abrundung und Untrennbarkeit vermissen, ohne<lb/>
welche eine Gruppe nie wohlthuend wirken kann. In der Art, wie Eva neben<lb/>
dem stehenden Adam kniet, beide in Front und Gott gegenüber gedacht, wird<lb/>
man an die Stellung des ersten Gliedes eines Füselierbataillons beim Feuer¬<lb/>
geben erinnert. &#x2014; Die über alles liebliche Aussetzung Mose befindet sich in<lb/>
dem Besitz deS verstorbenen Kaisers Nikolaus. Auch zwei kleine spielende<lb/>
Amorinen waren für ihn in Arbeit. Hagar mit dem verschmachtender Ismael<lb/>
kann nicht schöner und zu Herzen sprechender erfunden werden. Dagegen<lb/>
waren weder Flora noch Atalante von wohlthuender Wirkung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215" next="#ID_216"> Jmhof trifft mit großer Feinheit den Ausdruck ernster Sammlung, ver¬<lb/>
schämter Befangenheit, schmerzlicher Ermattung; wo er den niederbückenden<lb/>
Kopf einer jener jüdischen Frauen deS alten Testaments meißelt, da ist er<lb/>
seines Erfolgs gewiß; man gibt sich dem wohlthuenden Eindruck gern ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0071] dränge Lust machen. Noch jetzt ist seine Erscheinung die eines Handwerkers norddeutschen Schlages, und der unverwüstliche westphälische Dialekt stempelt alles, was er spricht, mit dem Scheine zungenlahmer Unbeholfenheit, die ihn, den „schlichten Mann", wie er sich nennt, manchem Spott aussetzt. Er steht durch diese Eigenthümlichkeit seiner Erscheinung ziemlich einsam da, hat wenig Zusammenhang mit den übrigen deutschen Künstlern, und lebt um so unge¬ störter in der kindlichen Gemüthswelt seiner heiligen Geschichten, die er ohne Klügelei und frommen Witz in der ganzen Ursprünglichkeit ihrer Einfalt auffaßt. Parallelen zwischen dem Düsseldorfer Mintrop, und dem römischen Achtermann wären interessant. Beider Talente sind bedeutend, beide ver¬ säumten die Jünglingszeit, der eine hinterm Pfluge, der andre an der Drechsel¬ bank; beide sind Katholiken und heiligen Darstellungen zugethan, beide kindlich in ihrer Empfindung und dem Zerrbilde abgeneigt, wie es die streitende Kirche nicht selten dem Künstler in die Seele pflanzt. Den einen schuld die Akademie, der andere steht unter dem Einflüsse strenggläubiger Besteller. Die Zeit muß lehren, wie sich die Kunst in beiden lauter erhält und ob sie ihre Bahnen unbeirrt gehen wird. Der Schweizer Im Hof, circa 45 Jahr alt und leidender Körperverfassung, wohnt nicht weit von Achtermann. Er hat sich mit vielem Geschick in Stoffen des alten Testaments als tüchtiger Künstler bethätigt. Judith, Ruth, Moses Aussetzung, Rebecca, Tobias sind Kunstwerke von schöner Einfachheit und Strenge, von denen die meisten öfter nachbestellt wurden. Größere Gruppen scheinen ihm weniger gelingen zu wollen. Rachel und Jacob, mit deren Aus¬ führung er eben beschäftigt war, sind nur von einer Seite günstig zu sehen. Auch Adam und Er-a, ein ohnehin etwas abgenutztes Motiv, von dem ver¬ storbenen Kaiser von Rußland bestellt, später aber wegen des Kriegs contre- mandirt, lassen die harmonische-Abrundung und Untrennbarkeit vermissen, ohne welche eine Gruppe nie wohlthuend wirken kann. In der Art, wie Eva neben dem stehenden Adam kniet, beide in Front und Gott gegenüber gedacht, wird man an die Stellung des ersten Gliedes eines Füselierbataillons beim Feuer¬ geben erinnert. — Die über alles liebliche Aussetzung Mose befindet sich in dem Besitz deS verstorbenen Kaisers Nikolaus. Auch zwei kleine spielende Amorinen waren für ihn in Arbeit. Hagar mit dem verschmachtender Ismael kann nicht schöner und zu Herzen sprechender erfunden werden. Dagegen waren weder Flora noch Atalante von wohlthuender Wirkung. Jmhof trifft mit großer Feinheit den Ausdruck ernster Sammlung, ver¬ schämter Befangenheit, schmerzlicher Ermattung; wo er den niederbückenden Kopf einer jener jüdischen Frauen deS alten Testaments meißelt, da ist er seines Erfolgs gewiß; man gibt sich dem wohlthuenden Eindruck gern ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/71
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/71>, abgerufen am 23.07.2024.