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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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das Ganze aus einem Blocke. Am höchsten steht Joseph von Arimathia, auf
dessen einem Knie der Unterkörper des Gekreuzigten ruht. Christi Haupt hält
Marie, aufrechtstehend an ihrer Brust. An der entgegengesetzten Seite sind
Martha und Magdalena beschäftigt, die eine, die Füße des Erlösers sanft der
Erde zu nähern, die andere, das Blut der Wundenmale in dem heilige"
Graalgefäße aufzufangen. Joseph ist eine kräftige Gestalt, ernst und denkend;
er hat den todten Körper, ehe er ihn begräbt, in diejenige Lage gebracht,
welche es der Maria gestattet, Christi Haupt an ihre Brust zu drücken. Da ist
nichts Lastendes, Mühsames in irgend einer Stellung, und ebensowenig herrscht
bei der Mutter ein andres Gefühl vor, als das der Befriedigung mitten im
Schmerz, ihren Sohn wieder so nahe zu haben. Es ist Ruhe in der Be¬
wegung. Der Künstler hat eine Unterbrechung der Handlung eintreten lassen,
ein Athemschöpfen des Joseph, eine Gelegenheit den Frauen zur Darbringung
ihrer letzten Liebeserzeugungen.

So weit wir die Gruppe halbfertig beurtheilen können, verspricht sie in
allen Theilen die edelste Wirkung. Zugleich ist durch die milde, doch stand¬
hafte Haltung der Maria dem Gegenstande eine jener unerquicklichen Seiten
genommen, welche fast alle bisherigen Kreuzabnahmen auszeichnete. Immer
ließ man die Mutter im Schmerz zusammensinken; selbst Michel Angelo läßt
sie ohnmächtig werden.

Achtermann sagt uns, es habe ihn diese Auffassung nie befriedigt; er
habe sich lange und lebhaft in die Empfindung einer vielgeprüften Mutter
hineingedacht, und sei zu dem Schlüsse gekommen, daß die Sehnsucht, das
geliebte Haupt wieder berühren und an sich drücken zu können, sie aufrecht
halten müsse.

Der Block, woraus die Gruppe gefertigt wird, wog bei seiner Ankunft
aus Carrara 600 Centner, und sieben Tage und sieben Nächte dauerte der
Transport vom Hafen Roms bis nach Achtermanns Atelier, nahe der Piazza
del Tritone. Jetzt ist nur noch etwa ein Drittheil des Gewichtes übrig.

Bei der ungeheuren Größe der Gruppe (nach dem Toro Farnese wol die
größte, welche je aus einem Stück gefertigt wurde) stellten sich der feinen
Ausführung der Details in Thon Schwierigkeiten entgegen. Er sieht sich
deshalb genöthigt mehr als sonst der Fall ist, in Marmyr selbst auszuführen,'
und die Hilfe seiner Mitarbeiter beschränkt sich auf die rohen Contoure.
Achtzehn Monate hatte er, als wir ihn zuletzt besuchte", schon an dem Werke
gearbeitet. Möglich wurde die Ausführung des letztern erst, wenn wir recht
erinnern, durch die Zuschüsse des Königs von Preußen, der sich überhaupt
für Achtermann interessut.

Seine besten Jahre ginge" dem Künstler verloren; er war Tischlergeselle
und konnte höchstens hin und wieder mit Holzschnitzer seinem Gestaltungö-


das Ganze aus einem Blocke. Am höchsten steht Joseph von Arimathia, auf
dessen einem Knie der Unterkörper des Gekreuzigten ruht. Christi Haupt hält
Marie, aufrechtstehend an ihrer Brust. An der entgegengesetzten Seite sind
Martha und Magdalena beschäftigt, die eine, die Füße des Erlösers sanft der
Erde zu nähern, die andere, das Blut der Wundenmale in dem heilige»
Graalgefäße aufzufangen. Joseph ist eine kräftige Gestalt, ernst und denkend;
er hat den todten Körper, ehe er ihn begräbt, in diejenige Lage gebracht,
welche es der Maria gestattet, Christi Haupt an ihre Brust zu drücken. Da ist
nichts Lastendes, Mühsames in irgend einer Stellung, und ebensowenig herrscht
bei der Mutter ein andres Gefühl vor, als das der Befriedigung mitten im
Schmerz, ihren Sohn wieder so nahe zu haben. Es ist Ruhe in der Be¬
wegung. Der Künstler hat eine Unterbrechung der Handlung eintreten lassen,
ein Athemschöpfen des Joseph, eine Gelegenheit den Frauen zur Darbringung
ihrer letzten Liebeserzeugungen.

So weit wir die Gruppe halbfertig beurtheilen können, verspricht sie in
allen Theilen die edelste Wirkung. Zugleich ist durch die milde, doch stand¬
hafte Haltung der Maria dem Gegenstande eine jener unerquicklichen Seiten
genommen, welche fast alle bisherigen Kreuzabnahmen auszeichnete. Immer
ließ man die Mutter im Schmerz zusammensinken; selbst Michel Angelo läßt
sie ohnmächtig werden.

Achtermann sagt uns, es habe ihn diese Auffassung nie befriedigt; er
habe sich lange und lebhaft in die Empfindung einer vielgeprüften Mutter
hineingedacht, und sei zu dem Schlüsse gekommen, daß die Sehnsucht, das
geliebte Haupt wieder berühren und an sich drücken zu können, sie aufrecht
halten müsse.

Der Block, woraus die Gruppe gefertigt wird, wog bei seiner Ankunft
aus Carrara 600 Centner, und sieben Tage und sieben Nächte dauerte der
Transport vom Hafen Roms bis nach Achtermanns Atelier, nahe der Piazza
del Tritone. Jetzt ist nur noch etwa ein Drittheil des Gewichtes übrig.

Bei der ungeheuren Größe der Gruppe (nach dem Toro Farnese wol die
größte, welche je aus einem Stück gefertigt wurde) stellten sich der feinen
Ausführung der Details in Thon Schwierigkeiten entgegen. Er sieht sich
deshalb genöthigt mehr als sonst der Fall ist, in Marmyr selbst auszuführen,'
und die Hilfe seiner Mitarbeiter beschränkt sich auf die rohen Contoure.
Achtzehn Monate hatte er, als wir ihn zuletzt besuchte», schon an dem Werke
gearbeitet. Möglich wurde die Ausführung des letztern erst, wenn wir recht
erinnern, durch die Zuschüsse des Königs von Preußen, der sich überhaupt
für Achtermann interessut.

Seine besten Jahre ginge» dem Künstler verloren; er war Tischlergeselle
und konnte höchstens hin und wieder mit Holzschnitzer seinem Gestaltungö-


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[0070] das Ganze aus einem Blocke. Am höchsten steht Joseph von Arimathia, auf dessen einem Knie der Unterkörper des Gekreuzigten ruht. Christi Haupt hält Marie, aufrechtstehend an ihrer Brust. An der entgegengesetzten Seite sind Martha und Magdalena beschäftigt, die eine, die Füße des Erlösers sanft der Erde zu nähern, die andere, das Blut der Wundenmale in dem heilige» Graalgefäße aufzufangen. Joseph ist eine kräftige Gestalt, ernst und denkend; er hat den todten Körper, ehe er ihn begräbt, in diejenige Lage gebracht, welche es der Maria gestattet, Christi Haupt an ihre Brust zu drücken. Da ist nichts Lastendes, Mühsames in irgend einer Stellung, und ebensowenig herrscht bei der Mutter ein andres Gefühl vor, als das der Befriedigung mitten im Schmerz, ihren Sohn wieder so nahe zu haben. Es ist Ruhe in der Be¬ wegung. Der Künstler hat eine Unterbrechung der Handlung eintreten lassen, ein Athemschöpfen des Joseph, eine Gelegenheit den Frauen zur Darbringung ihrer letzten Liebeserzeugungen. So weit wir die Gruppe halbfertig beurtheilen können, verspricht sie in allen Theilen die edelste Wirkung. Zugleich ist durch die milde, doch stand¬ hafte Haltung der Maria dem Gegenstande eine jener unerquicklichen Seiten genommen, welche fast alle bisherigen Kreuzabnahmen auszeichnete. Immer ließ man die Mutter im Schmerz zusammensinken; selbst Michel Angelo läßt sie ohnmächtig werden. Achtermann sagt uns, es habe ihn diese Auffassung nie befriedigt; er habe sich lange und lebhaft in die Empfindung einer vielgeprüften Mutter hineingedacht, und sei zu dem Schlüsse gekommen, daß die Sehnsucht, das geliebte Haupt wieder berühren und an sich drücken zu können, sie aufrecht halten müsse. Der Block, woraus die Gruppe gefertigt wird, wog bei seiner Ankunft aus Carrara 600 Centner, und sieben Tage und sieben Nächte dauerte der Transport vom Hafen Roms bis nach Achtermanns Atelier, nahe der Piazza del Tritone. Jetzt ist nur noch etwa ein Drittheil des Gewichtes übrig. Bei der ungeheuren Größe der Gruppe (nach dem Toro Farnese wol die größte, welche je aus einem Stück gefertigt wurde) stellten sich der feinen Ausführung der Details in Thon Schwierigkeiten entgegen. Er sieht sich deshalb genöthigt mehr als sonst der Fall ist, in Marmyr selbst auszuführen,' und die Hilfe seiner Mitarbeiter beschränkt sich auf die rohen Contoure. Achtzehn Monate hatte er, als wir ihn zuletzt besuchte», schon an dem Werke gearbeitet. Möglich wurde die Ausführung des letztern erst, wenn wir recht erinnern, durch die Zuschüsse des Königs von Preußen, der sich überhaupt für Achtermann interessut. Seine besten Jahre ginge» dem Künstler verloren; er war Tischlergeselle und konnte höchstens hin und wieder mit Holzschnitzer seinem Gestaltungö-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/70>, abgerufen am 23.07.2024.