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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Ganzen und die dadurch bedingte würdigere Ansicht von der Bestimmung des
Volkes wurden immer mehr Gemeingut. Namentlich wirkten in Frankreich in
diesem Sinne auch die Encyklopädisten. Man fing an, sich mehr mit dem
Volke zu beschäftigen, und wie man früher genaue Verzeichnisse darüber an¬
gefertigt hatte, wie viel Hasen bei dieser oder jener Hosjagd erlegt, oder wie
viele Händeküsse an bestimmten Tagen allerhöchst bewilligt worden waren, so
berechnete man jetzt, wie viel Scheffel Korn das Volk zu seinem Unterhalte
brauche, wie viel das Nachbarland producire und im Nothfalle abgeben könne.
In Deutschland fing man die Sache zuerst theoretisch an. Um die Mitte deS
18. Jahrhunderts wurden auf vielen deutschen Universitäten schon statistische
Kollegien gelesen, und G. AchcnwallS Werk: "Allgemeiner Begriff der Statistik"
ist bekannt genug. Später beschäftigten sich mit der Statistik in Deutschland
namentlich: Büsching, Schlözer, Sprengel, Walch, Süßmilch, Krug, Schubert,
Hee.ren, Mannert, Hassel, Stein, die Mitarbeiter des Staatslerikons in.
Diese Männer gehörten eigentlich mehr dem Gelehrtenstande an. Unter ihnen
und ihren Nachfolgern entstanden die historische, mathematische und ökonomische
Schule. -- Ausschließlich praktisch von Staatsmännern und Regierungen wurde
die Statistik erst seit dem ersten Decennium dieses Jahrhunderts behandelt.
Eine Haupranregung dazu ging namentlich auch von Belgien aus, wo Quetelet,
Secretär der Akademie in Brüssel, sich um die neuere Statistik vorzugsweise
verdient gemacht hat, sowol durch die mühsamsten Sammlungen, als auch
durch die ernstesten Forschungen. Unter seinem Vorsitz besteht seit langen
Jahren eine besondere Centralcommission für Statistik in Brüssel, deren große,
je einen Zeitraum von 10 Jahren umfassende Berichte berühmt geworden sind,
und von der auch die Anregung zu dem vor einigen Monaten in Brüssel ab¬
gehaltenen statistische Congreß, auf den wir weiter unten zurückkommen, aus¬
gegangen ist. Die Idee eines allgemeinen statistischen Congresses hatte Ferry
1838 schon in seinem victionnairs Ah la conversaUorr in Aufnahme gebracht.
Die Germanistenversammlung in Lübeck beschäftigte sich 4 847 damit, eine
Section ausschließlich für Statistik zu gründen. Das Nähere sollte 1848 in
Nürnberg bei der nächsten Sitzung festgesetzt werden. Die Bewegungen des
Jahres 18i8 verhinderten die Ausbildung dieser Idee.

Unter den deutschen Staaten ist es besonders Preußen, daS durch seine
neuern statistischen Arbeiten sich ausgezeichnet hat und hervorragende Statistiker
(Dieterici, H^ffmann, Otto Hübner) zählt. Der große Kurfürst hatte, als
er die durch den dreißigjährigen Krieg so sehr verwüstete Mark wieder an¬
zubauen begann, schon genaue Land- und Volksverzeichnisse aufnehmen lassen.
Friedrich der Große beschäftigte sich später bei seinen Kriegen und bei Ein¬
führung der Regie, bei Gründung der Bank und der Seehanvlung, so wie bei
Sammlung der Materialien zum allgemeinen Landrecht viel mit Statistik.


Ganzen und die dadurch bedingte würdigere Ansicht von der Bestimmung des
Volkes wurden immer mehr Gemeingut. Namentlich wirkten in Frankreich in
diesem Sinne auch die Encyklopädisten. Man fing an, sich mehr mit dem
Volke zu beschäftigen, und wie man früher genaue Verzeichnisse darüber an¬
gefertigt hatte, wie viel Hasen bei dieser oder jener Hosjagd erlegt, oder wie
viele Händeküsse an bestimmten Tagen allerhöchst bewilligt worden waren, so
berechnete man jetzt, wie viel Scheffel Korn das Volk zu seinem Unterhalte
brauche, wie viel das Nachbarland producire und im Nothfalle abgeben könne.
In Deutschland fing man die Sache zuerst theoretisch an. Um die Mitte deS
18. Jahrhunderts wurden auf vielen deutschen Universitäten schon statistische
Kollegien gelesen, und G. AchcnwallS Werk: „Allgemeiner Begriff der Statistik"
ist bekannt genug. Später beschäftigten sich mit der Statistik in Deutschland
namentlich: Büsching, Schlözer, Sprengel, Walch, Süßmilch, Krug, Schubert,
Hee.ren, Mannert, Hassel, Stein, die Mitarbeiter des Staatslerikons in.
Diese Männer gehörten eigentlich mehr dem Gelehrtenstande an. Unter ihnen
und ihren Nachfolgern entstanden die historische, mathematische und ökonomische
Schule. — Ausschließlich praktisch von Staatsmännern und Regierungen wurde
die Statistik erst seit dem ersten Decennium dieses Jahrhunderts behandelt.
Eine Haupranregung dazu ging namentlich auch von Belgien aus, wo Quetelet,
Secretär der Akademie in Brüssel, sich um die neuere Statistik vorzugsweise
verdient gemacht hat, sowol durch die mühsamsten Sammlungen, als auch
durch die ernstesten Forschungen. Unter seinem Vorsitz besteht seit langen
Jahren eine besondere Centralcommission für Statistik in Brüssel, deren große,
je einen Zeitraum von 10 Jahren umfassende Berichte berühmt geworden sind,
und von der auch die Anregung zu dem vor einigen Monaten in Brüssel ab¬
gehaltenen statistische Congreß, auf den wir weiter unten zurückkommen, aus¬
gegangen ist. Die Idee eines allgemeinen statistischen Congresses hatte Ferry
1838 schon in seinem victionnairs Ah la conversaUorr in Aufnahme gebracht.
Die Germanistenversammlung in Lübeck beschäftigte sich 4 847 damit, eine
Section ausschließlich für Statistik zu gründen. Das Nähere sollte 1848 in
Nürnberg bei der nächsten Sitzung festgesetzt werden. Die Bewegungen des
Jahres 18i8 verhinderten die Ausbildung dieser Idee.

Unter den deutschen Staaten ist es besonders Preußen, daS durch seine
neuern statistischen Arbeiten sich ausgezeichnet hat und hervorragende Statistiker
(Dieterici, H^ffmann, Otto Hübner) zählt. Der große Kurfürst hatte, als
er die durch den dreißigjährigen Krieg so sehr verwüstete Mark wieder an¬
zubauen begann, schon genaue Land- und Volksverzeichnisse aufnehmen lassen.
Friedrich der Große beschäftigte sich später bei seinen Kriegen und bei Ein¬
führung der Regie, bei Gründung der Bank und der Seehanvlung, so wie bei
Sammlung der Materialien zum allgemeinen Landrecht viel mit Statistik.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/63>, abgerufen am 23.07.2024.