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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Kalifen eine Art Zehnten, der aber nach dem Durchschnitt mehrer Jahre
für einen bestimmten Zeitraum firirt wurde. Alles dieses erforderte statistische
Ermittlungen.

Im Abendlande war es zunächst Karl der Große, der ein statistisches
"Inhaltsverzeichnis?" seines weiten Reiches entwerfen ließ. Auch seinen. Ge¬
setzen über die Zehnten und über den Heerbann mußten statistische Ermittlunge"
zu Grunde liegen. Die Sendgrafen belegten ihre Berichte auf den Provinzial-
versammlungen häufig mit statistischen Angaben, die gesammelt und der Reichs¬
versammlung vorgelegt wurden. Die desfallsigen Arbeiten wurden-aufbewahrt
und eS fragt sich, ob sie nicht bei der Theilung in Verdun zu Hilfe genom¬
men sind. In der nun folgenden finstern Zeit der Hierarchie und des Lehns¬
wesens, unter fortwährenden blutigen Kämpfen und innern Zerrüttungen der
Staaten, unter dem Versinken der Wissenschaft in Mysticismus und ihrem
immer mehr zunehmenden Entfremden von der Wirklichkeit, wurde für die
Staatswissenschaften und alles, was damit zusammenhängt, so viel wie gar
nichts gethan. Als nach den Kreuzzttgen der merkwürdige Wendepunkt in der
Entwicklung der Völker eintrat, wo sie das Schwert, das bisher die Dinge
der Welt ausschließlich regiert hatte, einsteckten, und als von nun an der Han¬
del das Hauptagens staatlichen Gedeihens und Fortschrittes wurde, begann
sich auch das Interesse für die Volkswirtschaft und die Statistik zu regen, noch
besonders genährt durch die Ausbildung des öffentlichen Credites, durch die
Errichtung von Banken, durch die Aufstellung von Staatsbudgets. Ganz
Venedig, war wie ein großes Handlungshaus, das ordnungsmäßig seine
Bücher führt und seine Handelsunternehmungen auf gründliche Berechnungen
stützt. Die Privaten mußten über jede größere Handelsunternehmung sorgfäl¬
tige Berichte erstatten, ebenso die Consularagenten der mächtigen Republik über
den Zustand der Völker und Länder, in denen sie sich aufhielten. Die auf
diese Weise erhaltenen statistischen Materialien wurden zusammengestellt und
auch schon veröffentlicht. Sie sind noch heute die Quellen mancher vortreffli¬
chen Abhandlung geworden. Auch bei dem Abschluß der Handelsverträge
dienten sie zur Grundlage. Was im Süden die italienischen Handelsstaa¬
ten Venedig und Genua in dieser Beziehung thaten, das bewirkte für
den Norden in ähnlicher Weise die Hansa. Die Buchdruckerkunst konnte
nur vortheilhaft auf die Entwicklung und Verbreitung der Statistik einwirken.
Den wesentlichsten Fortschritt. aber machte sie, seitdem die Wissenschaft
im Handel auftrat und handelspolitische Theorien und Systeme errichtet
wurden. Der Geburtstag der Statistik als Wissenschaft datirt eigentlich von
dem Zeitpunkte, wo Adam Smith auftrat und seine Beobachtungen und Ge¬
danken über Volkswirthschaft veröffentlichte, und die Gesetze der letztern aus¬
stellte. Die Auffassung des Staats als eines organischen, freien, selbstständigen


Kalifen eine Art Zehnten, der aber nach dem Durchschnitt mehrer Jahre
für einen bestimmten Zeitraum firirt wurde. Alles dieses erforderte statistische
Ermittlungen.

Im Abendlande war es zunächst Karl der Große, der ein statistisches
„Inhaltsverzeichnis?" seines weiten Reiches entwerfen ließ. Auch seinen. Ge¬
setzen über die Zehnten und über den Heerbann mußten statistische Ermittlunge»
zu Grunde liegen. Die Sendgrafen belegten ihre Berichte auf den Provinzial-
versammlungen häufig mit statistischen Angaben, die gesammelt und der Reichs¬
versammlung vorgelegt wurden. Die desfallsigen Arbeiten wurden-aufbewahrt
und eS fragt sich, ob sie nicht bei der Theilung in Verdun zu Hilfe genom¬
men sind. In der nun folgenden finstern Zeit der Hierarchie und des Lehns¬
wesens, unter fortwährenden blutigen Kämpfen und innern Zerrüttungen der
Staaten, unter dem Versinken der Wissenschaft in Mysticismus und ihrem
immer mehr zunehmenden Entfremden von der Wirklichkeit, wurde für die
Staatswissenschaften und alles, was damit zusammenhängt, so viel wie gar
nichts gethan. Als nach den Kreuzzttgen der merkwürdige Wendepunkt in der
Entwicklung der Völker eintrat, wo sie das Schwert, das bisher die Dinge
der Welt ausschließlich regiert hatte, einsteckten, und als von nun an der Han¬
del das Hauptagens staatlichen Gedeihens und Fortschrittes wurde, begann
sich auch das Interesse für die Volkswirtschaft und die Statistik zu regen, noch
besonders genährt durch die Ausbildung des öffentlichen Credites, durch die
Errichtung von Banken, durch die Aufstellung von Staatsbudgets. Ganz
Venedig, war wie ein großes Handlungshaus, das ordnungsmäßig seine
Bücher führt und seine Handelsunternehmungen auf gründliche Berechnungen
stützt. Die Privaten mußten über jede größere Handelsunternehmung sorgfäl¬
tige Berichte erstatten, ebenso die Consularagenten der mächtigen Republik über
den Zustand der Völker und Länder, in denen sie sich aufhielten. Die auf
diese Weise erhaltenen statistischen Materialien wurden zusammengestellt und
auch schon veröffentlicht. Sie sind noch heute die Quellen mancher vortreffli¬
chen Abhandlung geworden. Auch bei dem Abschluß der Handelsverträge
dienten sie zur Grundlage. Was im Süden die italienischen Handelsstaa¬
ten Venedig und Genua in dieser Beziehung thaten, das bewirkte für
den Norden in ähnlicher Weise die Hansa. Die Buchdruckerkunst konnte
nur vortheilhaft auf die Entwicklung und Verbreitung der Statistik einwirken.
Den wesentlichsten Fortschritt. aber machte sie, seitdem die Wissenschaft
im Handel auftrat und handelspolitische Theorien und Systeme errichtet
wurden. Der Geburtstag der Statistik als Wissenschaft datirt eigentlich von
dem Zeitpunkte, wo Adam Smith auftrat und seine Beobachtungen und Ge¬
danken über Volkswirthschaft veröffentlichte, und die Gesetze der letztern aus¬
stellte. Die Auffassung des Staats als eines organischen, freien, selbstständigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/62>, abgerufen am 23.07.2024.