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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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eigentliches Feld war die Aesthetik und es ist auch jedenfalls besser, daß sie
uns eine Ilias und eine medicäische Nemus hinterlassen haben, als wenn wir
wüßten, wie viel Esel zur Zeit des Alcibiades auf 100 Griechen gekommen
sind. Die Gesetzgebung der Griechen war mehr auf allgemeine philosophische Maxi¬
men gegründet, wahrend die der Römer wesentlich von der praktischen Erfah¬
rung ausging. Bei den Römern waren die Gesetze die Folge, bei den Grie¬
chen die Ursache der Sitten und Gebräuche. -- Lykurg hatte, nach Plutarch,
eine neue, sehr inS Einzelne gehende Vertheilung des Gebiets von Sparta
vorgenommen. Dieses scheint der erste Gesetzgebungsact in Griechenland ge¬
wesen zu sein, bei dem die Statistik zu Hilfe genommen ist. Solon hatte
die bekannte Seisachtheia (Lasterleichterung) die wesentlich in Finanzoperationen
bestand, und die Eintheilung des athenienstschen Volkes in Vermögensclassen
ohne statistische Nachweise nicht vornehmen können. -- Bei den Persern
führte Darius (vergl. Heeren) zuerst ein ziemlich umfassendes und gutes Steuer¬
system ein, während früher die Provinzen dem Hofe nur Geschenke gemacht
hatten. Auch ließ er eine Bodenschätzung vornehmen und ergriff andere Finanz¬
maßregeln, so daß die Perser ihn, nach Hevodot, bekanntlich einen Krämer
nannten. Das Kastensystem der Inder, auf dem auch ihre Steuergesetzgebung,
so wie das Eigenthumsverhältniß (vergl. das Manurechtsbuch) gegründet war,
ist bekannt. Die Phönizier, obwol sie die Rechenkunst und die Buchstaben¬
schrift erfunden haben sollen, beschäftigten sich, wenn auch viel mit Handel,
Schiffahrt und Geographie, doch weniger mit statistischen Ermittlungen zu
Regierungszwecken, da dieser Handelöstacit aus lauter einzelnen Städten mit
besondern Regierungen bestand, deren Verhältnisse sich leicht übersehen ließen.
Die Macedonier sind nur als eroberndes Volk in der Geschichte bekannter
geworden und Alexanders statistische Ermittlungen werden sich auf Heereszäh-
lungen :c. erstreckt haben. In China soll schon im 3ten Jahrhundert vor
Christi behufs einer neuen GebietSeintheilung eine allgemeine Landesstatistik
entworfen worden sein. Statistische Arbeiten zu concreten Negierungszwecken
wurden schon ums Jahr 2K00 v. Chr. unter der Dynastie der Hiäh, der China
viel verdankt, vorgenommen; später unter Thsin im Jahre 236 v. Ch. beson¬
ders wegen Vertheilung der Auflagen, welche die umfassenden Kanalbauten
veranlaßten. Auch die Vertheilung des Ackers durch den Kaiser, als Eigen¬
thümer alles Landes, nach Zehntheilen gab zu statistischen Ermittlungen An¬
laß. Als die alte classische Welt in der Sündflut der Völkerwanderung
unterging, überkamen die Araber zunächst das Vermächtnis) der Weltbil¬
dung. Bei ihrer vorherrschenden Liebe zu Zahlenmanipulationen beschäftigten
sie sich auch ziemlich viel mit Statistik. Doch fehlte es ihren desfallsigen
Arbeiten sehr an Klarheit. Von den Ueberwundenen erhoben sie eine Kopf¬
steuer (Dschisijet) und eine Art Bobensteuer (Charadsch). Sie selbst gaben den


eigentliches Feld war die Aesthetik und es ist auch jedenfalls besser, daß sie
uns eine Ilias und eine medicäische Nemus hinterlassen haben, als wenn wir
wüßten, wie viel Esel zur Zeit des Alcibiades auf 100 Griechen gekommen
sind. Die Gesetzgebung der Griechen war mehr auf allgemeine philosophische Maxi¬
men gegründet, wahrend die der Römer wesentlich von der praktischen Erfah¬
rung ausging. Bei den Römern waren die Gesetze die Folge, bei den Grie¬
chen die Ursache der Sitten und Gebräuche. — Lykurg hatte, nach Plutarch,
eine neue, sehr inS Einzelne gehende Vertheilung des Gebiets von Sparta
vorgenommen. Dieses scheint der erste Gesetzgebungsact in Griechenland ge¬
wesen zu sein, bei dem die Statistik zu Hilfe genommen ist. Solon hatte
die bekannte Seisachtheia (Lasterleichterung) die wesentlich in Finanzoperationen
bestand, und die Eintheilung des athenienstschen Volkes in Vermögensclassen
ohne statistische Nachweise nicht vornehmen können. — Bei den Persern
führte Darius (vergl. Heeren) zuerst ein ziemlich umfassendes und gutes Steuer¬
system ein, während früher die Provinzen dem Hofe nur Geschenke gemacht
hatten. Auch ließ er eine Bodenschätzung vornehmen und ergriff andere Finanz¬
maßregeln, so daß die Perser ihn, nach Hevodot, bekanntlich einen Krämer
nannten. Das Kastensystem der Inder, auf dem auch ihre Steuergesetzgebung,
so wie das Eigenthumsverhältniß (vergl. das Manurechtsbuch) gegründet war,
ist bekannt. Die Phönizier, obwol sie die Rechenkunst und die Buchstaben¬
schrift erfunden haben sollen, beschäftigten sich, wenn auch viel mit Handel,
Schiffahrt und Geographie, doch weniger mit statistischen Ermittlungen zu
Regierungszwecken, da dieser Handelöstacit aus lauter einzelnen Städten mit
besondern Regierungen bestand, deren Verhältnisse sich leicht übersehen ließen.
Die Macedonier sind nur als eroberndes Volk in der Geschichte bekannter
geworden und Alexanders statistische Ermittlungen werden sich auf Heereszäh-
lungen :c. erstreckt haben. In China soll schon im 3ten Jahrhundert vor
Christi behufs einer neuen GebietSeintheilung eine allgemeine Landesstatistik
entworfen worden sein. Statistische Arbeiten zu concreten Negierungszwecken
wurden schon ums Jahr 2K00 v. Chr. unter der Dynastie der Hiäh, der China
viel verdankt, vorgenommen; später unter Thsin im Jahre 236 v. Ch. beson¬
ders wegen Vertheilung der Auflagen, welche die umfassenden Kanalbauten
veranlaßten. Auch die Vertheilung des Ackers durch den Kaiser, als Eigen¬
thümer alles Landes, nach Zehntheilen gab zu statistischen Ermittlungen An¬
laß. Als die alte classische Welt in der Sündflut der Völkerwanderung
unterging, überkamen die Araber zunächst das Vermächtnis) der Weltbil¬
dung. Bei ihrer vorherrschenden Liebe zu Zahlenmanipulationen beschäftigten
sie sich auch ziemlich viel mit Statistik. Doch fehlte es ihren desfallsigen
Arbeiten sehr an Klarheit. Von den Ueberwundenen erhoben sie eine Kopf¬
steuer (Dschisijet) und eine Art Bobensteuer (Charadsch). Sie selbst gaben den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/61>, abgerufen am 23.07.2024.