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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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kraftloser durch die Erbtheilungen, zwischen slawischer Zügellosigkeit, wie deutscher
Bedächtigkeit und Unentschlossenheit. Zwar das 13. Jahrhundert und die
nächste Zeit segnete das Land mit mehr als einem klugen, ja großen Fürsten, und
im 14. Jahrhundert, unter dem Schutz des gewissenlosen, aber klugen Luxem¬
burgers, Kaiser Karl IV., blühte das Land auf. Noch jetzt können wir mit
großer Wahrscheinlichkeit aus einem Landbuch des Fürstenthums Breslau
schließen, daß zur Zeit Karl IV. das mittlere Schlesien mehr angebautes Acker¬
land hatte, als 400 Jahr später bei der preußischen Besitznahme. Und in
jener guten Zeit muß sich bereits viel vom schlesischen Volkscharakter aus-'
gebildet haben. Das 13. Jahrhundert brachte dem Land die furchtbare Geißel
der Hussitenkriege. Bereits damals, als die fanatischen Krieger deS Kelches
die Dörfer Schlesiens niederbrannten, die Klöster aussengten, und was geistlich
war, in die Flammen warfen, in jener fürchterlichen Zeit, wo nicht die KriegS-
schrecken eines Jahres, sondern fast eines Jahrhunderts das Land heimsuchten,
ist die eigenthümliche schlesische Art zu erkennen, sowol in der Sprache und Dar¬
stellung der Einzelnen, welche uns die Leiden der Zeit erzählen, als in dem
Verhalten des Volksstammes selbst. Wenn die Heerhaufen über das Gebirge
im Oberland einbrachen, und das Land mit Greuel und Mord füllten, da
zogen die Bürgerschaften der einzelnen Städte in der ersten Hitze tapfrer
Männer mit unübertrefflichem Muth gegen den Feind aus, und wenn die
Heerhaufen einander gegenüber lagen, begannen die schwächeren Schlesier den
Böhmen die gröbsten Worte hinübersagen zu lassen und dieselben durch launige
Zusendung todter Hunde in die übelste Stimmung zu versetzen; bei solchem
gegenseitigen Schelten und Höhnen waren die Schlesier am eifrigsten. Wenn
aber die kühle Nacht kam vor dem Kampfe, da wurde in ihnen Das bedächtige
Element, und ein verständiges Abwägen der beiderseitigen Kräfte mächtig, und
mehr als einmal faßten sie den Plan, klug zu handeln und sich zurückzuziehen,
oder wie der ehrliche Martin v. Bolkenheim als Zeitgenosse die Sache dar¬
stellt, "sie grauelten sich und zogen heim". Daß sie unter andern Verhält¬
nissen nicht furchtsam waren, haben sie in diesem schweren Jahrhundert oft be¬
weisen müssen. Uno als im Jahr 1488 Herzog Hans v. Sagan, eine wüste
Gestalt aus den Grenzkriegen, sieben ehrbare Rathsmänner seiner eignen
Stadt Glogau in den Thurm warf und verhungern ließ, weil sie sich geweigert
hatten, gegen einen beschworenen Vertrag zu hanveln, da war das allerdings
recht deutsch, daß die sieben Märtyrer selbst über ihr Verhungern pünktlich
und gewissenhaft Buch führten, und Gott schriftlich um Barmherzigkeit und
ein seliges Ende baten, aber wieder echt schlesisch ist eS, daß der Schreiber
dieses furchtbaren Tagebuchs noch ein gewisses düsteres Behagen darin findet,
über daS Schmerzliche seines Schicksals zu reflectiren und in den letzten Zeilen,
l>le er vor dem Tode schrieb, das Bedenkliche seiner Lage durch die Mitthei-


kraftloser durch die Erbtheilungen, zwischen slawischer Zügellosigkeit, wie deutscher
Bedächtigkeit und Unentschlossenheit. Zwar das 13. Jahrhundert und die
nächste Zeit segnete das Land mit mehr als einem klugen, ja großen Fürsten, und
im 14. Jahrhundert, unter dem Schutz des gewissenlosen, aber klugen Luxem¬
burgers, Kaiser Karl IV., blühte das Land auf. Noch jetzt können wir mit
großer Wahrscheinlichkeit aus einem Landbuch des Fürstenthums Breslau
schließen, daß zur Zeit Karl IV. das mittlere Schlesien mehr angebautes Acker¬
land hatte, als 400 Jahr später bei der preußischen Besitznahme. Und in
jener guten Zeit muß sich bereits viel vom schlesischen Volkscharakter aus-'
gebildet haben. Das 13. Jahrhundert brachte dem Land die furchtbare Geißel
der Hussitenkriege. Bereits damals, als die fanatischen Krieger deS Kelches
die Dörfer Schlesiens niederbrannten, die Klöster aussengten, und was geistlich
war, in die Flammen warfen, in jener fürchterlichen Zeit, wo nicht die KriegS-
schrecken eines Jahres, sondern fast eines Jahrhunderts das Land heimsuchten,
ist die eigenthümliche schlesische Art zu erkennen, sowol in der Sprache und Dar¬
stellung der Einzelnen, welche uns die Leiden der Zeit erzählen, als in dem
Verhalten des Volksstammes selbst. Wenn die Heerhaufen über das Gebirge
im Oberland einbrachen, und das Land mit Greuel und Mord füllten, da
zogen die Bürgerschaften der einzelnen Städte in der ersten Hitze tapfrer
Männer mit unübertrefflichem Muth gegen den Feind aus, und wenn die
Heerhaufen einander gegenüber lagen, begannen die schwächeren Schlesier den
Böhmen die gröbsten Worte hinübersagen zu lassen und dieselben durch launige
Zusendung todter Hunde in die übelste Stimmung zu versetzen; bei solchem
gegenseitigen Schelten und Höhnen waren die Schlesier am eifrigsten. Wenn
aber die kühle Nacht kam vor dem Kampfe, da wurde in ihnen Das bedächtige
Element, und ein verständiges Abwägen der beiderseitigen Kräfte mächtig, und
mehr als einmal faßten sie den Plan, klug zu handeln und sich zurückzuziehen,
oder wie der ehrliche Martin v. Bolkenheim als Zeitgenosse die Sache dar¬
stellt, „sie grauelten sich und zogen heim". Daß sie unter andern Verhält¬
nissen nicht furchtsam waren, haben sie in diesem schweren Jahrhundert oft be¬
weisen müssen. Uno als im Jahr 1488 Herzog Hans v. Sagan, eine wüste
Gestalt aus den Grenzkriegen, sieben ehrbare Rathsmänner seiner eignen
Stadt Glogau in den Thurm warf und verhungern ließ, weil sie sich geweigert
hatten, gegen einen beschworenen Vertrag zu hanveln, da war das allerdings
recht deutsch, daß die sieben Märtyrer selbst über ihr Verhungern pünktlich
und gewissenhaft Buch führten, und Gott schriftlich um Barmherzigkeit und
ein seliges Ende baten, aber wieder echt schlesisch ist eS, daß der Schreiber
dieses furchtbaren Tagebuchs noch ein gewisses düsteres Behagen darin findet,
über daS Schmerzliche seines Schicksals zu reflectiren und in den letzten Zeilen,
l>le er vor dem Tode schrieb, das Bedenkliche seiner Lage durch die Mitthei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/56>, abgerufen am 23.07.2024.