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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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schen Germanen ausgebildet, daß sie einen sinnigen Genuß darin finden, sich
mit aller Wärme und dem Reichthum ihres Gemüthes zu i,oliren, und sur sich
allein, oder mit kleinen Kreisen von Genossen sest abzuschließen gegen das
Ganze, diese kleinen ummauerten Kreise ihres Lebens aber so sehr durch
Formen, Bilder und Gebrauche zu beschränken, daß sie schwerfällig werden,
roo es darauf ankommt, frisch weg zu wagen, und von dem eignen Wesen
zum Nutzen der Gesammtheit zu opfern. Zu solcher Anlage kam in festen
etwas von der leichten Sorglosigkeit der Slawen und von ihrer Virtuosttat,
die ganze Lebenskraft im Genuß des Augenblicks zu concentriren. Daraus
entstand ein lebhaftes Volk von gutmüthiger Art, heiterem S.um, genugsam,
höflich und gastfrei, eifrig und unternehmungslustig, arbeusam, wie alle Deut¬
sche, aber nicht vorzugsweise dauerhaft und nicht vorzugsweise sorgfältig; von
einer unübertrefflichen'Elasticität, aber ohne gewichtigen Ernst, behende und
reichlich in Worten, aber nicht ebenso eilig bei der That, mit e.nem welchen
Gemüth, sehr geneigt, Fremdes anzuerkennen und auf sich wirken zu lassen;
und doch mit nüchternem Urtheil, welches ihnen die Gefahr verringert,
das eigne Wesen auszuopfern; beim Genuß heiterer, ja poetischer als die
meisten andern Stämme, aber in seinem idealen Leben vielleicht ohne die Große
massiverer Volksnaturen. Wie das Volk ist auch sein Dialekt, breit, verglich,
sorglos fallen die Worte von den Lippen; meist reich an liebkosenden Verklei¬
nerungswörtern und an abgeleiteten Verden, welche gemüthliche Nüancen der
Zustände oder Handlungen bezeichnen, hat er manche alterthümliche Stämme
und nicht wenig umgeformte Slawenwörter und bezeugt noch jetzt durch die
vielen Besonderheiten, welche einzelne Theile der Provinz, ja einzelne Orte ha¬
ben , daß das Land durch Colonisten aus verschiedenen Gegenden der großen
Heimath germanisirt wurde.

Dem Volke, welches so entstand, wurde ein leichtes Leben nicht beschieden,
und alle Beweglichkeit, die sie von den Slawen, und alle höhere Lebenskraft,
die sie von den Deutschen geerbt hatten, waren nöthig, um sie vor dem Unter¬
gange zu bewahren. Wie ein Keil zwischen Böhmen und Polen getrieben l>is
nahe an Ungarn heran, haben sie sich mit allen drei Vollen gerauft, Schläge
ausgetheilt und von den stärkern.Nachbarn Schläge erhalten. Nie war es
ihnen vergönnt, das Selbstgefühl eines einigen Volkes zu bekommen; wie
groß auch die Kraft einzelner Gemeinden und Bünde geworden war, dem
äußern Feinde gegenüber waren die Schlesier fast immer getheilt. Hin und
her geworfen zwischen polnischer und böhmischer Oberherrschaft, nicht selten im
Kampfe gegen den Oberherrn, wurde die Landschaft gezwungen, alle schwachen
und bösartigen Händel, welche die Fürstenhäuser untereinander und mit den
Nachbar" hatten, durch Blut und Geld zu bezahlen. Und die Geschlechter
der Fürsten selbst schwankten zwischen deutschem und polnischem Wesen, immer


schen Germanen ausgebildet, daß sie einen sinnigen Genuß darin finden, sich
mit aller Wärme und dem Reichthum ihres Gemüthes zu i,oliren, und sur sich
allein, oder mit kleinen Kreisen von Genossen sest abzuschließen gegen das
Ganze, diese kleinen ummauerten Kreise ihres Lebens aber so sehr durch
Formen, Bilder und Gebrauche zu beschränken, daß sie schwerfällig werden,
roo es darauf ankommt, frisch weg zu wagen, und von dem eignen Wesen
zum Nutzen der Gesammtheit zu opfern. Zu solcher Anlage kam in festen
etwas von der leichten Sorglosigkeit der Slawen und von ihrer Virtuosttat,
die ganze Lebenskraft im Genuß des Augenblicks zu concentriren. Daraus
entstand ein lebhaftes Volk von gutmüthiger Art, heiterem S.um, genugsam,
höflich und gastfrei, eifrig und unternehmungslustig, arbeusam, wie alle Deut¬
sche, aber nicht vorzugsweise dauerhaft und nicht vorzugsweise sorgfältig; von
einer unübertrefflichen'Elasticität, aber ohne gewichtigen Ernst, behende und
reichlich in Worten, aber nicht ebenso eilig bei der That, mit e.nem welchen
Gemüth, sehr geneigt, Fremdes anzuerkennen und auf sich wirken zu lassen;
und doch mit nüchternem Urtheil, welches ihnen die Gefahr verringert,
das eigne Wesen auszuopfern; beim Genuß heiterer, ja poetischer als die
meisten andern Stämme, aber in seinem idealen Leben vielleicht ohne die Große
massiverer Volksnaturen. Wie das Volk ist auch sein Dialekt, breit, verglich,
sorglos fallen die Worte von den Lippen; meist reich an liebkosenden Verklei¬
nerungswörtern und an abgeleiteten Verden, welche gemüthliche Nüancen der
Zustände oder Handlungen bezeichnen, hat er manche alterthümliche Stämme
und nicht wenig umgeformte Slawenwörter und bezeugt noch jetzt durch die
vielen Besonderheiten, welche einzelne Theile der Provinz, ja einzelne Orte ha¬
ben , daß das Land durch Colonisten aus verschiedenen Gegenden der großen
Heimath germanisirt wurde.

Dem Volke, welches so entstand, wurde ein leichtes Leben nicht beschieden,
und alle Beweglichkeit, die sie von den Slawen, und alle höhere Lebenskraft,
die sie von den Deutschen geerbt hatten, waren nöthig, um sie vor dem Unter¬
gange zu bewahren. Wie ein Keil zwischen Böhmen und Polen getrieben l>is
nahe an Ungarn heran, haben sie sich mit allen drei Vollen gerauft, Schläge
ausgetheilt und von den stärkern.Nachbarn Schläge erhalten. Nie war es
ihnen vergönnt, das Selbstgefühl eines einigen Volkes zu bekommen; wie
groß auch die Kraft einzelner Gemeinden und Bünde geworden war, dem
äußern Feinde gegenüber waren die Schlesier fast immer getheilt. Hin und
her geworfen zwischen polnischer und böhmischer Oberherrschaft, nicht selten im
Kampfe gegen den Oberherrn, wurde die Landschaft gezwungen, alle schwachen
und bösartigen Händel, welche die Fürstenhäuser untereinander und mit den
Nachbar» hatten, durch Blut und Geld zu bezahlen. Und die Geschlechter
der Fürsten selbst schwankten zwischen deutschem und polnischem Wesen, immer


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[0055] schen Germanen ausgebildet, daß sie einen sinnigen Genuß darin finden, sich mit aller Wärme und dem Reichthum ihres Gemüthes zu i,oliren, und sur sich allein, oder mit kleinen Kreisen von Genossen sest abzuschließen gegen das Ganze, diese kleinen ummauerten Kreise ihres Lebens aber so sehr durch Formen, Bilder und Gebrauche zu beschränken, daß sie schwerfällig werden, roo es darauf ankommt, frisch weg zu wagen, und von dem eignen Wesen zum Nutzen der Gesammtheit zu opfern. Zu solcher Anlage kam in festen etwas von der leichten Sorglosigkeit der Slawen und von ihrer Virtuosttat, die ganze Lebenskraft im Genuß des Augenblicks zu concentriren. Daraus entstand ein lebhaftes Volk von gutmüthiger Art, heiterem S.um, genugsam, höflich und gastfrei, eifrig und unternehmungslustig, arbeusam, wie alle Deut¬ sche, aber nicht vorzugsweise dauerhaft und nicht vorzugsweise sorgfältig; von einer unübertrefflichen'Elasticität, aber ohne gewichtigen Ernst, behende und reichlich in Worten, aber nicht ebenso eilig bei der That, mit e.nem welchen Gemüth, sehr geneigt, Fremdes anzuerkennen und auf sich wirken zu lassen; und doch mit nüchternem Urtheil, welches ihnen die Gefahr verringert, das eigne Wesen auszuopfern; beim Genuß heiterer, ja poetischer als die meisten andern Stämme, aber in seinem idealen Leben vielleicht ohne die Große massiverer Volksnaturen. Wie das Volk ist auch sein Dialekt, breit, verglich, sorglos fallen die Worte von den Lippen; meist reich an liebkosenden Verklei¬ nerungswörtern und an abgeleiteten Verden, welche gemüthliche Nüancen der Zustände oder Handlungen bezeichnen, hat er manche alterthümliche Stämme und nicht wenig umgeformte Slawenwörter und bezeugt noch jetzt durch die vielen Besonderheiten, welche einzelne Theile der Provinz, ja einzelne Orte ha¬ ben , daß das Land durch Colonisten aus verschiedenen Gegenden der großen Heimath germanisirt wurde. Dem Volke, welches so entstand, wurde ein leichtes Leben nicht beschieden, und alle Beweglichkeit, die sie von den Slawen, und alle höhere Lebenskraft, die sie von den Deutschen geerbt hatten, waren nöthig, um sie vor dem Unter¬ gange zu bewahren. Wie ein Keil zwischen Böhmen und Polen getrieben l>is nahe an Ungarn heran, haben sie sich mit allen drei Vollen gerauft, Schläge ausgetheilt und von den stärkern.Nachbarn Schläge erhalten. Nie war es ihnen vergönnt, das Selbstgefühl eines einigen Volkes zu bekommen; wie groß auch die Kraft einzelner Gemeinden und Bünde geworden war, dem äußern Feinde gegenüber waren die Schlesier fast immer getheilt. Hin und her geworfen zwischen polnischer und böhmischer Oberherrschaft, nicht selten im Kampfe gegen den Oberherrn, wurde die Landschaft gezwungen, alle schwachen und bösartigen Händel, welche die Fürstenhäuser untereinander und mit den Nachbar» hatten, durch Blut und Geld zu bezahlen. Und die Geschlechter der Fürsten selbst schwankten zwischen deutschem und polnischem Wesen, immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/55>, abgerufen am 23.07.2024.