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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Morgen und waren für mehre Tage zu jeder Bewegung unfähig. An dem letzten
Tag des Januars schreibt Dr. Kane in sein Tagebuch:

"Unsere Kranken werden schlechter, denn unsere Jagd bringt nichts heim
und wir sind fortwährend ohne frische Nahrung. Der Mangel rohen Fuchs-
fleischeö für einen einzigen Tag zeigt sich an dem Eintritt des Skorbuts. Blut¬
sturz wird gewöhnlich. Meine Mannschaft -- ich habe keine Mannschaft mehr
-- die Inhaber meiner Bettstellen wollen nicht zugeben, daß ihnen ein einziger
Dienst erlassen wird. Ich kann Peterson nicht dazu bringen, den neuen
Fußweg zu versuchen. Doch der schlimmste Monat ist zu Ende. Es ist etwas,
doch lebendig und im Stande, zu schreiben, sein. Noch keiner hat die letzte
dunkle Reise angetreten und der 31. Januar steht vor uns."

Eine Woche später finden wir folgende Betrachtung.

"Noch immer keine Vorräthe. Drei von uns waren den ganzen Tag
aus, ohne einen Schuß zu thun. Hans glaubt, er sah ein paar Rennthiere
von ferne, und seine Augen täuschen ihn selten. Er will ihnen morgen nach¬
gehn. Ich habe für ihn ein Zelt und Schlafsaal auf dem zweiten Flachland
in Bereitschaft gelegt, und der Thermometer steht jetzt so wenig unter Null,
daß er -im Stande sein wird, für eine nachhaltige Jagd draußen zu bleiben.
Unsere Kranken verlieren infolge des Mangels frischer Nahrung den Muth.
Sie ist das einzige Specificum. In großer Menge vertreibt sie daS Uebel; in
gewöhnlichem Maße verhindert sie seinen Eintritt, in kleinen Dosen lindert sie,
indem sie den Kranken aufrecht erhält. . .

... Ich bin nicht frei von Symptomen des Scorbut. Ich bemerke eine
Steifheit in meinen Sehnen, eine Beschränkung des Athems, und eine Schwere
in den Gliedern, welche gewöhnlich den Ausbruch zu begleiten pflegt. Doch
habe ich keines der bedenklicheren Symptome. Ich kann mit Rüstigkeit umher¬
gehen, sobald ich warm geworden bin. Ich habe kein Binden des Zahnflei¬
sches, und was besser ist als alles, ich fühle, Gott sei Dank, keine Nieder¬
geschlagenheit. Ich schlafe wohl und träume viel -- hauptsächlich von Erfolgen
der Jagd, oder einer doppelten Portion Nennthier und Pemmikan."

Den 23. Februar erschien der erste Strahl der zurückkehrenden Sonne.
Kane eilte hinaus, den schwachen Schimmer mit Rührung zu begrüßen. ,,Das
ist das dritte Mal, sagt er, daß ich die Sonne nach der langen Nacht eines
arktischen Winters wieder erscheinen sehe."

Die Erpedition konnte nicht früher als den 20. Mai daS Fahrzeug ver¬
lassen, welches unerschütterlich im Eise festgemauert stand, indem man die
Marschrichtung nach den Anstellungen der Grönlandsküste einschlug. Während
dieser Reise waren sie nicht mit sich allein beschäftigt. Nach jeder Erholung
von ihren unbeschreiblichen Leiden wurde die Forschung nach den Ueberresten
Franklins aufgenommen und erst nach mehrfachen vergeblichen Anstrengungen


Morgen und waren für mehre Tage zu jeder Bewegung unfähig. An dem letzten
Tag des Januars schreibt Dr. Kane in sein Tagebuch:

„Unsere Kranken werden schlechter, denn unsere Jagd bringt nichts heim
und wir sind fortwährend ohne frische Nahrung. Der Mangel rohen Fuchs-
fleischeö für einen einzigen Tag zeigt sich an dem Eintritt des Skorbuts. Blut¬
sturz wird gewöhnlich. Meine Mannschaft — ich habe keine Mannschaft mehr
— die Inhaber meiner Bettstellen wollen nicht zugeben, daß ihnen ein einziger
Dienst erlassen wird. Ich kann Peterson nicht dazu bringen, den neuen
Fußweg zu versuchen. Doch der schlimmste Monat ist zu Ende. Es ist etwas,
doch lebendig und im Stande, zu schreiben, sein. Noch keiner hat die letzte
dunkle Reise angetreten und der 31. Januar steht vor uns."

Eine Woche später finden wir folgende Betrachtung.

„Noch immer keine Vorräthe. Drei von uns waren den ganzen Tag
aus, ohne einen Schuß zu thun. Hans glaubt, er sah ein paar Rennthiere
von ferne, und seine Augen täuschen ihn selten. Er will ihnen morgen nach¬
gehn. Ich habe für ihn ein Zelt und Schlafsaal auf dem zweiten Flachland
in Bereitschaft gelegt, und der Thermometer steht jetzt so wenig unter Null,
daß er -im Stande sein wird, für eine nachhaltige Jagd draußen zu bleiben.
Unsere Kranken verlieren infolge des Mangels frischer Nahrung den Muth.
Sie ist das einzige Specificum. In großer Menge vertreibt sie daS Uebel; in
gewöhnlichem Maße verhindert sie seinen Eintritt, in kleinen Dosen lindert sie,
indem sie den Kranken aufrecht erhält. . .

... Ich bin nicht frei von Symptomen des Scorbut. Ich bemerke eine
Steifheit in meinen Sehnen, eine Beschränkung des Athems, und eine Schwere
in den Gliedern, welche gewöhnlich den Ausbruch zu begleiten pflegt. Doch
habe ich keines der bedenklicheren Symptome. Ich kann mit Rüstigkeit umher¬
gehen, sobald ich warm geworden bin. Ich habe kein Binden des Zahnflei¬
sches, und was besser ist als alles, ich fühle, Gott sei Dank, keine Nieder¬
geschlagenheit. Ich schlafe wohl und träume viel — hauptsächlich von Erfolgen
der Jagd, oder einer doppelten Portion Nennthier und Pemmikan."

Den 23. Februar erschien der erste Strahl der zurückkehrenden Sonne.
Kane eilte hinaus, den schwachen Schimmer mit Rührung zu begrüßen. ,,Das
ist das dritte Mal, sagt er, daß ich die Sonne nach der langen Nacht eines
arktischen Winters wieder erscheinen sehe."

Die Erpedition konnte nicht früher als den 20. Mai daS Fahrzeug ver¬
lassen, welches unerschütterlich im Eise festgemauert stand, indem man die
Marschrichtung nach den Anstellungen der Grönlandsküste einschlug. Während
dieser Reise waren sie nicht mit sich allein beschäftigt. Nach jeder Erholung
von ihren unbeschreiblichen Leiden wurde die Forschung nach den Ueberresten
Franklins aufgenommen und erst nach mehrfachen vergeblichen Anstrengungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/500>, abgerufen am 23.07.2024.