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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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bisherigen Tagewerks geändert würde. Die Zuweisung und Eintheilung der
verschiedenen Pflichten, die Gebräuche des Tisches, die religiösen Uebungen,
Feuer, Licht und Wache, selbst die Arbeiten des Observatoriums und die
Meeres- und Himmelsvermessung wurden wie bisher fortgesetzt. Man hatte
manches von den Eskimos gelernt. Die Brigg wurde durchweg mit Moos
und Torf gefüttert. Eine Reihe von Eisfässern enthielt ihren Vorrath von
Salzfleisch und Schweinefleisch. Mehl, Bohnen und getrocknete Aepfel wur¬
den in ein Viereck zusammengestellt. Sie hatten nur wenig Gemüse übrig.
Die Gewürze waren erschöpft. Eine Art von Wurzelbier wurde von or. Kane
aus den Zweigen einer verkrüppelten Weide gekocht, von der man vor einigen
Wochen einen Vorrath eingelegt hatte. Die Jagd verschaffte manchmal ein
frisches Gericht. Bärenfleisch war sehr beliebt, aber die Leber dieses Thieres
wirkte vergiftend. Eine weniger schädliche Nahrung waren die Katzen, die sich
zu großer Anzahl am Bord vermehrt hatten. Besonders Dr. Kane rächte sich
an ihnen, indem er sich aus ihren Leibern eine Suppe braute, deren Wir¬
kung er die Befreiung vom Skorbut zuschreibt. Der wachsende Mangel an
Brennmaterial ließ nur die Lampen als Wärmeapparat übrig. Schweinefett,
durch Kochen vom Salz gereinigt, ersetzte das fehlende Oel, und mit Hilfe
eines Metallreverberators genügte ein einziger Docht, um zehn Unzen Speck
bei einer Temperatur von 30" unter Null flüssig zu machen. Rohes Fleisch
wurde jetzt für das beste Gericht erklärt. Doch trat auch darin Mangel ein.
Die Kranken fingen doppelt zu leiden an. Sie wurden auf dreitägige Fleisch¬
ration gesetzt, mit nicht mehr als vier Unzen per Mann. Unter diesen Um¬
ständen beschloß Dr. Kane die Aufsuchung einer Eskimoanstedlung in einer
Entfernung von hundert Meilen. Hans' Christer", ein geborner Eskimo, und
fünf Hunde begleiteten ihn. Während der Reise überfiel sie ein fürchterlicher
Schneesturm, bevor er indessen eintrat, gelang es ihnen, eine verlassene Eskimo-
Hütte zu erreichen. Sie nahmen die Hunde, ihre Fischthranlampe, Vorräthe
und Bettzeug, mit denen der Schlitten bepackt war, mit sich und verschlossen
den Eingang der Höhle mit Eisblöcken. Kaum waren sie in dieser Behausung, so
brach der Sturm los. Vollständig von der Außenwelt abgeschnitten, konnten sie
die Länge ihres Aufenthaltes in derselben nicht bestimmen.' Die Zeit wurde
zwischen Schlafen und Kaffeekvchen zugebracht. Als sie ihr Jnstinct fühlen
ließ, daß zwölf Stunden vorbei wären, verzehrten sie den Fuß eines Fuchses
mit Biskuit und gefrornem Unschlitt. Nach der Stellung des Mondes zu ur¬
theilen, als sie herauskamen, hatten sie zwei Tage in diesem engen Gefäng¬
niß zugebracht. Bei der Fortsetzung ihrer Reise fanden sie es unmöglich, durch
die Masse aufgewehten Schnees zu kommen. Schlitten, Hunde und Menschen
versanken darunter. Sie waren gezwungen, abzustehn und zu der Erdhöhle
zurückzukehren. Den Heimweg antretend, erreichten sie die Brigg den andern


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bisherigen Tagewerks geändert würde. Die Zuweisung und Eintheilung der
verschiedenen Pflichten, die Gebräuche des Tisches, die religiösen Uebungen,
Feuer, Licht und Wache, selbst die Arbeiten des Observatoriums und die
Meeres- und Himmelsvermessung wurden wie bisher fortgesetzt. Man hatte
manches von den Eskimos gelernt. Die Brigg wurde durchweg mit Moos
und Torf gefüttert. Eine Reihe von Eisfässern enthielt ihren Vorrath von
Salzfleisch und Schweinefleisch. Mehl, Bohnen und getrocknete Aepfel wur¬
den in ein Viereck zusammengestellt. Sie hatten nur wenig Gemüse übrig.
Die Gewürze waren erschöpft. Eine Art von Wurzelbier wurde von or. Kane
aus den Zweigen einer verkrüppelten Weide gekocht, von der man vor einigen
Wochen einen Vorrath eingelegt hatte. Die Jagd verschaffte manchmal ein
frisches Gericht. Bärenfleisch war sehr beliebt, aber die Leber dieses Thieres
wirkte vergiftend. Eine weniger schädliche Nahrung waren die Katzen, die sich
zu großer Anzahl am Bord vermehrt hatten. Besonders Dr. Kane rächte sich
an ihnen, indem er sich aus ihren Leibern eine Suppe braute, deren Wir¬
kung er die Befreiung vom Skorbut zuschreibt. Der wachsende Mangel an
Brennmaterial ließ nur die Lampen als Wärmeapparat übrig. Schweinefett,
durch Kochen vom Salz gereinigt, ersetzte das fehlende Oel, und mit Hilfe
eines Metallreverberators genügte ein einziger Docht, um zehn Unzen Speck
bei einer Temperatur von 30" unter Null flüssig zu machen. Rohes Fleisch
wurde jetzt für das beste Gericht erklärt. Doch trat auch darin Mangel ein.
Die Kranken fingen doppelt zu leiden an. Sie wurden auf dreitägige Fleisch¬
ration gesetzt, mit nicht mehr als vier Unzen per Mann. Unter diesen Um¬
ständen beschloß Dr. Kane die Aufsuchung einer Eskimoanstedlung in einer
Entfernung von hundert Meilen. Hans' Christer», ein geborner Eskimo, und
fünf Hunde begleiteten ihn. Während der Reise überfiel sie ein fürchterlicher
Schneesturm, bevor er indessen eintrat, gelang es ihnen, eine verlassene Eskimo-
Hütte zu erreichen. Sie nahmen die Hunde, ihre Fischthranlampe, Vorräthe
und Bettzeug, mit denen der Schlitten bepackt war, mit sich und verschlossen
den Eingang der Höhle mit Eisblöcken. Kaum waren sie in dieser Behausung, so
brach der Sturm los. Vollständig von der Außenwelt abgeschnitten, konnten sie
die Länge ihres Aufenthaltes in derselben nicht bestimmen.' Die Zeit wurde
zwischen Schlafen und Kaffeekvchen zugebracht. Als sie ihr Jnstinct fühlen
ließ, daß zwölf Stunden vorbei wären, verzehrten sie den Fuß eines Fuchses
mit Biskuit und gefrornem Unschlitt. Nach der Stellung des Mondes zu ur¬
theilen, als sie herauskamen, hatten sie zwei Tage in diesem engen Gefäng¬
niß zugebracht. Bei der Fortsetzung ihrer Reise fanden sie es unmöglich, durch
die Masse aufgewehten Schnees zu kommen. Schlitten, Hunde und Menschen
versanken darunter. Sie waren gezwungen, abzustehn und zu der Erdhöhle
zurückzukehren. Den Heimweg antretend, erreichten sie die Brigg den andern


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[0499] bisherigen Tagewerks geändert würde. Die Zuweisung und Eintheilung der verschiedenen Pflichten, die Gebräuche des Tisches, die religiösen Uebungen, Feuer, Licht und Wache, selbst die Arbeiten des Observatoriums und die Meeres- und Himmelsvermessung wurden wie bisher fortgesetzt. Man hatte manches von den Eskimos gelernt. Die Brigg wurde durchweg mit Moos und Torf gefüttert. Eine Reihe von Eisfässern enthielt ihren Vorrath von Salzfleisch und Schweinefleisch. Mehl, Bohnen und getrocknete Aepfel wur¬ den in ein Viereck zusammengestellt. Sie hatten nur wenig Gemüse übrig. Die Gewürze waren erschöpft. Eine Art von Wurzelbier wurde von or. Kane aus den Zweigen einer verkrüppelten Weide gekocht, von der man vor einigen Wochen einen Vorrath eingelegt hatte. Die Jagd verschaffte manchmal ein frisches Gericht. Bärenfleisch war sehr beliebt, aber die Leber dieses Thieres wirkte vergiftend. Eine weniger schädliche Nahrung waren die Katzen, die sich zu großer Anzahl am Bord vermehrt hatten. Besonders Dr. Kane rächte sich an ihnen, indem er sich aus ihren Leibern eine Suppe braute, deren Wir¬ kung er die Befreiung vom Skorbut zuschreibt. Der wachsende Mangel an Brennmaterial ließ nur die Lampen als Wärmeapparat übrig. Schweinefett, durch Kochen vom Salz gereinigt, ersetzte das fehlende Oel, und mit Hilfe eines Metallreverberators genügte ein einziger Docht, um zehn Unzen Speck bei einer Temperatur von 30" unter Null flüssig zu machen. Rohes Fleisch wurde jetzt für das beste Gericht erklärt. Doch trat auch darin Mangel ein. Die Kranken fingen doppelt zu leiden an. Sie wurden auf dreitägige Fleisch¬ ration gesetzt, mit nicht mehr als vier Unzen per Mann. Unter diesen Um¬ ständen beschloß Dr. Kane die Aufsuchung einer Eskimoanstedlung in einer Entfernung von hundert Meilen. Hans' Christer», ein geborner Eskimo, und fünf Hunde begleiteten ihn. Während der Reise überfiel sie ein fürchterlicher Schneesturm, bevor er indessen eintrat, gelang es ihnen, eine verlassene Eskimo- Hütte zu erreichen. Sie nahmen die Hunde, ihre Fischthranlampe, Vorräthe und Bettzeug, mit denen der Schlitten bepackt war, mit sich und verschlossen den Eingang der Höhle mit Eisblöcken. Kaum waren sie in dieser Behausung, so brach der Sturm los. Vollständig von der Außenwelt abgeschnitten, konnten sie die Länge ihres Aufenthaltes in derselben nicht bestimmen.' Die Zeit wurde zwischen Schlafen und Kaffeekvchen zugebracht. Als sie ihr Jnstinct fühlen ließ, daß zwölf Stunden vorbei wären, verzehrten sie den Fuß eines Fuchses mit Biskuit und gefrornem Unschlitt. Nach der Stellung des Mondes zu ur¬ theilen, als sie herauskamen, hatten sie zwei Tage in diesem engen Gefäng¬ niß zugebracht. Bei der Fortsetzung ihrer Reise fanden sie es unmöglich, durch die Masse aufgewehten Schnees zu kommen. Schlitten, Hunde und Menschen versanken darunter. Sie waren gezwungen, abzustehn und zu der Erdhöhle zurückzukehren. Den Heimweg antretend, erreichten sie die Brigg den andern 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/499>, abgerufen am 23.07.2024.