Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hülter geöffnet, die Fangnetze nachgesehn, die Eisflächen gemessen, und alle
Dinge in Ordnung gestellt. Um halb sieben Uhr steht alles auf. wäscht sich
am Deck, öffnet die Thüren zur Ventilation, und geht hinunter zum Frühstück.
Unser Brennvorrath ist klein, und wir kochen daher in der Kajüte. Unser
Frühstück ist immer dasselbe, harter Käse, Schweinefleisch, geschmorte Aepfel,
-- gefroren wie Zuckerkand-Thee und Kaffee mit einer delicaten Portion roher
Kartoffel. Nach dem Frühstück rauchen die Raucher bis neun Uhr; dann
gehen alle Hände ans Werk, jeder an das seinige; Abtheil hält Gericht, Brooks
sitzt an seiner Leinwand, M. Hary macht den Schneider; Whipple verfertigt
Schuhe, Bönsall ist Kesselflicker, Baker stopft Vögel aus -- die andern statten
im Arkticbureau einen Besuch ab. Da steht ein Tisch, eine Schweinefettlampe
mit ärgerlich duftender Flamme, drei Stühle und ebensoviel Wachsfiguren mit
zurückgezogenen Beinen, da die Erdbodentemperatur auf Null für ihre Füße zu
kalt ist. Jeder hat seine Beschäftigung: Kane schreibt und zeichnet, und ent¬
wirft Karten; Hayer copirt Hölzer und Steine; Soutery vollendet seine Arbeit
von Dem-Rock. -Ein viertes Mitglied dieses eingesrvrnen Bienenschwarms ist
seit lange verschieden; man wird ihn im Bett, oder über der Lectüre von
Littells Living Age finden. Um 12 Uhr geht die Inspection vor sich,
Befehle für die übrige Arbeit des Tages ertheilend. Hierauf kommt die Ab-
richtung der Eskimohunde -- mein eignes Privatvergnügen -- zu einem Hunde¬
schritt, der besonders Beinen wie die meinigen, die bei jedem Tritt knacken,
und rheumatischen Schultern, die jeden Peitschenhieb spüren, angepaßt ist.
Inzwischen kommt die Mittagszeit, die Gelegenheit zu einem neuen Beisammen¬
sein, bei dem der,Thee und Kaffee des Frühstücks fehlen, statt welchen es aber
eingemachtes Kraut und getrocknete Pfirsiche gibt."

"Bei dem Mittagbrot sind wie bei dem Frühstück die rohen Kartoffeln
unser hygienischer Lurus. Wie alle Doctorengerichte erregen sie unsern Appe¬
tit nicht so stark als wünschenswert!) wäre. Nachdem sie rein abgeschält, von den
häßlichen Nothflecken befreit, und durch Eintauchen in Oel schlüpfrig ge¬
macht sind, kann ich der Tischgesellschaft nur zureden, die Augen zu schließen
und sie zu verschlingen. Zwei von uns weigern sich hartnäckig. Ich erzähle
ihnen von den Schlesiern, die ihre Blätter als Spinat essen, 'von den Wal¬
fischfängern in der Südsee, welche sich an dem Ueberguß berauscht haben, in
dem ihre Kartoffeln aufbewahrt wurden, ich zeige ihnen die Sülze, so schwammig
und widerwärtig vorgestern und so flüssig und gefällig seit heute -- alles
infolge einer Kartoffelgährung. Meine Beredtsamkeit ist umsonst: sie beharren
auf der Verschmähung des wunderbaren Gemisches."

"Schlaf, Bewegung, Unterhaltung und Arbeit nach Belieben füllen den
Tag bis um 6 Uhr Nachmittags aus, wo man daS Abendbrot nimmt, welches
halb aus dem Frühstück und halb aus dem Mittagtisch in etwas geringerer


hülter geöffnet, die Fangnetze nachgesehn, die Eisflächen gemessen, und alle
Dinge in Ordnung gestellt. Um halb sieben Uhr steht alles auf. wäscht sich
am Deck, öffnet die Thüren zur Ventilation, und geht hinunter zum Frühstück.
Unser Brennvorrath ist klein, und wir kochen daher in der Kajüte. Unser
Frühstück ist immer dasselbe, harter Käse, Schweinefleisch, geschmorte Aepfel,
— gefroren wie Zuckerkand-Thee und Kaffee mit einer delicaten Portion roher
Kartoffel. Nach dem Frühstück rauchen die Raucher bis neun Uhr; dann
gehen alle Hände ans Werk, jeder an das seinige; Abtheil hält Gericht, Brooks
sitzt an seiner Leinwand, M. Hary macht den Schneider; Whipple verfertigt
Schuhe, Bönsall ist Kesselflicker, Baker stopft Vögel aus — die andern statten
im Arkticbureau einen Besuch ab. Da steht ein Tisch, eine Schweinefettlampe
mit ärgerlich duftender Flamme, drei Stühle und ebensoviel Wachsfiguren mit
zurückgezogenen Beinen, da die Erdbodentemperatur auf Null für ihre Füße zu
kalt ist. Jeder hat seine Beschäftigung: Kane schreibt und zeichnet, und ent¬
wirft Karten; Hayer copirt Hölzer und Steine; Soutery vollendet seine Arbeit
von Dem-Rock. -Ein viertes Mitglied dieses eingesrvrnen Bienenschwarms ist
seit lange verschieden; man wird ihn im Bett, oder über der Lectüre von
Littells Living Age finden. Um 12 Uhr geht die Inspection vor sich,
Befehle für die übrige Arbeit des Tages ertheilend. Hierauf kommt die Ab-
richtung der Eskimohunde — mein eignes Privatvergnügen — zu einem Hunde¬
schritt, der besonders Beinen wie die meinigen, die bei jedem Tritt knacken,
und rheumatischen Schultern, die jeden Peitschenhieb spüren, angepaßt ist.
Inzwischen kommt die Mittagszeit, die Gelegenheit zu einem neuen Beisammen¬
sein, bei dem der,Thee und Kaffee des Frühstücks fehlen, statt welchen es aber
eingemachtes Kraut und getrocknete Pfirsiche gibt."

„Bei dem Mittagbrot sind wie bei dem Frühstück die rohen Kartoffeln
unser hygienischer Lurus. Wie alle Doctorengerichte erregen sie unsern Appe¬
tit nicht so stark als wünschenswert!) wäre. Nachdem sie rein abgeschält, von den
häßlichen Nothflecken befreit, und durch Eintauchen in Oel schlüpfrig ge¬
macht sind, kann ich der Tischgesellschaft nur zureden, die Augen zu schließen
und sie zu verschlingen. Zwei von uns weigern sich hartnäckig. Ich erzähle
ihnen von den Schlesiern, die ihre Blätter als Spinat essen, 'von den Wal¬
fischfängern in der Südsee, welche sich an dem Ueberguß berauscht haben, in
dem ihre Kartoffeln aufbewahrt wurden, ich zeige ihnen die Sülze, so schwammig
und widerwärtig vorgestern und so flüssig und gefällig seit heute — alles
infolge einer Kartoffelgährung. Meine Beredtsamkeit ist umsonst: sie beharren
auf der Verschmähung des wunderbaren Gemisches."

„Schlaf, Bewegung, Unterhaltung und Arbeit nach Belieben füllen den
Tag bis um 6 Uhr Nachmittags aus, wo man daS Abendbrot nimmt, welches
halb aus dem Frühstück und halb aus dem Mittagtisch in etwas geringerer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103091"/>
          <p xml:id="ID_1601" prev="#ID_1600"> hülter geöffnet, die Fangnetze nachgesehn, die Eisflächen gemessen, und alle<lb/>
Dinge in Ordnung gestellt. Um halb sieben Uhr steht alles auf. wäscht sich<lb/>
am Deck, öffnet die Thüren zur Ventilation, und geht hinunter zum Frühstück.<lb/>
Unser Brennvorrath ist klein, und wir kochen daher in der Kajüte. Unser<lb/>
Frühstück ist immer dasselbe, harter Käse, Schweinefleisch, geschmorte Aepfel,<lb/>
&#x2014; gefroren wie Zuckerkand-Thee und Kaffee mit einer delicaten Portion roher<lb/>
Kartoffel. Nach dem Frühstück rauchen die Raucher bis neun Uhr; dann<lb/>
gehen alle Hände ans Werk, jeder an das seinige; Abtheil hält Gericht, Brooks<lb/>
sitzt an seiner Leinwand, M. Hary macht den Schneider; Whipple verfertigt<lb/>
Schuhe, Bönsall ist Kesselflicker, Baker stopft Vögel aus &#x2014; die andern statten<lb/>
im Arkticbureau einen Besuch ab. Da steht ein Tisch, eine Schweinefettlampe<lb/>
mit ärgerlich duftender Flamme, drei Stühle und ebensoviel Wachsfiguren mit<lb/>
zurückgezogenen Beinen, da die Erdbodentemperatur auf Null für ihre Füße zu<lb/>
kalt ist. Jeder hat seine Beschäftigung: Kane schreibt und zeichnet, und ent¬<lb/>
wirft Karten; Hayer copirt Hölzer und Steine; Soutery vollendet seine Arbeit<lb/>
von Dem-Rock. -Ein viertes Mitglied dieses eingesrvrnen Bienenschwarms ist<lb/>
seit lange verschieden; man wird ihn im Bett, oder über der Lectüre von<lb/>
Littells Living Age finden. Um 12 Uhr geht die Inspection vor sich,<lb/>
Befehle für die übrige Arbeit des Tages ertheilend. Hierauf kommt die Ab-<lb/>
richtung der Eskimohunde &#x2014; mein eignes Privatvergnügen &#x2014; zu einem Hunde¬<lb/>
schritt, der besonders Beinen wie die meinigen, die bei jedem Tritt knacken,<lb/>
und rheumatischen Schultern, die jeden Peitschenhieb spüren, angepaßt ist.<lb/>
Inzwischen kommt die Mittagszeit, die Gelegenheit zu einem neuen Beisammen¬<lb/>
sein, bei dem der,Thee und Kaffee des Frühstücks fehlen, statt welchen es aber<lb/>
eingemachtes Kraut und getrocknete Pfirsiche gibt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1602"> &#x201E;Bei dem Mittagbrot sind wie bei dem Frühstück die rohen Kartoffeln<lb/>
unser hygienischer Lurus. Wie alle Doctorengerichte erregen sie unsern Appe¬<lb/>
tit nicht so stark als wünschenswert!) wäre. Nachdem sie rein abgeschält, von den<lb/>
häßlichen Nothflecken befreit, und durch Eintauchen in Oel schlüpfrig ge¬<lb/>
macht sind, kann ich der Tischgesellschaft nur zureden, die Augen zu schließen<lb/>
und sie zu verschlingen. Zwei von uns weigern sich hartnäckig. Ich erzähle<lb/>
ihnen von den Schlesiern, die ihre Blätter als Spinat essen, 'von den Wal¬<lb/>
fischfängern in der Südsee, welche sich an dem Ueberguß berauscht haben, in<lb/>
dem ihre Kartoffeln aufbewahrt wurden, ich zeige ihnen die Sülze, so schwammig<lb/>
und widerwärtig vorgestern und so flüssig und gefällig seit heute &#x2014; alles<lb/>
infolge einer Kartoffelgährung. Meine Beredtsamkeit ist umsonst: sie beharren<lb/>
auf der Verschmähung des wunderbaren Gemisches."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1603" next="#ID_1604"> &#x201E;Schlaf, Bewegung, Unterhaltung und Arbeit nach Belieben füllen den<lb/>
Tag bis um 6 Uhr Nachmittags aus, wo man daS Abendbrot nimmt, welches<lb/>
halb aus dem Frühstück und halb aus dem Mittagtisch in etwas geringerer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0496] hülter geöffnet, die Fangnetze nachgesehn, die Eisflächen gemessen, und alle Dinge in Ordnung gestellt. Um halb sieben Uhr steht alles auf. wäscht sich am Deck, öffnet die Thüren zur Ventilation, und geht hinunter zum Frühstück. Unser Brennvorrath ist klein, und wir kochen daher in der Kajüte. Unser Frühstück ist immer dasselbe, harter Käse, Schweinefleisch, geschmorte Aepfel, — gefroren wie Zuckerkand-Thee und Kaffee mit einer delicaten Portion roher Kartoffel. Nach dem Frühstück rauchen die Raucher bis neun Uhr; dann gehen alle Hände ans Werk, jeder an das seinige; Abtheil hält Gericht, Brooks sitzt an seiner Leinwand, M. Hary macht den Schneider; Whipple verfertigt Schuhe, Bönsall ist Kesselflicker, Baker stopft Vögel aus — die andern statten im Arkticbureau einen Besuch ab. Da steht ein Tisch, eine Schweinefettlampe mit ärgerlich duftender Flamme, drei Stühle und ebensoviel Wachsfiguren mit zurückgezogenen Beinen, da die Erdbodentemperatur auf Null für ihre Füße zu kalt ist. Jeder hat seine Beschäftigung: Kane schreibt und zeichnet, und ent¬ wirft Karten; Hayer copirt Hölzer und Steine; Soutery vollendet seine Arbeit von Dem-Rock. -Ein viertes Mitglied dieses eingesrvrnen Bienenschwarms ist seit lange verschieden; man wird ihn im Bett, oder über der Lectüre von Littells Living Age finden. Um 12 Uhr geht die Inspection vor sich, Befehle für die übrige Arbeit des Tages ertheilend. Hierauf kommt die Ab- richtung der Eskimohunde — mein eignes Privatvergnügen — zu einem Hunde¬ schritt, der besonders Beinen wie die meinigen, die bei jedem Tritt knacken, und rheumatischen Schultern, die jeden Peitschenhieb spüren, angepaßt ist. Inzwischen kommt die Mittagszeit, die Gelegenheit zu einem neuen Beisammen¬ sein, bei dem der,Thee und Kaffee des Frühstücks fehlen, statt welchen es aber eingemachtes Kraut und getrocknete Pfirsiche gibt." „Bei dem Mittagbrot sind wie bei dem Frühstück die rohen Kartoffeln unser hygienischer Lurus. Wie alle Doctorengerichte erregen sie unsern Appe¬ tit nicht so stark als wünschenswert!) wäre. Nachdem sie rein abgeschält, von den häßlichen Nothflecken befreit, und durch Eintauchen in Oel schlüpfrig ge¬ macht sind, kann ich der Tischgesellschaft nur zureden, die Augen zu schließen und sie zu verschlingen. Zwei von uns weigern sich hartnäckig. Ich erzähle ihnen von den Schlesiern, die ihre Blätter als Spinat essen, 'von den Wal¬ fischfängern in der Südsee, welche sich an dem Ueberguß berauscht haben, in dem ihre Kartoffeln aufbewahrt wurden, ich zeige ihnen die Sülze, so schwammig und widerwärtig vorgestern und so flüssig und gefällig seit heute — alles infolge einer Kartoffelgährung. Meine Beredtsamkeit ist umsonst: sie beharren auf der Verschmähung des wunderbaren Gemisches." „Schlaf, Bewegung, Unterhaltung und Arbeit nach Belieben füllen den Tag bis um 6 Uhr Nachmittags aus, wo man daS Abendbrot nimmt, welches halb aus dem Frühstück und halb aus dem Mittagtisch in etwas geringerer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/496
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/496>, abgerufen am 23.07.2024.