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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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schaften des Lebenden werden dann daneben gelegt, und das Ganze mit einem
Gewölbe von Steinen b.edeckt, aus welchem eine säulenartige Spitze hervorragt.
Dieser einfache Kenotaph wird von Generation zu Generation erhalten. Denn
die Eskimos zerstören niemals ein Grab."

Auf dem westlichen Cap von Littleton Eiland'errichtete die Gesellschaft
einen Meilenstein, als Wegweiser für etwaige Ankömmlinge, pflanzte eine
Fahne in die Sprünge des Felsens, und begrüßte sie mit einem dreifachen
Hoch, während sie in dem kalten Mitternachtswind dahin flatterte. Man tra>t
sofort die Fortsetzung der Reise gegen Norden an, indem man gegen Wind
und Flut zu kämpfen hatte, und gelangte bald in die Region der dickgezackten
Eismassen, wo das Schiff inmitten von Felsen vor Anker gehen mußte. Unter
den mancherlei Leiden, die nun hereinbrachen, war ein Nudel von ö0 Hunden,
welche einen sehr lästigen Ballast der Reise bildeten. Diese Thiere waren ge¬
fräßig wie Wölfe, und es war gar nichts Leichtes, sie mit ausreichender Nah¬
rung zu versehen. Sie verschlangen ein Paar todte Bären in acht Tagen.
Zwei Pfunde rohes Fleisch war eine magere Portion für sie, und selbst die
ließ sich nicht verschaffen. Der Pemmikan konnte nicht entbehrt werden --
Kornnahrung oder Erbsen mochten sie nicht -- und Gesalzenes würde sie
getödtet haben. Die rechtzeitige Entdeckung eines todten Walfisches oder Ein¬
horns rettete sie, indem sie 600 Pfund guten und gesunden Fleisches, obwol
von einem unerträglichen Gerüche, darbot.

Unterdeß stand eine ernstere Prüfung bevor. Das Schiff hatte wieder
seinen Weg während mehrer Tage durch das Eis erkämpft, als am Horizont
Anzeichen eines bevorstehenden Sturmes sichtbar wurden. Am 20. August
trat derselbe mit der ganzen Wuth des Polarklimaö ein, deren Charakter das
Journal Kaltes, wie folgt, schildert:

"Sonnabend Morgens erhob sich ein vollkommener Orkan. Wir halten
ihn kommen gesehn, und standen mit drei guten Ankertauen und alles am
Bord wohlverwahret zu seinem Empfange bereit. Er näherte sich wilder und
wilder, und das Eis nahm eine gewaltigere Strömung an, als ich glaubte je
isher gesehen zu haben. Ich war eben während einem momentanen Nach¬
blassen, um mich zu wärmen und zu trocknen, zurückgekehrt, als ich den scharfen
Knall eines Taurisseö vernahm. Unser sechs Zoll dickes Takt war fort, und
wir wurden an den zwei andern umhergeschleudert, während der Sturm wie
ein Löwe nach Süden blies."

"Eine halbe Minute mehr, und "entzwei, entzwei" lautete der zweite
Bericht. Ich wußte von dem Schrill des Ringes, daß es das Haupttau
war. .Noch hielt indessen unser zehnzölliger Manillaring fest. Ich wollte
eben meinen letzten Pfosten in seinen Stolper von Seehundsfett thun, als
M. Hary die Gefährtleiter herabkam: -- "Capitän Kaue, sie wird nicht


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schaften des Lebenden werden dann daneben gelegt, und das Ganze mit einem
Gewölbe von Steinen b.edeckt, aus welchem eine säulenartige Spitze hervorragt.
Dieser einfache Kenotaph wird von Generation zu Generation erhalten. Denn
die Eskimos zerstören niemals ein Grab."

Auf dem westlichen Cap von Littleton Eiland'errichtete die Gesellschaft
einen Meilenstein, als Wegweiser für etwaige Ankömmlinge, pflanzte eine
Fahne in die Sprünge des Felsens, und begrüßte sie mit einem dreifachen
Hoch, während sie in dem kalten Mitternachtswind dahin flatterte. Man tra>t
sofort die Fortsetzung der Reise gegen Norden an, indem man gegen Wind
und Flut zu kämpfen hatte, und gelangte bald in die Region der dickgezackten
Eismassen, wo das Schiff inmitten von Felsen vor Anker gehen mußte. Unter
den mancherlei Leiden, die nun hereinbrachen, war ein Nudel von ö0 Hunden,
welche einen sehr lästigen Ballast der Reise bildeten. Diese Thiere waren ge¬
fräßig wie Wölfe, und es war gar nichts Leichtes, sie mit ausreichender Nah¬
rung zu versehen. Sie verschlangen ein Paar todte Bären in acht Tagen.
Zwei Pfunde rohes Fleisch war eine magere Portion für sie, und selbst die
ließ sich nicht verschaffen. Der Pemmikan konnte nicht entbehrt werden —
Kornnahrung oder Erbsen mochten sie nicht — und Gesalzenes würde sie
getödtet haben. Die rechtzeitige Entdeckung eines todten Walfisches oder Ein¬
horns rettete sie, indem sie 600 Pfund guten und gesunden Fleisches, obwol
von einem unerträglichen Gerüche, darbot.

Unterdeß stand eine ernstere Prüfung bevor. Das Schiff hatte wieder
seinen Weg während mehrer Tage durch das Eis erkämpft, als am Horizont
Anzeichen eines bevorstehenden Sturmes sichtbar wurden. Am 20. August
trat derselbe mit der ganzen Wuth des Polarklimaö ein, deren Charakter das
Journal Kaltes, wie folgt, schildert:

„Sonnabend Morgens erhob sich ein vollkommener Orkan. Wir halten
ihn kommen gesehn, und standen mit drei guten Ankertauen und alles am
Bord wohlverwahret zu seinem Empfange bereit. Er näherte sich wilder und
wilder, und das Eis nahm eine gewaltigere Strömung an, als ich glaubte je
isher gesehen zu haben. Ich war eben während einem momentanen Nach¬
blassen, um mich zu wärmen und zu trocknen, zurückgekehrt, als ich den scharfen
Knall eines Taurisseö vernahm. Unser sechs Zoll dickes Takt war fort, und
wir wurden an den zwei andern umhergeschleudert, während der Sturm wie
ein Löwe nach Süden blies."

„Eine halbe Minute mehr, und „entzwei, entzwei" lautete der zweite
Bericht. Ich wußte von dem Schrill des Ringes, daß es das Haupttau
war. .Noch hielt indessen unser zehnzölliger Manillaring fest. Ich wollte
eben meinen letzten Pfosten in seinen Stolper von Seehundsfett thun, als
M. Hary die Gefährtleiter herabkam: — „Capitän Kaue, sie wird nicht


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[0491] schaften des Lebenden werden dann daneben gelegt, und das Ganze mit einem Gewölbe von Steinen b.edeckt, aus welchem eine säulenartige Spitze hervorragt. Dieser einfache Kenotaph wird von Generation zu Generation erhalten. Denn die Eskimos zerstören niemals ein Grab." Auf dem westlichen Cap von Littleton Eiland'errichtete die Gesellschaft einen Meilenstein, als Wegweiser für etwaige Ankömmlinge, pflanzte eine Fahne in die Sprünge des Felsens, und begrüßte sie mit einem dreifachen Hoch, während sie in dem kalten Mitternachtswind dahin flatterte. Man tra>t sofort die Fortsetzung der Reise gegen Norden an, indem man gegen Wind und Flut zu kämpfen hatte, und gelangte bald in die Region der dickgezackten Eismassen, wo das Schiff inmitten von Felsen vor Anker gehen mußte. Unter den mancherlei Leiden, die nun hereinbrachen, war ein Nudel von ö0 Hunden, welche einen sehr lästigen Ballast der Reise bildeten. Diese Thiere waren ge¬ fräßig wie Wölfe, und es war gar nichts Leichtes, sie mit ausreichender Nah¬ rung zu versehen. Sie verschlangen ein Paar todte Bären in acht Tagen. Zwei Pfunde rohes Fleisch war eine magere Portion für sie, und selbst die ließ sich nicht verschaffen. Der Pemmikan konnte nicht entbehrt werden — Kornnahrung oder Erbsen mochten sie nicht — und Gesalzenes würde sie getödtet haben. Die rechtzeitige Entdeckung eines todten Walfisches oder Ein¬ horns rettete sie, indem sie 600 Pfund guten und gesunden Fleisches, obwol von einem unerträglichen Gerüche, darbot. Unterdeß stand eine ernstere Prüfung bevor. Das Schiff hatte wieder seinen Weg während mehrer Tage durch das Eis erkämpft, als am Horizont Anzeichen eines bevorstehenden Sturmes sichtbar wurden. Am 20. August trat derselbe mit der ganzen Wuth des Polarklimaö ein, deren Charakter das Journal Kaltes, wie folgt, schildert: „Sonnabend Morgens erhob sich ein vollkommener Orkan. Wir halten ihn kommen gesehn, und standen mit drei guten Ankertauen und alles am Bord wohlverwahret zu seinem Empfange bereit. Er näherte sich wilder und wilder, und das Eis nahm eine gewaltigere Strömung an, als ich glaubte je isher gesehen zu haben. Ich war eben während einem momentanen Nach¬ blassen, um mich zu wärmen und zu trocknen, zurückgekehrt, als ich den scharfen Knall eines Taurisseö vernahm. Unser sechs Zoll dickes Takt war fort, und wir wurden an den zwei andern umhergeschleudert, während der Sturm wie ein Löwe nach Süden blies." „Eine halbe Minute mehr, und „entzwei, entzwei" lautete der zweite Bericht. Ich wußte von dem Schrill des Ringes, daß es das Haupttau war. .Noch hielt indessen unser zehnzölliger Manillaring fest. Ich wollte eben meinen letzten Pfosten in seinen Stolper von Seehundsfett thun, als M. Hary die Gefährtleiter herabkam: — „Capitän Kaue, sie wird nicht 61 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/491>, abgerufen am 23.07.2024.