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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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mit der Ausarbeitung seines Finanzplanes beschäftigt, der das gestörte Gleich¬
gewicht wieder herstellen sollte. W.ir dieses Resultat erreicht, so mochte später
ein kühnerer Kopf Reformen wagen, an die man nur mit Erfolg gehen konnte,
wenn man wieder festen Boden unter sich hatte. Statt daß aber die Cortes
der Regierung zu Hilft gekommen wären, trieben sie die Verlegenheiten der¬
selben auf die Spitze. Kaum waren sie constituirt, so trat die demokratische
Partei mit dem Antrage hervor, die Consumos d. i. die in den Städten auf
Gegenstände des täglichen Verbrauchs, Brot, Fleisch, Wein ". erhobenen Thvr-
zölle aufzuheben. Diese Aufhebung war im Juli bereits an vielen Orten
geschehn, und nicht überall hatten die städtischen Behörden sich wieder dem
Gesetz gefügt. An der Spitze der widersetzlichen Städte stand Saragossa, das
dem Siegesherzog vor allen andern ergeben, und von ihm bevorzugt war.
Der Antrag der Demokraten war geschickt für ihre Zwecke gewählt. Es gab
nichts Populäreres, als den Ruf nach wohlfeilen Lebensmitteln für die untern
Classen, als das Verlangen, für dieselben der Revolution materielle Wohlthaten
abzugewinnen. Die Demokratie drohte damit den Progressisten zahlreiche
Svmpaihien zu entziehn und sich zuzuwenden, und der Widerstand.SaragossaS
gegen die Consumos stellte ihr die geheime Connivenz Esparteros in Aussicht.
Daß die Aufhebung den Staatsschatz in die bedenklichste Lage bringen mußte,
konnte sie höchstens bestärken, darauf zu beharren. Denn auf die Schwäche der
Negierung und die allgemeine Unsicherheit der Lage baute sie weitgehende Hoff¬
nungen. Die progressistische Partei hätte deshalb fest zusammenhalten müssen,
und that sie es, so war sie stark genug, den Antrag zu verwerfen. Aber er
fand unter deu Purvs den Beifall vieler liberalen Theoretiker, gewann die
Stimme derer, welche den Widerstand gegen das Geschrei der Menge scheuten,
und ward von dem Ehrgeiz einflußreicher Abgeordneter unterstützt, die den
Finanzminister damit zu stürzen und sein Portefeuille zu erben hofften. Unter
den letztern sind Sanchez silva, ein den Freihandelsideen eifrig anhängender
Andalusier, und Pablo Avecilla hervorzuheben, beides sehr weit nach links
stehende Progressisten. Auch Madoz begünstigte die Aufhebung, gab ihr so¬
gar sein Votum und ist keineswegs frei von dem Verdacht, durch persönliche
Motive dabei geleitet zu sein. Denn Eollados Einwendungen dagegen waren
zu schlagend, um von ?mein besonnenen Staatsmann mißachtet zu werden.
Er bekämpfte nicht das Princip, verlangte aber, ehe er darauf eingehn könne,
von den Cortes, den" dadurch entstehenden Ausfall durch andere Steuern zu
decken. Dieser Ausfall betrug nicht weniger als -180 Millionen Realen jähr¬
lich (Is Millionen Thaler), somit mehr als aller Staatseinkünfte und dies
bei einem Budget im Deficit und einer schwebenden Schuld, deren Höhe sich fast
auf die Hälfte der Jahreseinnahme belief. ES hieß sich muthwillig in ein
finanzielles Chaos stürzen. Die bestimmte Erklärung Colladoö, im Fall der


mit der Ausarbeitung seines Finanzplanes beschäftigt, der das gestörte Gleich¬
gewicht wieder herstellen sollte. W.ir dieses Resultat erreicht, so mochte später
ein kühnerer Kopf Reformen wagen, an die man nur mit Erfolg gehen konnte,
wenn man wieder festen Boden unter sich hatte. Statt daß aber die Cortes
der Regierung zu Hilft gekommen wären, trieben sie die Verlegenheiten der¬
selben auf die Spitze. Kaum waren sie constituirt, so trat die demokratische
Partei mit dem Antrage hervor, die Consumos d. i. die in den Städten auf
Gegenstände des täglichen Verbrauchs, Brot, Fleisch, Wein ». erhobenen Thvr-
zölle aufzuheben. Diese Aufhebung war im Juli bereits an vielen Orten
geschehn, und nicht überall hatten die städtischen Behörden sich wieder dem
Gesetz gefügt. An der Spitze der widersetzlichen Städte stand Saragossa, das
dem Siegesherzog vor allen andern ergeben, und von ihm bevorzugt war.
Der Antrag der Demokraten war geschickt für ihre Zwecke gewählt. Es gab
nichts Populäreres, als den Ruf nach wohlfeilen Lebensmitteln für die untern
Classen, als das Verlangen, für dieselben der Revolution materielle Wohlthaten
abzugewinnen. Die Demokratie drohte damit den Progressisten zahlreiche
Svmpaihien zu entziehn und sich zuzuwenden, und der Widerstand.SaragossaS
gegen die Consumos stellte ihr die geheime Connivenz Esparteros in Aussicht.
Daß die Aufhebung den Staatsschatz in die bedenklichste Lage bringen mußte,
konnte sie höchstens bestärken, darauf zu beharren. Denn auf die Schwäche der
Negierung und die allgemeine Unsicherheit der Lage baute sie weitgehende Hoff¬
nungen. Die progressistische Partei hätte deshalb fest zusammenhalten müssen,
und that sie es, so war sie stark genug, den Antrag zu verwerfen. Aber er
fand unter deu Purvs den Beifall vieler liberalen Theoretiker, gewann die
Stimme derer, welche den Widerstand gegen das Geschrei der Menge scheuten,
und ward von dem Ehrgeiz einflußreicher Abgeordneter unterstützt, die den
Finanzminister damit zu stürzen und sein Portefeuille zu erben hofften. Unter
den letztern sind Sanchez silva, ein den Freihandelsideen eifrig anhängender
Andalusier, und Pablo Avecilla hervorzuheben, beides sehr weit nach links
stehende Progressisten. Auch Madoz begünstigte die Aufhebung, gab ihr so¬
gar sein Votum und ist keineswegs frei von dem Verdacht, durch persönliche
Motive dabei geleitet zu sein. Denn Eollados Einwendungen dagegen waren
zu schlagend, um von ?mein besonnenen Staatsmann mißachtet zu werden.
Er bekämpfte nicht das Princip, verlangte aber, ehe er darauf eingehn könne,
von den Cortes, den" dadurch entstehenden Ausfall durch andere Steuern zu
decken. Dieser Ausfall betrug nicht weniger als -180 Millionen Realen jähr¬
lich (Is Millionen Thaler), somit mehr als aller Staatseinkünfte und dies
bei einem Budget im Deficit und einer schwebenden Schuld, deren Höhe sich fast
auf die Hälfte der Jahreseinnahme belief. ES hieß sich muthwillig in ein
finanzielles Chaos stürzen. Die bestimmte Erklärung Colladoö, im Fall der


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[0460] mit der Ausarbeitung seines Finanzplanes beschäftigt, der das gestörte Gleich¬ gewicht wieder herstellen sollte. W.ir dieses Resultat erreicht, so mochte später ein kühnerer Kopf Reformen wagen, an die man nur mit Erfolg gehen konnte, wenn man wieder festen Boden unter sich hatte. Statt daß aber die Cortes der Regierung zu Hilft gekommen wären, trieben sie die Verlegenheiten der¬ selben auf die Spitze. Kaum waren sie constituirt, so trat die demokratische Partei mit dem Antrage hervor, die Consumos d. i. die in den Städten auf Gegenstände des täglichen Verbrauchs, Brot, Fleisch, Wein ». erhobenen Thvr- zölle aufzuheben. Diese Aufhebung war im Juli bereits an vielen Orten geschehn, und nicht überall hatten die städtischen Behörden sich wieder dem Gesetz gefügt. An der Spitze der widersetzlichen Städte stand Saragossa, das dem Siegesherzog vor allen andern ergeben, und von ihm bevorzugt war. Der Antrag der Demokraten war geschickt für ihre Zwecke gewählt. Es gab nichts Populäreres, als den Ruf nach wohlfeilen Lebensmitteln für die untern Classen, als das Verlangen, für dieselben der Revolution materielle Wohlthaten abzugewinnen. Die Demokratie drohte damit den Progressisten zahlreiche Svmpaihien zu entziehn und sich zuzuwenden, und der Widerstand.SaragossaS gegen die Consumos stellte ihr die geheime Connivenz Esparteros in Aussicht. Daß die Aufhebung den Staatsschatz in die bedenklichste Lage bringen mußte, konnte sie höchstens bestärken, darauf zu beharren. Denn auf die Schwäche der Negierung und die allgemeine Unsicherheit der Lage baute sie weitgehende Hoff¬ nungen. Die progressistische Partei hätte deshalb fest zusammenhalten müssen, und that sie es, so war sie stark genug, den Antrag zu verwerfen. Aber er fand unter deu Purvs den Beifall vieler liberalen Theoretiker, gewann die Stimme derer, welche den Widerstand gegen das Geschrei der Menge scheuten, und ward von dem Ehrgeiz einflußreicher Abgeordneter unterstützt, die den Finanzminister damit zu stürzen und sein Portefeuille zu erben hofften. Unter den letztern sind Sanchez silva, ein den Freihandelsideen eifrig anhängender Andalusier, und Pablo Avecilla hervorzuheben, beides sehr weit nach links stehende Progressisten. Auch Madoz begünstigte die Aufhebung, gab ihr so¬ gar sein Votum und ist keineswegs frei von dem Verdacht, durch persönliche Motive dabei geleitet zu sein. Denn Eollados Einwendungen dagegen waren zu schlagend, um von ?mein besonnenen Staatsmann mißachtet zu werden. Er bekämpfte nicht das Princip, verlangte aber, ehe er darauf eingehn könne, von den Cortes, den" dadurch entstehenden Ausfall durch andere Steuern zu decken. Dieser Ausfall betrug nicht weniger als -180 Millionen Realen jähr¬ lich (Is Millionen Thaler), somit mehr als aller Staatseinkünfte und dies bei einem Budget im Deficit und einer schwebenden Schuld, deren Höhe sich fast auf die Hälfte der Jahreseinnahme belief. ES hieß sich muthwillig in ein finanzielles Chaos stürzen. Die bestimmte Erklärung Colladoö, im Fall der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/460>, abgerufen am 23.07.2024.