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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Annahme zurückzutreten, setzte die Verwerfung des Antrags mit geringer Mehr¬
heit durch. Er wurde indeß unter veränderter Form wieder aufgenommen und
die Majorität gegen ihn schwand noch mehr zusammen (128 gegen -116 Stim¬
men). Gegen eine solche Opposition in den Cortes, gegen die Agitation
außerhalb, gegen die Auflehnung verschiedener Städte, vor allem Saragossas,
wagte die Negierung nicht, aus ihrem Widerstand zu beharren. Sie ließ die
Consumos fallen und Collado schied aus. In den brennenden und jetzt sehr
gesteigerten Bedrängnissen des Augenblicks erkor man zu seinem Nachfolger
wiederum einen Bankier, einen der reichsten Madrids, Sevillcmo, Herzog bei
Fuentes del Duero, eine Würde, die ihm sür die des Marquisats nach den
Julitagen ertheilt worden. Er war wie sein Vorgänger Moderado, aber, wenn
auch die Verbindungen mit dem Geldmarkt, so besaß er leider weder die Ge¬
wissenhaftigkeit, noch Tüchtigkeit desselben. Seine ephemere Amtsführung zeich¬
nete sich höchst unvortheilhaft durch skandalöse Anleihecontracte aus, die dem
Staatsschatz langwierige Verlegenheiten bereiteten. Die vorausgesagten Nach¬
theile der Aufhebung der Consumos machten sich schnell fühlbar, die gehoff-
ten Vortheile blieben aus. Die Ermäßigung in den Preisen der Lebensmittel
war kaum merklich, denn der Gewinn ging größtentheils in die Taschen der
Zwischenhändler; aber die fortdauernde Stockung in Handel und Wandels
welche der steigenden Finanznoth und den Befürchtungen sür die Zukunft ent¬
sprang, drückte schwer auf den ärmern Classen. Die Communen waren in kei¬
ner bessern Lage, als der Staat, denn ein Theil des Ertrags der Thorzöllc
war in ihre Kassen geflossen. Der auch bei ihnen ungedeckte Ausfall nöthigte
sie, gemeinnützige Unternehmungen zu fistiren, die dem Arbeiter Beschäftigung
gegeben hatten. So zeigte es sich, daß eine Reform, noch so heilsam an und
für sich, auch des richtigen Augenblicks und der passenden Verhältnisse bedarf,
um heilsam zu wirken.

Günstiger, als über die Finanzen, fielen die Beschlüsse der Cortes in Be¬
treff der Armee aus. Auch hierin wurde das Land von den schlimmsten Even¬
tualitäten bedroht. Der Bestand des Heeres in Friedenszeiten hatte mit Aus¬
nahme der Colonien, die ihre besondern, aus den Colonialkassen bestrittenen
Militärbudgets haben, bis zum Juliaufstande etwa 100,000 Mann betragen,
ungerechnet die Guardia civil (ein Gendarmeriecorps) und die militärisch organi-
sirten Douaniers. Diese Zahl erschien in Betracht der Bevölkerung und Aus¬
dehnung Spaniens nicht übermäßig; aber sie lastete schwer aus dem Büdgei.
Die Wiedererrichtung der Nationalmiliz ließ, insofern man die Armee nicht
als ein Gegengewicht dieser betrachten wollte, eine Reduction zu. Factisch war
diese bereits bewirkt und zwar in einem bedenklichen Maßstabe. Die Chefs deS
Aufstandes vom 38. Juni hatten nothgedrungen zu dem gewöhnlichen Hebel
der Militärinsurrectionen, dem Versprechen eines Nachlasses an der noch übri-


Annahme zurückzutreten, setzte die Verwerfung des Antrags mit geringer Mehr¬
heit durch. Er wurde indeß unter veränderter Form wieder aufgenommen und
die Majorität gegen ihn schwand noch mehr zusammen (128 gegen -116 Stim¬
men). Gegen eine solche Opposition in den Cortes, gegen die Agitation
außerhalb, gegen die Auflehnung verschiedener Städte, vor allem Saragossas,
wagte die Negierung nicht, aus ihrem Widerstand zu beharren. Sie ließ die
Consumos fallen und Collado schied aus. In den brennenden und jetzt sehr
gesteigerten Bedrängnissen des Augenblicks erkor man zu seinem Nachfolger
wiederum einen Bankier, einen der reichsten Madrids, Sevillcmo, Herzog bei
Fuentes del Duero, eine Würde, die ihm sür die des Marquisats nach den
Julitagen ertheilt worden. Er war wie sein Vorgänger Moderado, aber, wenn
auch die Verbindungen mit dem Geldmarkt, so besaß er leider weder die Ge¬
wissenhaftigkeit, noch Tüchtigkeit desselben. Seine ephemere Amtsführung zeich¬
nete sich höchst unvortheilhaft durch skandalöse Anleihecontracte aus, die dem
Staatsschatz langwierige Verlegenheiten bereiteten. Die vorausgesagten Nach¬
theile der Aufhebung der Consumos machten sich schnell fühlbar, die gehoff-
ten Vortheile blieben aus. Die Ermäßigung in den Preisen der Lebensmittel
war kaum merklich, denn der Gewinn ging größtentheils in die Taschen der
Zwischenhändler; aber die fortdauernde Stockung in Handel und Wandels
welche der steigenden Finanznoth und den Befürchtungen sür die Zukunft ent¬
sprang, drückte schwer auf den ärmern Classen. Die Communen waren in kei¬
ner bessern Lage, als der Staat, denn ein Theil des Ertrags der Thorzöllc
war in ihre Kassen geflossen. Der auch bei ihnen ungedeckte Ausfall nöthigte
sie, gemeinnützige Unternehmungen zu fistiren, die dem Arbeiter Beschäftigung
gegeben hatten. So zeigte es sich, daß eine Reform, noch so heilsam an und
für sich, auch des richtigen Augenblicks und der passenden Verhältnisse bedarf,
um heilsam zu wirken.

Günstiger, als über die Finanzen, fielen die Beschlüsse der Cortes in Be¬
treff der Armee aus. Auch hierin wurde das Land von den schlimmsten Even¬
tualitäten bedroht. Der Bestand des Heeres in Friedenszeiten hatte mit Aus¬
nahme der Colonien, die ihre besondern, aus den Colonialkassen bestrittenen
Militärbudgets haben, bis zum Juliaufstande etwa 100,000 Mann betragen,
ungerechnet die Guardia civil (ein Gendarmeriecorps) und die militärisch organi-
sirten Douaniers. Diese Zahl erschien in Betracht der Bevölkerung und Aus¬
dehnung Spaniens nicht übermäßig; aber sie lastete schwer aus dem Büdgei.
Die Wiedererrichtung der Nationalmiliz ließ, insofern man die Armee nicht
als ein Gegengewicht dieser betrachten wollte, eine Reduction zu. Factisch war
diese bereits bewirkt und zwar in einem bedenklichen Maßstabe. Die Chefs deS
Aufstandes vom 38. Juni hatten nothgedrungen zu dem gewöhnlichen Hebel
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[0461] Annahme zurückzutreten, setzte die Verwerfung des Antrags mit geringer Mehr¬ heit durch. Er wurde indeß unter veränderter Form wieder aufgenommen und die Majorität gegen ihn schwand noch mehr zusammen (128 gegen -116 Stim¬ men). Gegen eine solche Opposition in den Cortes, gegen die Agitation außerhalb, gegen die Auflehnung verschiedener Städte, vor allem Saragossas, wagte die Negierung nicht, aus ihrem Widerstand zu beharren. Sie ließ die Consumos fallen und Collado schied aus. In den brennenden und jetzt sehr gesteigerten Bedrängnissen des Augenblicks erkor man zu seinem Nachfolger wiederum einen Bankier, einen der reichsten Madrids, Sevillcmo, Herzog bei Fuentes del Duero, eine Würde, die ihm sür die des Marquisats nach den Julitagen ertheilt worden. Er war wie sein Vorgänger Moderado, aber, wenn auch die Verbindungen mit dem Geldmarkt, so besaß er leider weder die Ge¬ wissenhaftigkeit, noch Tüchtigkeit desselben. Seine ephemere Amtsführung zeich¬ nete sich höchst unvortheilhaft durch skandalöse Anleihecontracte aus, die dem Staatsschatz langwierige Verlegenheiten bereiteten. Die vorausgesagten Nach¬ theile der Aufhebung der Consumos machten sich schnell fühlbar, die gehoff- ten Vortheile blieben aus. Die Ermäßigung in den Preisen der Lebensmittel war kaum merklich, denn der Gewinn ging größtentheils in die Taschen der Zwischenhändler; aber die fortdauernde Stockung in Handel und Wandels welche der steigenden Finanznoth und den Befürchtungen sür die Zukunft ent¬ sprang, drückte schwer auf den ärmern Classen. Die Communen waren in kei¬ ner bessern Lage, als der Staat, denn ein Theil des Ertrags der Thorzöllc war in ihre Kassen geflossen. Der auch bei ihnen ungedeckte Ausfall nöthigte sie, gemeinnützige Unternehmungen zu fistiren, die dem Arbeiter Beschäftigung gegeben hatten. So zeigte es sich, daß eine Reform, noch so heilsam an und für sich, auch des richtigen Augenblicks und der passenden Verhältnisse bedarf, um heilsam zu wirken. Günstiger, als über die Finanzen, fielen die Beschlüsse der Cortes in Be¬ treff der Armee aus. Auch hierin wurde das Land von den schlimmsten Even¬ tualitäten bedroht. Der Bestand des Heeres in Friedenszeiten hatte mit Aus¬ nahme der Colonien, die ihre besondern, aus den Colonialkassen bestrittenen Militärbudgets haben, bis zum Juliaufstande etwa 100,000 Mann betragen, ungerechnet die Guardia civil (ein Gendarmeriecorps) und die militärisch organi- sirten Douaniers. Diese Zahl erschien in Betracht der Bevölkerung und Aus¬ dehnung Spaniens nicht übermäßig; aber sie lastete schwer aus dem Büdgei. Die Wiedererrichtung der Nationalmiliz ließ, insofern man die Armee nicht als ein Gegengewicht dieser betrachten wollte, eine Reduction zu. Factisch war diese bereits bewirkt und zwar in einem bedenklichen Maßstabe. Die Chefs deS Aufstandes vom 38. Juni hatten nothgedrungen zu dem gewöhnlichen Hebel der Militärinsurrectionen, dem Versprechen eines Nachlasses an der noch übri-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/461>, abgerufen am 23.07.2024.