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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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durchzusetzen, der für die gewöhnlichen Gesetze die königliche Sanction noth¬
wendig erklärte. Welche Gesetze jedoch als organisch, welche als nur gewöhn¬
lich betrachtet werden sollten, dies bestimmten gleichfalls die Cortes. Wie
tief diese Demüthigung ihrer Würde von der Königin empfunden werden mußte,
liegt zu Tage.

Während die Verfassungsarbcit noch in den Anfangsstadien der Com-
missionsberathungen lag, trat die Finanzfrage in bedrohlicher Weise in den
Vordergrund. Das gestürzte Regime hatte seinen Nachfolgern die Staatskasse
im traurigsten Zustande hinterlassen. Die schwebende Schuld, die schon unter
Narvaez nicht eben sparsamer Verwaltung eine beträchtliche Höhe erreicht
hatte, war durch die Verschwendung der auf ihn folgenden Camarillaininisterien
bis zu dem enormen Betrage von 707 Millionen Realen (mehr als i7 Mil¬
lionen Thaler) angeschwollen. Trotz dem, daß in den letzten Monaten vor
dem Aufstande das Cabinet des Grafen von San Luis eine Zwangsanleihe
ausgeschrieben und zum großen Theil schon eingezogen hatte -- sie war keine
der unwirksamsten Ursachen zur Verbreitung der Revolution -- fand das neue
Ministerium die Kassen im buchstäblichen Sinne des Worts fast leer. Hierzu
kamen die sehr bedeutenden Ausfälle der Staatseinkünfte in den Monaten
Juli und August. Weniger die bei jeder großen Umwälzung unvermeidlichen
Stockungen der Arbeit und des Verkehrs waren die Ursache derselben, als die
schon erwähnte Wirthschaft der Junten, welche unbeliebte Steuern, vor allem
die Thorzölle aufhoben, und in den Grenz- und Küstendistricten Massen frem¬
der Fabrikate, besonders im Süden englische Waaren, zollfrei hineinließen.
Trotzdem hatte es die Negierung möglich gemacht, die im Juli fällig gewor¬
dene Zinszahlung des Semesters, sobald die äußere Ordnung erträglich her¬
gestellt war, zu leisten. Dies war ausschließlich dem persönlichen Vertrauen
zu verdanken, dessen der Finanzminister Collado, einer der reichsten Bankiers
der Hauptstadt und O'Dommel nahe befreundet, bei. den Chefs der hohen
madrider Finanz genoß. ' Doch konnte dasselbe nur vorübergehende Hilfsquellen
eröffnen. Ebenso waren alle Reduktionen, welche das Ministerium in der
Armee, der Civilliste, dem kostspieligen und vielfach unnützen Räderwerk der
Verwaltung einführte, nicht hinreichend, den tiefen Schlund des Deficits zu
füllen. Die Cortes mußten durch ihre Autorität die'Regierung in den S^laut
setzen, das aus seinen Fugen gerissene Steuersystem wieder einzurichten, da¬
durch den Staatscredit zu heben und zu erträgliche" Bedingungen eine Anleihe
zur Tilgung der schwebenden Schuld zu beschaffen. Denn die Wucherzinsen
dieser letztern, deren auf kurze Frist^ausgestellte Documente sich in den Händen
spanischer Geldmänner befanden, zehrten die Einkünfte des Schatzes auf.
Collado, kein Minister von'neuen und schöpferischen Ideen, aber haushälterisch,
arbeitsam und vor allem im Besitz des Vertrauens der Kapitalisten, war eifrig
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durchzusetzen, der für die gewöhnlichen Gesetze die königliche Sanction noth¬
wendig erklärte. Welche Gesetze jedoch als organisch, welche als nur gewöhn¬
lich betrachtet werden sollten, dies bestimmten gleichfalls die Cortes. Wie
tief diese Demüthigung ihrer Würde von der Königin empfunden werden mußte,
liegt zu Tage.

Während die Verfassungsarbcit noch in den Anfangsstadien der Com-
missionsberathungen lag, trat die Finanzfrage in bedrohlicher Weise in den
Vordergrund. Das gestürzte Regime hatte seinen Nachfolgern die Staatskasse
im traurigsten Zustande hinterlassen. Die schwebende Schuld, die schon unter
Narvaez nicht eben sparsamer Verwaltung eine beträchtliche Höhe erreicht
hatte, war durch die Verschwendung der auf ihn folgenden Camarillaininisterien
bis zu dem enormen Betrage von 707 Millionen Realen (mehr als i7 Mil¬
lionen Thaler) angeschwollen. Trotz dem, daß in den letzten Monaten vor
dem Aufstande das Cabinet des Grafen von San Luis eine Zwangsanleihe
ausgeschrieben und zum großen Theil schon eingezogen hatte — sie war keine
der unwirksamsten Ursachen zur Verbreitung der Revolution — fand das neue
Ministerium die Kassen im buchstäblichen Sinne des Worts fast leer. Hierzu
kamen die sehr bedeutenden Ausfälle der Staatseinkünfte in den Monaten
Juli und August. Weniger die bei jeder großen Umwälzung unvermeidlichen
Stockungen der Arbeit und des Verkehrs waren die Ursache derselben, als die
schon erwähnte Wirthschaft der Junten, welche unbeliebte Steuern, vor allem
die Thorzölle aufhoben, und in den Grenz- und Küstendistricten Massen frem¬
der Fabrikate, besonders im Süden englische Waaren, zollfrei hineinließen.
Trotzdem hatte es die Negierung möglich gemacht, die im Juli fällig gewor¬
dene Zinszahlung des Semesters, sobald die äußere Ordnung erträglich her¬
gestellt war, zu leisten. Dies war ausschließlich dem persönlichen Vertrauen
zu verdanken, dessen der Finanzminister Collado, einer der reichsten Bankiers
der Hauptstadt und O'Dommel nahe befreundet, bei. den Chefs der hohen
madrider Finanz genoß. ' Doch konnte dasselbe nur vorübergehende Hilfsquellen
eröffnen. Ebenso waren alle Reduktionen, welche das Ministerium in der
Armee, der Civilliste, dem kostspieligen und vielfach unnützen Räderwerk der
Verwaltung einführte, nicht hinreichend, den tiefen Schlund des Deficits zu
füllen. Die Cortes mußten durch ihre Autorität die'Regierung in den S^laut
setzen, das aus seinen Fugen gerissene Steuersystem wieder einzurichten, da¬
durch den Staatscredit zu heben und zu erträgliche» Bedingungen eine Anleihe
zur Tilgung der schwebenden Schuld zu beschaffen. Denn die Wucherzinsen
dieser letztern, deren auf kurze Frist^ausgestellte Documente sich in den Händen
spanischer Geldmänner befanden, zehrten die Einkünfte des Schatzes auf.
Collado, kein Minister von'neuen und schöpferischen Ideen, aber haushälterisch,
arbeitsam und vor allem im Besitz des Vertrauens der Kapitalisten, war eifrig
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[0459] durchzusetzen, der für die gewöhnlichen Gesetze die königliche Sanction noth¬ wendig erklärte. Welche Gesetze jedoch als organisch, welche als nur gewöhn¬ lich betrachtet werden sollten, dies bestimmten gleichfalls die Cortes. Wie tief diese Demüthigung ihrer Würde von der Königin empfunden werden mußte, liegt zu Tage. Während die Verfassungsarbcit noch in den Anfangsstadien der Com- missionsberathungen lag, trat die Finanzfrage in bedrohlicher Weise in den Vordergrund. Das gestürzte Regime hatte seinen Nachfolgern die Staatskasse im traurigsten Zustande hinterlassen. Die schwebende Schuld, die schon unter Narvaez nicht eben sparsamer Verwaltung eine beträchtliche Höhe erreicht hatte, war durch die Verschwendung der auf ihn folgenden Camarillaininisterien bis zu dem enormen Betrage von 707 Millionen Realen (mehr als i7 Mil¬ lionen Thaler) angeschwollen. Trotz dem, daß in den letzten Monaten vor dem Aufstande das Cabinet des Grafen von San Luis eine Zwangsanleihe ausgeschrieben und zum großen Theil schon eingezogen hatte — sie war keine der unwirksamsten Ursachen zur Verbreitung der Revolution — fand das neue Ministerium die Kassen im buchstäblichen Sinne des Worts fast leer. Hierzu kamen die sehr bedeutenden Ausfälle der Staatseinkünfte in den Monaten Juli und August. Weniger die bei jeder großen Umwälzung unvermeidlichen Stockungen der Arbeit und des Verkehrs waren die Ursache derselben, als die schon erwähnte Wirthschaft der Junten, welche unbeliebte Steuern, vor allem die Thorzölle aufhoben, und in den Grenz- und Küstendistricten Massen frem¬ der Fabrikate, besonders im Süden englische Waaren, zollfrei hineinließen. Trotzdem hatte es die Negierung möglich gemacht, die im Juli fällig gewor¬ dene Zinszahlung des Semesters, sobald die äußere Ordnung erträglich her¬ gestellt war, zu leisten. Dies war ausschließlich dem persönlichen Vertrauen zu verdanken, dessen der Finanzminister Collado, einer der reichsten Bankiers der Hauptstadt und O'Dommel nahe befreundet, bei. den Chefs der hohen madrider Finanz genoß. ' Doch konnte dasselbe nur vorübergehende Hilfsquellen eröffnen. Ebenso waren alle Reduktionen, welche das Ministerium in der Armee, der Civilliste, dem kostspieligen und vielfach unnützen Räderwerk der Verwaltung einführte, nicht hinreichend, den tiefen Schlund des Deficits zu füllen. Die Cortes mußten durch ihre Autorität die'Regierung in den S^laut setzen, das aus seinen Fugen gerissene Steuersystem wieder einzurichten, da¬ durch den Staatscredit zu heben und zu erträgliche» Bedingungen eine Anleihe zur Tilgung der schwebenden Schuld zu beschaffen. Denn die Wucherzinsen dieser letztern, deren auf kurze Frist^ausgestellte Documente sich in den Händen spanischer Geldmänner befanden, zehrten die Einkünfte des Schatzes auf. Collado, kein Minister von'neuen und schöpferischen Ideen, aber haushälterisch, arbeitsam und vor allem im Besitz des Vertrauens der Kapitalisten, war eifrig '' 57*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/459>, abgerufen am 23.07.2024.