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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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cirea -- der Himmel weiß, wo?-- bei sich führt, mit der Miene eines Pri¬
madonnenvaters nach, daß seine Tochter schon sür volle zwei Monate, die
Sonn- und Festtage mitgerechnet, im Voraus versagt sei.

Es ist uns leid, aber unser Neuling hat von der Gunst des Schicksals,
welche ihm sobald das gesuchteste Modell Roms und die unvergleichlichste Colorit-
studie zuführt, keinen vollständigen Begriff. , Er hatte von einem stattlichem
Modell Assunta gehört und bei dem Entwürfe seiner Dankbarkeit schwebte ihre
gereifte Erscheinung seinem Geiste vor. Giacinta stimmt ihn genrehaft.. Er
persuades, ihr eine seinem Entwurf zusagende Stellung zu geben; sie hat Mühe,
ihre ans Sitzen gewöhnte Figur durch irgend welche graziöse Bewegung zu
idealistren. Als er aber gar Anstalt macht, aus de-n vorhandenen Tüchern
.und Decken eine Art Toga und Chlamis zusammenzubringen, und der Hirte
an dem Kohlenentwurfe wahrnimmt, daß es sich hier gar nicht um eine Co-
stümestubie handelt, so verräth der Modellvater große Entrüstung, entladet
einige unverständliche Flüche , schiebt seinen Nachwuchs aus dem Atelier auf
die Stiege hinaus und wirft, mit einem zornglühenden Blick sich verabschiedend,
die Thüre ins Schloß.

Signora Galanino kennt diese Eigenschaft ihrer Thüre und eilt dem Uebel
abzuhelfen. Neue Geberdensprache folgt. Zuletzt wird der rockausklopfende
Junior mit dem Auftrage fortgeschickt, gleich das Modell Assunta herbeizu¬
schaffen; wenn diese nicht erreichbar, im Nothfalle selbst die minder gewandte
Marietta. Nach einer Stunde unlustigen Harrens erscheint die. letztere. Die
Wirthin führt sie ein. Marietta steht in der M>Ac der Zwanziger, ist der
Zucht ihrer Stiefmutter längst entlaufen und stellt sich deshalb nicht in der
Gestalt eines Familienkleeblatts. Die gutmüthige Wirthin bringt einen ver¬
schossenen Gardinenflügel von buntgewesenem Damast herbei, öffnet das un¬
bewohnbare, als Rumpelkammer benutzte Nebenstübchen, Marietta schlüpft
mit ihr und einer weißen Tischdecke hinein und erscheint gleich darauf in etwas
leichterer Gewandung, aber um so viel edlerer Drapirung. Die Modelle
Italiens werden in dieser Gewandtheit durch diejenigen des Boulevard Mont¬
martre noch übertroffen, aber was bei diesen eingelernte Fertigkeit ist, geben
jene als natürliches, angeborenes Schönheitsmaß.

Es hieße einen zu tiefen Blick hinter die Coulissen des GemäldeentstchenS
thun, wollten wir vie Aenderungen, die mimischen Vorschläge, das Kopfnicken
und Kopfschütteln, das Verschieben .der Modellbasis, das Prüfen, Suchen
und Vergleichen bald von dieser, bald von jener Ecke des Stübchens aus,
wollten wir alle Nebergangsstadien berühren, welche von der ersten freien Ge¬
berde des Modells bis zur endlichen kunstgemäßen Firirung derselben durch¬
gegangen werden müssen, ehe die Kreide oder Kohle gespitzt und die Staffelei
ins rechte Licht gerückt wird. Jetzt entsteht in raschen Strichen die "Dank-


cirea — der Himmel weiß, wo?— bei sich führt, mit der Miene eines Pri¬
madonnenvaters nach, daß seine Tochter schon sür volle zwei Monate, die
Sonn- und Festtage mitgerechnet, im Voraus versagt sei.

Es ist uns leid, aber unser Neuling hat von der Gunst des Schicksals,
welche ihm sobald das gesuchteste Modell Roms und die unvergleichlichste Colorit-
studie zuführt, keinen vollständigen Begriff. , Er hatte von einem stattlichem
Modell Assunta gehört und bei dem Entwürfe seiner Dankbarkeit schwebte ihre
gereifte Erscheinung seinem Geiste vor. Giacinta stimmt ihn genrehaft.. Er
persuades, ihr eine seinem Entwurf zusagende Stellung zu geben; sie hat Mühe,
ihre ans Sitzen gewöhnte Figur durch irgend welche graziöse Bewegung zu
idealistren. Als er aber gar Anstalt macht, aus de-n vorhandenen Tüchern
.und Decken eine Art Toga und Chlamis zusammenzubringen, und der Hirte
an dem Kohlenentwurfe wahrnimmt, daß es sich hier gar nicht um eine Co-
stümestubie handelt, so verräth der Modellvater große Entrüstung, entladet
einige unverständliche Flüche , schiebt seinen Nachwuchs aus dem Atelier auf
die Stiege hinaus und wirft, mit einem zornglühenden Blick sich verabschiedend,
die Thüre ins Schloß.

Signora Galanino kennt diese Eigenschaft ihrer Thüre und eilt dem Uebel
abzuhelfen. Neue Geberdensprache folgt. Zuletzt wird der rockausklopfende
Junior mit dem Auftrage fortgeschickt, gleich das Modell Assunta herbeizu¬
schaffen; wenn diese nicht erreichbar, im Nothfalle selbst die minder gewandte
Marietta. Nach einer Stunde unlustigen Harrens erscheint die. letztere. Die
Wirthin führt sie ein. Marietta steht in der M>Ac der Zwanziger, ist der
Zucht ihrer Stiefmutter längst entlaufen und stellt sich deshalb nicht in der
Gestalt eines Familienkleeblatts. Die gutmüthige Wirthin bringt einen ver¬
schossenen Gardinenflügel von buntgewesenem Damast herbei, öffnet das un¬
bewohnbare, als Rumpelkammer benutzte Nebenstübchen, Marietta schlüpft
mit ihr und einer weißen Tischdecke hinein und erscheint gleich darauf in etwas
leichterer Gewandung, aber um so viel edlerer Drapirung. Die Modelle
Italiens werden in dieser Gewandtheit durch diejenigen des Boulevard Mont¬
martre noch übertroffen, aber was bei diesen eingelernte Fertigkeit ist, geben
jene als natürliches, angeborenes Schönheitsmaß.

Es hieße einen zu tiefen Blick hinter die Coulissen des GemäldeentstchenS
thun, wollten wir vie Aenderungen, die mimischen Vorschläge, das Kopfnicken
und Kopfschütteln, das Verschieben .der Modellbasis, das Prüfen, Suchen
und Vergleichen bald von dieser, bald von jener Ecke des Stübchens aus,
wollten wir alle Nebergangsstadien berühren, welche von der ersten freien Ge¬
berde des Modells bis zur endlichen kunstgemäßen Firirung derselben durch¬
gegangen werden müssen, ehe die Kreide oder Kohle gespitzt und die Staffelei
ins rechte Licht gerückt wird. Jetzt entsteht in raschen Strichen die „Dank-


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[0376] cirea — der Himmel weiß, wo?— bei sich führt, mit der Miene eines Pri¬ madonnenvaters nach, daß seine Tochter schon sür volle zwei Monate, die Sonn- und Festtage mitgerechnet, im Voraus versagt sei. Es ist uns leid, aber unser Neuling hat von der Gunst des Schicksals, welche ihm sobald das gesuchteste Modell Roms und die unvergleichlichste Colorit- studie zuführt, keinen vollständigen Begriff. , Er hatte von einem stattlichem Modell Assunta gehört und bei dem Entwürfe seiner Dankbarkeit schwebte ihre gereifte Erscheinung seinem Geiste vor. Giacinta stimmt ihn genrehaft.. Er persuades, ihr eine seinem Entwurf zusagende Stellung zu geben; sie hat Mühe, ihre ans Sitzen gewöhnte Figur durch irgend welche graziöse Bewegung zu idealistren. Als er aber gar Anstalt macht, aus de-n vorhandenen Tüchern .und Decken eine Art Toga und Chlamis zusammenzubringen, und der Hirte an dem Kohlenentwurfe wahrnimmt, daß es sich hier gar nicht um eine Co- stümestubie handelt, so verräth der Modellvater große Entrüstung, entladet einige unverständliche Flüche , schiebt seinen Nachwuchs aus dem Atelier auf die Stiege hinaus und wirft, mit einem zornglühenden Blick sich verabschiedend, die Thüre ins Schloß. Signora Galanino kennt diese Eigenschaft ihrer Thüre und eilt dem Uebel abzuhelfen. Neue Geberdensprache folgt. Zuletzt wird der rockausklopfende Junior mit dem Auftrage fortgeschickt, gleich das Modell Assunta herbeizu¬ schaffen; wenn diese nicht erreichbar, im Nothfalle selbst die minder gewandte Marietta. Nach einer Stunde unlustigen Harrens erscheint die. letztere. Die Wirthin führt sie ein. Marietta steht in der M>Ac der Zwanziger, ist der Zucht ihrer Stiefmutter längst entlaufen und stellt sich deshalb nicht in der Gestalt eines Familienkleeblatts. Die gutmüthige Wirthin bringt einen ver¬ schossenen Gardinenflügel von buntgewesenem Damast herbei, öffnet das un¬ bewohnbare, als Rumpelkammer benutzte Nebenstübchen, Marietta schlüpft mit ihr und einer weißen Tischdecke hinein und erscheint gleich darauf in etwas leichterer Gewandung, aber um so viel edlerer Drapirung. Die Modelle Italiens werden in dieser Gewandtheit durch diejenigen des Boulevard Mont¬ martre noch übertroffen, aber was bei diesen eingelernte Fertigkeit ist, geben jene als natürliches, angeborenes Schönheitsmaß. Es hieße einen zu tiefen Blick hinter die Coulissen des GemäldeentstchenS thun, wollten wir vie Aenderungen, die mimischen Vorschläge, das Kopfnicken und Kopfschütteln, das Verschieben .der Modellbasis, das Prüfen, Suchen und Vergleichen bald von dieser, bald von jener Ecke des Stübchens aus, wollten wir alle Nebergangsstadien berühren, welche von der ersten freien Ge¬ berde des Modells bis zur endlichen kunstgemäßen Firirung derselben durch¬ gegangen werden müssen, ehe die Kreide oder Kohle gespitzt und die Staffelei ins rechte Licht gerückt wird. Jetzt entsteht in raschen Strichen die „Dank-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/376>, abgerufen am 23.07.2024.