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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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ihm nichts übrig, als die Dankbarkeit zu malen. Sie soll nicht mit gefalteten
Händen zum Himmel blicken, sondern überglücklich auf alles, was sie umgibt,
und eine Opferschale, deren Unterbringung ihm noch einiges Kopfzerbrechen
macht, wird die allegorische Bedeutung seiner Göttin vervollständigen.

Während er noch hin und her überlegt und Kohlenskizzen auf die Rück¬
wand seines Lederkvffers zeichnet, lassen sich eine Menge unterschiedlicher Tritte
auf der vierten und endlich auf der fünften Treppe der Signora Galanino
hören, und herein tritt ein Abruzzenhirt mit langem Stock, spitzem Hut und
Ziegenfellhosen, dem ein Mädchen von etwa vierzehn Jahren in Ciucciaren-
tracht und ein kleineres von etwa sieben Jahren, ähnlich gekleidet, folgt. Das
Mädchen von vierzehn Jahren bildet den Kernpunkt dieses Zuges; Vater und jün¬
gere Schwester sind der Kometenschweif. Dieser Kernpunkt aber heißt Giacinta.
Wer römische Genrebilder aus den letzten Jahren sah, kennt dies Modell; es
ist auf allen zu finden. Giacinta hat eine, selbst unter der Sonne Italiens höchst
seltene Carnation, fast bis zum Violet steigert sich an einigen Stellen ihres
Gesichts der dunkle Fleischton, welchen zu durchbrechen das Blut der jungen
Wangen vergeblich bemüht ist. Ihr Haar hat jenen kalt bläulichen Glanz,
der so schön von der Wärme eines tiefen Colorits absticht, die Brauen sind lang
geschweift und fein, die Augen wenig geöffnet, fast schläfrig, wenn man nicht
so glücklich ist, schmachtende Schwärmerei in ihnen zu lesen. Sie ist nicht
groß von Gestalt, wenig entwickelt, und der Geist nicht minder als das Herz
warten noch ihres Weckers.

Der Vater Giacintas setzt sich ohne weiteres vor den Kamin, die kleine
Tochter folgt seinem Beispiel; Giacinta selbst bleibt stehen, wo sie Platz fand.
Alles, was der Bewohner des Dachstübchens von dieser Erscheinung begreift,
läßt sich auf den Namen eines befreundeten Künstlers zurückführen, der bei
der kurzen Anrede des Abruzzenmanneö an sein Ohr klang. Hat ihm dieser
Freund das Modell zugeschickt? wird er selbst mit dem Freunde verwechselt?
Handelt sichs überhaupt um ein Modell oder Stubs Verwandte der Signora
Galanino, wenn nicht gar die früheren Miether dieses Raumes, deren Contract
vielleicht erst in einigen Tagen abläuft? Nach einer Weile schweigenden Stau¬
nens kommt eS zu Auseinandersetzungen, bei denen der Hirte häusig auf seine
Ziegenfellhosen schlägt und mir dem Stäbe den Plafond des tiefer wohnenden
Nachbars in Gefahr bringt. Zuletzt legt sich die Wirthin ins Mittel und ihr
Geberdentalent läßt endlich in dem rathlosen Künstler die Ahnung durchbrechen
-- und zwar die ganz richtige -- daß sein Freund sich dieses Modells heute
seinetwegen berauben und, um nicht ganz müßig zu sein, eine Finkenjagd in
der Campagna mitmachen wolle. Giacinta nimmt an dusem Vorgange keinen
Antheil; es ist ihr gleichgiltig, wo sie ihre acht Stunden Tagwerk absitzen wird;
desto lebhafter wird der Alte und weist in einem Taschenbüchlein, das Gia-


ihm nichts übrig, als die Dankbarkeit zu malen. Sie soll nicht mit gefalteten
Händen zum Himmel blicken, sondern überglücklich auf alles, was sie umgibt,
und eine Opferschale, deren Unterbringung ihm noch einiges Kopfzerbrechen
macht, wird die allegorische Bedeutung seiner Göttin vervollständigen.

Während er noch hin und her überlegt und Kohlenskizzen auf die Rück¬
wand seines Lederkvffers zeichnet, lassen sich eine Menge unterschiedlicher Tritte
auf der vierten und endlich auf der fünften Treppe der Signora Galanino
hören, und herein tritt ein Abruzzenhirt mit langem Stock, spitzem Hut und
Ziegenfellhosen, dem ein Mädchen von etwa vierzehn Jahren in Ciucciaren-
tracht und ein kleineres von etwa sieben Jahren, ähnlich gekleidet, folgt. Das
Mädchen von vierzehn Jahren bildet den Kernpunkt dieses Zuges; Vater und jün¬
gere Schwester sind der Kometenschweif. Dieser Kernpunkt aber heißt Giacinta.
Wer römische Genrebilder aus den letzten Jahren sah, kennt dies Modell; es
ist auf allen zu finden. Giacinta hat eine, selbst unter der Sonne Italiens höchst
seltene Carnation, fast bis zum Violet steigert sich an einigen Stellen ihres
Gesichts der dunkle Fleischton, welchen zu durchbrechen das Blut der jungen
Wangen vergeblich bemüht ist. Ihr Haar hat jenen kalt bläulichen Glanz,
der so schön von der Wärme eines tiefen Colorits absticht, die Brauen sind lang
geschweift und fein, die Augen wenig geöffnet, fast schläfrig, wenn man nicht
so glücklich ist, schmachtende Schwärmerei in ihnen zu lesen. Sie ist nicht
groß von Gestalt, wenig entwickelt, und der Geist nicht minder als das Herz
warten noch ihres Weckers.

Der Vater Giacintas setzt sich ohne weiteres vor den Kamin, die kleine
Tochter folgt seinem Beispiel; Giacinta selbst bleibt stehen, wo sie Platz fand.
Alles, was der Bewohner des Dachstübchens von dieser Erscheinung begreift,
läßt sich auf den Namen eines befreundeten Künstlers zurückführen, der bei
der kurzen Anrede des Abruzzenmanneö an sein Ohr klang. Hat ihm dieser
Freund das Modell zugeschickt? wird er selbst mit dem Freunde verwechselt?
Handelt sichs überhaupt um ein Modell oder Stubs Verwandte der Signora
Galanino, wenn nicht gar die früheren Miether dieses Raumes, deren Contract
vielleicht erst in einigen Tagen abläuft? Nach einer Weile schweigenden Stau¬
nens kommt eS zu Auseinandersetzungen, bei denen der Hirte häusig auf seine
Ziegenfellhosen schlägt und mir dem Stäbe den Plafond des tiefer wohnenden
Nachbars in Gefahr bringt. Zuletzt legt sich die Wirthin ins Mittel und ihr
Geberdentalent läßt endlich in dem rathlosen Künstler die Ahnung durchbrechen
— und zwar die ganz richtige — daß sein Freund sich dieses Modells heute
seinetwegen berauben und, um nicht ganz müßig zu sein, eine Finkenjagd in
der Campagna mitmachen wolle. Giacinta nimmt an dusem Vorgange keinen
Antheil; es ist ihr gleichgiltig, wo sie ihre acht Stunden Tagwerk absitzen wird;
desto lebhafter wird der Alte und weist in einem Taschenbüchlein, das Gia-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/375>, abgerufen am 23.07.2024.