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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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harten" unter des Künstlers Hund. Marietta hält sich bewegungslos. Sie
hat vollkommen begriffen, was sie darstellen soll und ist ganz bei der
Sache. Eine volle Stunde wird sie, ohne auszuruhen, in ihrer festgehal¬
tenen Stellung verweilen; der Faltenwurf, grade glücklich gelungen, darf
nicht preisgegeben werden; sie steht um so fester und beharrlicher, je mehr
Sicherheit ihr daS rasche Arbeiten des Malers gibt: alles ist im besten
Gange.

Aber Tritte lassen sich abermals aus der Treppe vernehmen, die Thüre
wird ohne vorgängiges Klopfen geöffnet, und ehe Marietta noch in das Versteck
der Rumpelkammer entschlüpfen kann, steht ein Mann im Zimmer, dessen
Farben- und Pinselkasten ihn als einen herumziehenden Lieferanten dieser Un-
entbehrlichkeiten, dessen verwunderte und zugleich erboßte Miene aber ihn als
einen unbefriedigten Gläubiger des früheren Inhabers dieses Ateliers legiti-
miren. Der Künstler erwiedert seine unverständlichen Nachfragen und Weh¬
klagen mit der Versicherung, er habe Lust, sich die Haare auszuraufen, und
als der Eindringling nicht rasch genug die Zerstörung, welche er anrichtete,
begreift, wird er sammt seinem Kasten aus der Werkstatt hinausgeschoben,
wobei eS ihm begegnet, daß er die letzten Stufen der Treppe sitzend unter sich
wegrutschen fühlt. Marietta zeigt einen gewissen Grad von Entrüstung, daß
man sie nicht vor Ueberfällen dieser Art gesichert habe; sie schiebt den einzigen
Stuhl, als Ersatz für den abhanden gekommenen Riegel, vor die Thüre, und
wird sehr ungeduldig, als der Maler den Faltenwurf immer und immer wieder
zu verbessern genöthigt ist. Nach einer weitern halben Stunde ist die Wolke
ihres Unmuths von dem Gedanken, daß die Tagszeit bereits stark auf Mezzo
Giorno zugeht, aufgesogen. -- Um diese Zeit aber, zwischen 1-1 und 12, summt
es von Fremden um alle berühmteren römischen Ateliers, wie um einen Bienen¬
stock. Riedel öffnet nach -II Uhr seinen Sonnentempel, wo die Eintretenden
vergebens nach bunten Scheiben, farbigen FeNstervorsetzern und all den Geheim¬
mitteln seiner unerreichten Lichtwirkungen spähen. Pollack räumt um dieselbe
Zeit Modellgewandüng und sonstiges Handwerkzeug der Kunst bei Seite, und
stellt ganz und halbfertige Bilder in die günstigste, Beleuchtung. Mach legt
sich zum unglaublichsten Male die Langeweile auf, seine Magdalena mit Tag-
und Nachtlichtbeleuchtung mit französischer Artigkeit, aber holländischer Ver¬
drießlichkeit vorzuführen. Wagner verbarrikadirt sich gegen seine Bewunderer
in der Villa Malta mit dreidoppeltem Thürschloß. Flatz wirft seine Propa¬
gandanetze für schwankende Protestanten aus, um sie dem Schoße der allein¬
seligmachenden Kirche wieder zuzuführen. Lehmann" stellt seinen Bedienten auf
den Posten, damit er je nach Umständen die Abwesenheit seines Herrn be¬
dauere oder mit tiefer Verbeugung die Anmeldung der Besucher ni'ernehme.
Meister Cornelius endlich flüchtet um diese Zeit unter die Palmen und Aloen


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harten" unter des Künstlers Hund. Marietta hält sich bewegungslos. Sie
hat vollkommen begriffen, was sie darstellen soll und ist ganz bei der
Sache. Eine volle Stunde wird sie, ohne auszuruhen, in ihrer festgehal¬
tenen Stellung verweilen; der Faltenwurf, grade glücklich gelungen, darf
nicht preisgegeben werden; sie steht um so fester und beharrlicher, je mehr
Sicherheit ihr daS rasche Arbeiten des Malers gibt: alles ist im besten
Gange.

Aber Tritte lassen sich abermals aus der Treppe vernehmen, die Thüre
wird ohne vorgängiges Klopfen geöffnet, und ehe Marietta noch in das Versteck
der Rumpelkammer entschlüpfen kann, steht ein Mann im Zimmer, dessen
Farben- und Pinselkasten ihn als einen herumziehenden Lieferanten dieser Un-
entbehrlichkeiten, dessen verwunderte und zugleich erboßte Miene aber ihn als
einen unbefriedigten Gläubiger des früheren Inhabers dieses Ateliers legiti-
miren. Der Künstler erwiedert seine unverständlichen Nachfragen und Weh¬
klagen mit der Versicherung, er habe Lust, sich die Haare auszuraufen, und
als der Eindringling nicht rasch genug die Zerstörung, welche er anrichtete,
begreift, wird er sammt seinem Kasten aus der Werkstatt hinausgeschoben,
wobei eS ihm begegnet, daß er die letzten Stufen der Treppe sitzend unter sich
wegrutschen fühlt. Marietta zeigt einen gewissen Grad von Entrüstung, daß
man sie nicht vor Ueberfällen dieser Art gesichert habe; sie schiebt den einzigen
Stuhl, als Ersatz für den abhanden gekommenen Riegel, vor die Thüre, und
wird sehr ungeduldig, als der Maler den Faltenwurf immer und immer wieder
zu verbessern genöthigt ist. Nach einer weitern halben Stunde ist die Wolke
ihres Unmuths von dem Gedanken, daß die Tagszeit bereits stark auf Mezzo
Giorno zugeht, aufgesogen. — Um diese Zeit aber, zwischen 1-1 und 12, summt
es von Fremden um alle berühmteren römischen Ateliers, wie um einen Bienen¬
stock. Riedel öffnet nach -II Uhr seinen Sonnentempel, wo die Eintretenden
vergebens nach bunten Scheiben, farbigen FeNstervorsetzern und all den Geheim¬
mitteln seiner unerreichten Lichtwirkungen spähen. Pollack räumt um dieselbe
Zeit Modellgewandüng und sonstiges Handwerkzeug der Kunst bei Seite, und
stellt ganz und halbfertige Bilder in die günstigste, Beleuchtung. Mach legt
sich zum unglaublichsten Male die Langeweile auf, seine Magdalena mit Tag-
und Nachtlichtbeleuchtung mit französischer Artigkeit, aber holländischer Ver¬
drießlichkeit vorzuführen. Wagner verbarrikadirt sich gegen seine Bewunderer
in der Villa Malta mit dreidoppeltem Thürschloß. Flatz wirft seine Propa¬
gandanetze für schwankende Protestanten aus, um sie dem Schoße der allein¬
seligmachenden Kirche wieder zuzuführen. Lehmann" stellt seinen Bedienten auf
den Posten, damit er je nach Umständen die Abwesenheit seines Herrn be¬
dauere oder mit tiefer Verbeugung die Anmeldung der Besucher ni'ernehme.
Meister Cornelius endlich flüchtet um diese Zeit unter die Palmen und Aloen


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[0377] harten" unter des Künstlers Hund. Marietta hält sich bewegungslos. Sie hat vollkommen begriffen, was sie darstellen soll und ist ganz bei der Sache. Eine volle Stunde wird sie, ohne auszuruhen, in ihrer festgehal¬ tenen Stellung verweilen; der Faltenwurf, grade glücklich gelungen, darf nicht preisgegeben werden; sie steht um so fester und beharrlicher, je mehr Sicherheit ihr daS rasche Arbeiten des Malers gibt: alles ist im besten Gange. Aber Tritte lassen sich abermals aus der Treppe vernehmen, die Thüre wird ohne vorgängiges Klopfen geöffnet, und ehe Marietta noch in das Versteck der Rumpelkammer entschlüpfen kann, steht ein Mann im Zimmer, dessen Farben- und Pinselkasten ihn als einen herumziehenden Lieferanten dieser Un- entbehrlichkeiten, dessen verwunderte und zugleich erboßte Miene aber ihn als einen unbefriedigten Gläubiger des früheren Inhabers dieses Ateliers legiti- miren. Der Künstler erwiedert seine unverständlichen Nachfragen und Weh¬ klagen mit der Versicherung, er habe Lust, sich die Haare auszuraufen, und als der Eindringling nicht rasch genug die Zerstörung, welche er anrichtete, begreift, wird er sammt seinem Kasten aus der Werkstatt hinausgeschoben, wobei eS ihm begegnet, daß er die letzten Stufen der Treppe sitzend unter sich wegrutschen fühlt. Marietta zeigt einen gewissen Grad von Entrüstung, daß man sie nicht vor Ueberfällen dieser Art gesichert habe; sie schiebt den einzigen Stuhl, als Ersatz für den abhanden gekommenen Riegel, vor die Thüre, und wird sehr ungeduldig, als der Maler den Faltenwurf immer und immer wieder zu verbessern genöthigt ist. Nach einer weitern halben Stunde ist die Wolke ihres Unmuths von dem Gedanken, daß die Tagszeit bereits stark auf Mezzo Giorno zugeht, aufgesogen. — Um diese Zeit aber, zwischen 1-1 und 12, summt es von Fremden um alle berühmteren römischen Ateliers, wie um einen Bienen¬ stock. Riedel öffnet nach -II Uhr seinen Sonnentempel, wo die Eintretenden vergebens nach bunten Scheiben, farbigen FeNstervorsetzern und all den Geheim¬ mitteln seiner unerreichten Lichtwirkungen spähen. Pollack räumt um dieselbe Zeit Modellgewandüng und sonstiges Handwerkzeug der Kunst bei Seite, und stellt ganz und halbfertige Bilder in die günstigste, Beleuchtung. Mach legt sich zum unglaublichsten Male die Langeweile auf, seine Magdalena mit Tag- und Nachtlichtbeleuchtung mit französischer Artigkeit, aber holländischer Ver¬ drießlichkeit vorzuführen. Wagner verbarrikadirt sich gegen seine Bewunderer in der Villa Malta mit dreidoppeltem Thürschloß. Flatz wirft seine Propa¬ gandanetze für schwankende Protestanten aus, um sie dem Schoße der allein¬ seligmachenden Kirche wieder zuzuführen. Lehmann" stellt seinen Bedienten auf den Posten, damit er je nach Umständen die Abwesenheit seines Herrn be¬ dauere oder mit tiefer Verbeugung die Anmeldung der Besucher ni'ernehme. Meister Cornelius endlich flüchtet um diese Zeit unter die Palmen und Aloen Grnlzbvteil IV. -18os. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/377>, abgerufen am 23.07.2024.