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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Staaten getreten, seine Verfassung ist ausgezeichnet und mehrfach in Wirksam¬
keit getreten, und dennoch fehlte ihm bis jetzt eine vollständige wissenschaftliche
Bearbeitung seines Staatsrechts. Theilweise mag die Schwierigkeit der Auf¬
gabe Schuld daran sein. Das Material des Staatsrechts ist nur zum kleinsten
Theil in der Verfassungsurkunde enthalten. Sehr vieles muß aus dem ander¬
weitigen Gebiet des Rechts, der Flut von Gesetzen, Verordnungen, Staats¬
verträgen, Hausgesetzen herbeigeholt und selbstständig oder erläuternd am ge¬
eigneten Ort eingefügt werden. Fremde Vorarbeiten fand für Sichtung des
Materials Romme fast gar nicht. Doch hatte ihm frühere eigne Thätigkeit als
Sammler und Bearbeiter der preußischen Rechtsquellen, so wie die persönliche
Betheiligung an den politischen Tagesfragen als Mitglied der ersten Kammer
glücklicherweise Mühen erspart, die jedem weniger mit diesem Stoff Vertrauten
bevorgestanden hätten. Bei seiner Einordnung in ein festes System fand er
an Zachariae und Mohl bewährte Vorgänger. Wo er in wichtigen Punkten
von ihnen abweicht, führt er in den Noten seine Gründe an, und die sind
namentlich für die Ausscheidung des "Oberaufsichtsrechts" aus den formellen
Hoheitsrechten auch von andern Staatsrechtslehrern bereits anerkannt.

Noch eine Frage aber hatte sich vorzulegen, wer an die Bearbeitung des
Preußischen Staatsrechts ging: wird diese Bearbeitung zeitgemäß, wird sie über¬
haupt möglich und von mehr als augenblicklicher Bedeutung sein? Gesetze
staatsrechtlichen Inhalts, vor allem eine Verfassungsurkunde gab es in Preu¬
ßen. Aber seit sie erschienen war, welche Umgestaltungen hatte diese Verfassung
nicht schon erlebt? Schon die erste Vorlage der Regierung, die octroirte Ver¬
fassung vom S. December 1848 hatte unter den Händen der revidirenden Kam¬
mern, wie selbst der Abgeordnete Stahl zugab, wesentliche Verbesserungen in
conservativen Sinn erfahren, und das Resultat der Revision, das neue preu¬
ßische Staatsgrundgesetz, hatte noch in jedem Jahr unter den Streichen der
"kleinen, aber wichtigen Partei" bluten müssen. Hatte die jüngste Sitzungs¬
periode auch den Beweis geführt, daß ihrem Muth nicht jedes Ziel erreichbar
sei, so war doch nicht zu hoffen, daß ein Mißlingen sie von weiteren, viel¬
leicht erfolgreichen Angriffen abhalten würde. Das Gefühl von dem schwanken¬
den, unsichern Besitz dieser Verfassung, der selbst die wichtige Schutzwehr der
Ministerverantwortlichkcit noch immer fehlte, war so allgemein im Publicum,
daß man sich um ihren Inhalt höchstens bekümmerte, wenn er der Gegenstand
heißer Kämpfe in den Kammern war. War es doch kaum möglich, einen zu¬
verlässigen Privatabdruck der Verfassung zu erlangen, da keine Buchhandlung
!ich gern mit der Verbreitung eines Schriftstücks besassen mochte, das morgen
Maculatur sein konnte.

Romme hat sich alle diese Bedenken vorgeführt und sie endlich überwunden.
So sehr er anerkennt, daß die preußische Verfassung der Befestigung und Er-


Grenzboten. IV. 18so. 39

Staaten getreten, seine Verfassung ist ausgezeichnet und mehrfach in Wirksam¬
keit getreten, und dennoch fehlte ihm bis jetzt eine vollständige wissenschaftliche
Bearbeitung seines Staatsrechts. Theilweise mag die Schwierigkeit der Auf¬
gabe Schuld daran sein. Das Material des Staatsrechts ist nur zum kleinsten
Theil in der Verfassungsurkunde enthalten. Sehr vieles muß aus dem ander¬
weitigen Gebiet des Rechts, der Flut von Gesetzen, Verordnungen, Staats¬
verträgen, Hausgesetzen herbeigeholt und selbstständig oder erläuternd am ge¬
eigneten Ort eingefügt werden. Fremde Vorarbeiten fand für Sichtung des
Materials Romme fast gar nicht. Doch hatte ihm frühere eigne Thätigkeit als
Sammler und Bearbeiter der preußischen Rechtsquellen, so wie die persönliche
Betheiligung an den politischen Tagesfragen als Mitglied der ersten Kammer
glücklicherweise Mühen erspart, die jedem weniger mit diesem Stoff Vertrauten
bevorgestanden hätten. Bei seiner Einordnung in ein festes System fand er
an Zachariae und Mohl bewährte Vorgänger. Wo er in wichtigen Punkten
von ihnen abweicht, führt er in den Noten seine Gründe an, und die sind
namentlich für die Ausscheidung des „Oberaufsichtsrechts" aus den formellen
Hoheitsrechten auch von andern Staatsrechtslehrern bereits anerkannt.

Noch eine Frage aber hatte sich vorzulegen, wer an die Bearbeitung des
Preußischen Staatsrechts ging: wird diese Bearbeitung zeitgemäß, wird sie über¬
haupt möglich und von mehr als augenblicklicher Bedeutung sein? Gesetze
staatsrechtlichen Inhalts, vor allem eine Verfassungsurkunde gab es in Preu¬
ßen. Aber seit sie erschienen war, welche Umgestaltungen hatte diese Verfassung
nicht schon erlebt? Schon die erste Vorlage der Regierung, die octroirte Ver¬
fassung vom S. December 1848 hatte unter den Händen der revidirenden Kam¬
mern, wie selbst der Abgeordnete Stahl zugab, wesentliche Verbesserungen in
conservativen Sinn erfahren, und das Resultat der Revision, das neue preu¬
ßische Staatsgrundgesetz, hatte noch in jedem Jahr unter den Streichen der
„kleinen, aber wichtigen Partei" bluten müssen. Hatte die jüngste Sitzungs¬
periode auch den Beweis geführt, daß ihrem Muth nicht jedes Ziel erreichbar
sei, so war doch nicht zu hoffen, daß ein Mißlingen sie von weiteren, viel¬
leicht erfolgreichen Angriffen abhalten würde. Das Gefühl von dem schwanken¬
den, unsichern Besitz dieser Verfassung, der selbst die wichtige Schutzwehr der
Ministerverantwortlichkcit noch immer fehlte, war so allgemein im Publicum,
daß man sich um ihren Inhalt höchstens bekümmerte, wenn er der Gegenstand
heißer Kämpfe in den Kammern war. War es doch kaum möglich, einen zu¬
verlässigen Privatabdruck der Verfassung zu erlangen, da keine Buchhandlung
!ich gern mit der Verbreitung eines Schriftstücks besassen mochte, das morgen
Maculatur sein konnte.

Romme hat sich alle diese Bedenken vorgeführt und sie endlich überwunden.
So sehr er anerkennt, daß die preußische Verfassung der Befestigung und Er-


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[0313] Staaten getreten, seine Verfassung ist ausgezeichnet und mehrfach in Wirksam¬ keit getreten, und dennoch fehlte ihm bis jetzt eine vollständige wissenschaftliche Bearbeitung seines Staatsrechts. Theilweise mag die Schwierigkeit der Auf¬ gabe Schuld daran sein. Das Material des Staatsrechts ist nur zum kleinsten Theil in der Verfassungsurkunde enthalten. Sehr vieles muß aus dem ander¬ weitigen Gebiet des Rechts, der Flut von Gesetzen, Verordnungen, Staats¬ verträgen, Hausgesetzen herbeigeholt und selbstständig oder erläuternd am ge¬ eigneten Ort eingefügt werden. Fremde Vorarbeiten fand für Sichtung des Materials Romme fast gar nicht. Doch hatte ihm frühere eigne Thätigkeit als Sammler und Bearbeiter der preußischen Rechtsquellen, so wie die persönliche Betheiligung an den politischen Tagesfragen als Mitglied der ersten Kammer glücklicherweise Mühen erspart, die jedem weniger mit diesem Stoff Vertrauten bevorgestanden hätten. Bei seiner Einordnung in ein festes System fand er an Zachariae und Mohl bewährte Vorgänger. Wo er in wichtigen Punkten von ihnen abweicht, führt er in den Noten seine Gründe an, und die sind namentlich für die Ausscheidung des „Oberaufsichtsrechts" aus den formellen Hoheitsrechten auch von andern Staatsrechtslehrern bereits anerkannt. Noch eine Frage aber hatte sich vorzulegen, wer an die Bearbeitung des Preußischen Staatsrechts ging: wird diese Bearbeitung zeitgemäß, wird sie über¬ haupt möglich und von mehr als augenblicklicher Bedeutung sein? Gesetze staatsrechtlichen Inhalts, vor allem eine Verfassungsurkunde gab es in Preu¬ ßen. Aber seit sie erschienen war, welche Umgestaltungen hatte diese Verfassung nicht schon erlebt? Schon die erste Vorlage der Regierung, die octroirte Ver¬ fassung vom S. December 1848 hatte unter den Händen der revidirenden Kam¬ mern, wie selbst der Abgeordnete Stahl zugab, wesentliche Verbesserungen in conservativen Sinn erfahren, und das Resultat der Revision, das neue preu¬ ßische Staatsgrundgesetz, hatte noch in jedem Jahr unter den Streichen der „kleinen, aber wichtigen Partei" bluten müssen. Hatte die jüngste Sitzungs¬ periode auch den Beweis geführt, daß ihrem Muth nicht jedes Ziel erreichbar sei, so war doch nicht zu hoffen, daß ein Mißlingen sie von weiteren, viel¬ leicht erfolgreichen Angriffen abhalten würde. Das Gefühl von dem schwanken¬ den, unsichern Besitz dieser Verfassung, der selbst die wichtige Schutzwehr der Ministerverantwortlichkcit noch immer fehlte, war so allgemein im Publicum, daß man sich um ihren Inhalt höchstens bekümmerte, wenn er der Gegenstand heißer Kämpfe in den Kammern war. War es doch kaum möglich, einen zu¬ verlässigen Privatabdruck der Verfassung zu erlangen, da keine Buchhandlung !ich gern mit der Verbreitung eines Schriftstücks besassen mochte, das morgen Maculatur sein konnte. Romme hat sich alle diese Bedenken vorgeführt und sie endlich überwunden. So sehr er anerkennt, daß die preußische Verfassung der Befestigung und Er- Grenzboten. IV. 18so. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/313>, abgerufen am 23.07.2024.