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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Weiterung bedarf, sieht er in ihrem Kern doch ein bleibendes Besitzthum der
Nation, das ihr in der Theilnahme an Gesetzgebung und Besteuerung, der
Aufsicht über Verwaltung und Staatshaushalt die Bahn zu jedem wünschens-
werthen Fortschritt öffnet. Er hofft es um so eher, je mehr die Grundsätze
seiner Staatsverfassung jedem Preußen bekannt und werth werden.

Die erste Lieferung stellt in der Einleitung den Begriff und die Grenzen
des Staatsrechts fest, gibt dann einen kurzen Ueberblick über die Entwicklung
der preußischen Staatsverfassung und des Territoriums der Monarchie und
geht, nach einer für Laien sehr schätzbaren Erörterung über Interpretation,
Analogie und Verhältniß der Gesetze untereinander, zu dem Verfassungsrecht
über, welches den ersten Band des Werks bilden soll, und in großen Zügen
den Zweck und Charakter der Staatsgewalt bezeichnet, für deren Verwirklichung
vie Normen des Verwaltungsrechts sorgen müssen. Von dem Verfassungsrecht
sind bis jetzt erst zwei Abschnitte vollendet: der vom Staatsgebiet und der vom
Staatsoberhaupt; der dritte, welcher von den Staatsbürgern handeln wird, ist
kaum begonnen. Schon dieser kleine Theil des künftigen Ganzen enthält viele
wichtige und anziehende Fragen, die zum Theil bestritten sind und selbst, je
nachdem sie entschieden werden, die heutige staatsrechtliche Praxis dem Angriff
aussetzen müssen. Zum Beispiel: Die Kammern haben verfassungsmäßig das
Recht, also auch die Pflicht, bei allen ordentlichen Gesetzen mitzuwirken.
Dürfen sie sich dieses Rechts zu Gunsten der Krone entäußern, oder dürste
die Krone, welche dasselbe Recht hat, dieses zu Gunsten der Kammern? Fac¬
tisch ist es mehrmals von den Kammern geschehen, und auf diese Art das
Gesetz vom 10. Juni 18Si über die mittelbar gewordnen Reichsfürsten und'das
Gesetz vom 7. Mai 18S3 über Bildung der ersten Kammer zu Stande ge¬
kommen. -- Der Krone steht das Recht der Executive zu.. Ist nun darunter
einbegriffen, daß sie bei der Publication eines mit den Kammern vereinbarten
Gesetzes den enuntiativen Theil desselben, welcher meistens mehr als die bloße
Verkündigungsformel enthält, allein verfasse? -- Unter gewissen Umständen
(Art 63) steht es der Krone zu, einseitige Verordnungen, welche der Verfassung
nicht zuwiderlaufen, mit provisorischer Gesetzeskraft zu erlassen. Bei dem
nächsten Zusammentritt der Kammern sollen sie ihnen sofort vorgelegt werden.
Tritt nun, wenn eine der Kammern sie verwirft, damit ipgo Mrs die Nich¬
tigkeit ein, oder bleiben sie, wie Herr von Daniels, Kronjurist der ersten
Kammer behauptet hat, giltig, bis es der Krone beliebt, sie aufzuheben? --
Außer diesen streitigen Stellen zeigen sich aber auch unzweideutige Mängel
z. B. die große Ausdehnung der sogenannten Justizverwaltungösachen, in denen
der Staat als solcher und abgesehen von seiner fiscalischen Eigenschaft den
Privaten gegenübertritt, und das Fehlen eines Gesetzes über Ministerverant¬
wortlichkeit. So lange dieses nicht ergeht, sind die Minister auch vor jeder


Weiterung bedarf, sieht er in ihrem Kern doch ein bleibendes Besitzthum der
Nation, das ihr in der Theilnahme an Gesetzgebung und Besteuerung, der
Aufsicht über Verwaltung und Staatshaushalt die Bahn zu jedem wünschens-
werthen Fortschritt öffnet. Er hofft es um so eher, je mehr die Grundsätze
seiner Staatsverfassung jedem Preußen bekannt und werth werden.

Die erste Lieferung stellt in der Einleitung den Begriff und die Grenzen
des Staatsrechts fest, gibt dann einen kurzen Ueberblick über die Entwicklung
der preußischen Staatsverfassung und des Territoriums der Monarchie und
geht, nach einer für Laien sehr schätzbaren Erörterung über Interpretation,
Analogie und Verhältniß der Gesetze untereinander, zu dem Verfassungsrecht
über, welches den ersten Band des Werks bilden soll, und in großen Zügen
den Zweck und Charakter der Staatsgewalt bezeichnet, für deren Verwirklichung
vie Normen des Verwaltungsrechts sorgen müssen. Von dem Verfassungsrecht
sind bis jetzt erst zwei Abschnitte vollendet: der vom Staatsgebiet und der vom
Staatsoberhaupt; der dritte, welcher von den Staatsbürgern handeln wird, ist
kaum begonnen. Schon dieser kleine Theil des künftigen Ganzen enthält viele
wichtige und anziehende Fragen, die zum Theil bestritten sind und selbst, je
nachdem sie entschieden werden, die heutige staatsrechtliche Praxis dem Angriff
aussetzen müssen. Zum Beispiel: Die Kammern haben verfassungsmäßig das
Recht, also auch die Pflicht, bei allen ordentlichen Gesetzen mitzuwirken.
Dürfen sie sich dieses Rechts zu Gunsten der Krone entäußern, oder dürste
die Krone, welche dasselbe Recht hat, dieses zu Gunsten der Kammern? Fac¬
tisch ist es mehrmals von den Kammern geschehen, und auf diese Art das
Gesetz vom 10. Juni 18Si über die mittelbar gewordnen Reichsfürsten und'das
Gesetz vom 7. Mai 18S3 über Bildung der ersten Kammer zu Stande ge¬
kommen. — Der Krone steht das Recht der Executive zu.. Ist nun darunter
einbegriffen, daß sie bei der Publication eines mit den Kammern vereinbarten
Gesetzes den enuntiativen Theil desselben, welcher meistens mehr als die bloße
Verkündigungsformel enthält, allein verfasse? — Unter gewissen Umständen
(Art 63) steht es der Krone zu, einseitige Verordnungen, welche der Verfassung
nicht zuwiderlaufen, mit provisorischer Gesetzeskraft zu erlassen. Bei dem
nächsten Zusammentritt der Kammern sollen sie ihnen sofort vorgelegt werden.
Tritt nun, wenn eine der Kammern sie verwirft, damit ipgo Mrs die Nich¬
tigkeit ein, oder bleiben sie, wie Herr von Daniels, Kronjurist der ersten
Kammer behauptet hat, giltig, bis es der Krone beliebt, sie aufzuheben? —
Außer diesen streitigen Stellen zeigen sich aber auch unzweideutige Mängel
z. B. die große Ausdehnung der sogenannten Justizverwaltungösachen, in denen
der Staat als solcher und abgesehen von seiner fiscalischen Eigenschaft den
Privaten gegenübertritt, und das Fehlen eines Gesetzes über Ministerverant¬
wortlichkeit. So lange dieses nicht ergeht, sind die Minister auch vor jeder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/314>, abgerufen am 23.07.2024.