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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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mußte auch dem freisinnigen Theile desselben eine Befriedigung werden, und
da die Jesuiten bereits in vielen andern Staaten ihre Bündel geschnürt hatten,
so kam für sie auch in Neapel die Zeit der unfreiwilligen Wanderschaft. Am
9. März forderte ein Maueranschlag der Studenten die Aeltern auf, ihre
Kinder aus den Jesuitencollegien fortzunehmen. Nach manchem Widerstreben
willigte der König endlich in die Entsermmg der Jesuiten, und am 11. März
wurden sie in 17 Wagen nach dem Hafen geschafft, von wo sie nach Baja
fuhren. In dieser Nähe Neapels -- etwa eine Stunde entfernt -- blieben
sie und fanden bald genug Anlaß, sich in Neapel selbst wieder in Verkleidung
,'umzusehn.

Des Königs Beichtvater, Monstgnore Conte, wurde weniger glimpflich
behandelt. Allentbcilben von dem Unwillen der Bevölkerung bedroht, floh er
zuletzt nach Castellamare, von wo man ihn mit Gewalt auf den Dampfer
Nettuno (bereits ominös durch die Reise Del Carrcttos) brachte. Das Schiff
ging nach Malta. Mittlerweile waren eine Menge neuer Zeitungen ent¬
standen, über deren Haltung in einer so reget- und gesetzlosen Zeit hier etwas
zu sagen überflüssig sein wird. Sie nannten sich Omnibus, Lucifero, it Ri-
eatto (der Rächer), it Monde vecchio, it Monde nuovo, it Tempo, Arlec¬
chino u. s. w. Sie trugen das Ihrige dazu bei, die Köpfe zu verwirren, da
ihre Leser noch zum größern Theil in dem Respect vor der Autorität des
gedruckten Buchstaben befangen wären. Ein Gesetz gegen Zusammenläufe,
veranlaßt durch die erwähnten Versuche einer Contrerevolution der Lazzaroni,
fand heftigen Widerstand Seitens deS Justizministers Saliceti und wurde in¬
sofern von Bedeutung, als eS ihn zur Eingabe seiner Dimission brachte und
den Nichtministeriellen ein energisches Oberhaupt zuführte. Seitdem wurden
die Forderungen der Fortschrittspartei bestimmter: Erweiterung des Wahl- "
gesctzes, nur eine und zwar eine constituirende Kammer, Unterstützung des
Kriegs gegen Oestreich, Anschluß an den neuen italienischen Zollverband --
so lauteten die Forderungen. Nach langem Schwanken erlag das Ministerium
endlich und das Ministerium Troja trat am 3. April mit einem alles erfül¬
lenden Programm an seine Stelle. Was die erste Kammer betraf, so sollte
der König aus den ihm vorgeschlagenen Würdigsten 30 Pairs für die Dauer
einer Session wählen, und die Berathung beider Kammern dann über das
Schicksal der ersten Kammer beschließen. In die Provinzen sandte man
nach französischem Beispiel Delegaten zur Befestigung der neuen Ordnung
der Dinge. Das Ministerium Troja verdankte sein Dasein der zunehmend
kriegerischen Stimmung, welche die italienische Halbinsel ergriffen hatte.
Seiner Berufung war die Beschimpfung 'des östreichischen Gesandtschafts¬
wappens am 23. März vorausgegangen. Große Aufregung, Nationalgarde¬
deputationen wegen Kriegszuzuges, Generalmarsch zu drei, vier Malen am


mußte auch dem freisinnigen Theile desselben eine Befriedigung werden, und
da die Jesuiten bereits in vielen andern Staaten ihre Bündel geschnürt hatten,
so kam für sie auch in Neapel die Zeit der unfreiwilligen Wanderschaft. Am
9. März forderte ein Maueranschlag der Studenten die Aeltern auf, ihre
Kinder aus den Jesuitencollegien fortzunehmen. Nach manchem Widerstreben
willigte der König endlich in die Entsermmg der Jesuiten, und am 11. März
wurden sie in 17 Wagen nach dem Hafen geschafft, von wo sie nach Baja
fuhren. In dieser Nähe Neapels — etwa eine Stunde entfernt — blieben
sie und fanden bald genug Anlaß, sich in Neapel selbst wieder in Verkleidung
,'umzusehn.

Des Königs Beichtvater, Monstgnore Conte, wurde weniger glimpflich
behandelt. Allentbcilben von dem Unwillen der Bevölkerung bedroht, floh er
zuletzt nach Castellamare, von wo man ihn mit Gewalt auf den Dampfer
Nettuno (bereits ominös durch die Reise Del Carrcttos) brachte. Das Schiff
ging nach Malta. Mittlerweile waren eine Menge neuer Zeitungen ent¬
standen, über deren Haltung in einer so reget- und gesetzlosen Zeit hier etwas
zu sagen überflüssig sein wird. Sie nannten sich Omnibus, Lucifero, it Ri-
eatto (der Rächer), it Monde vecchio, it Monde nuovo, it Tempo, Arlec¬
chino u. s. w. Sie trugen das Ihrige dazu bei, die Köpfe zu verwirren, da
ihre Leser noch zum größern Theil in dem Respect vor der Autorität des
gedruckten Buchstaben befangen wären. Ein Gesetz gegen Zusammenläufe,
veranlaßt durch die erwähnten Versuche einer Contrerevolution der Lazzaroni,
fand heftigen Widerstand Seitens deS Justizministers Saliceti und wurde in¬
sofern von Bedeutung, als eS ihn zur Eingabe seiner Dimission brachte und
den Nichtministeriellen ein energisches Oberhaupt zuführte. Seitdem wurden
die Forderungen der Fortschrittspartei bestimmter: Erweiterung des Wahl- »
gesctzes, nur eine und zwar eine constituirende Kammer, Unterstützung des
Kriegs gegen Oestreich, Anschluß an den neuen italienischen Zollverband —
so lauteten die Forderungen. Nach langem Schwanken erlag das Ministerium
endlich und das Ministerium Troja trat am 3. April mit einem alles erfül¬
lenden Programm an seine Stelle. Was die erste Kammer betraf, so sollte
der König aus den ihm vorgeschlagenen Würdigsten 30 Pairs für die Dauer
einer Session wählen, und die Berathung beider Kammern dann über das
Schicksal der ersten Kammer beschließen. In die Provinzen sandte man
nach französischem Beispiel Delegaten zur Befestigung der neuen Ordnung
der Dinge. Das Ministerium Troja verdankte sein Dasein der zunehmend
kriegerischen Stimmung, welche die italienische Halbinsel ergriffen hatte.
Seiner Berufung war die Beschimpfung 'des östreichischen Gesandtschafts¬
wappens am 23. März vorausgegangen. Große Aufregung, Nationalgarde¬
deputationen wegen Kriegszuzuges, Generalmarsch zu drei, vier Malen am


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/293>, abgerufen am 29.06.2024.