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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Auffassung von Weihnachtsfest nur halb gesättigte Nationalgardisten folgten; so
verrieth die Negierung dadurch das Mißbehagen, welches ihr die Unsicherheit
ihrer eignen Beschlüsse in den vorhergehenden Tagen bereitete. Kurz vorher
hatte sie nämlich berathschlagt, ob nicht alle Studenten aus Neapel zu ver¬
weisen seien. Das Bedenken, eine nicht geringe Einnahmequelle der niedern
Bevölkerung plötzlich abzuschneiden, war der Grund, daß dem Vorschlage nicht
Folge gegeben wurde. Neapel hat im Winter eine Durchschnittsstudentenzahl
von 13,000, deren monatliche Ausgaben etwa 235,000 Ducati betragen.
Man schlug daher einen Mittelweg ein und verwies die NichtNeapolitaner.
Es waren immer einige Tausend. Viele wußten nicht, woher das Reisegeld
nehmen. Auch diese Maßregel zeigte sich als nicht ausführbar und wurde
Tags darauf widerrufen.

Bei der zunehmenden Verstimmung und der aus Norden immer schärfer
wehenden Refvrmluft hielten die Richter, welche noch über die Arrestanten vom
November Und December zu Gericht saßen, eS für angemessen, diese freizu¬
sprechen. Am 7. Januar, zwei Stunden nach Ave Maria, wurden sie ihrer
Haft entlassen und von ihren Freunden im Triumph durch den Toledo ge¬
führt. Tags darauf entledigte man sich auch des Jnhaftirten Carlo Poerio.
Nur die vermeinten Autoren der Protesta saßen noch im strengen Verwahrsam
Von Malta aus hatte sich zwar der wirkliche Autor genannt. Da er aber
nicht erreichbar war und seine Nennung auch eine bloße Kriegslist sein konnte,
ließ man den unglücklichen Verdächtigen noch eine Weile Gefängnißmuße, um
ihnen für alle Zeiten den Geschmack an der Schriftstellern zu benehmen.

Während solcher Art die Regierung nur mit verdrießlichem Gesichte gab>
was sie nicht verweigern konnte, und sich immer mehr absonderte, kam aus
Palermo eine Post, die man am liebsten gar nicht empfangen hätte. Eine
Proclamation der Sicilianer an das Volk, eine andere an die Soldaten, trug
mit südlichem Pathos die Wünsche und Begehren aller Art zusammen, welche
bis dahin als allgemeine Verstimmung unleugbar, aber ungreifbar in der Luft
geschwebt hatten, und im Wesentlichen auf die Wiedereinführung der Verfassung
von -1812 hinausliefen.

Zugleich wurde der Namenstag des Königs, als derjenige Termin ange¬
droht, von welchem die neue Ordnung der Dinge nöthigenfalls durch Selbst¬
hilfe zu datiren man entschlossen sei.

Neapel selbst hatte eine solche Sprache noch nicht geführt. Es war be¬
greiflich, daß die Regierung sich das Ansehen zu geben suchte, als habe ein
Hündchen den Mond angebellt, und als gäbe es Dinge hienieden, über die man
sich wol ein mitleidiges Lächeln gestatten dürfe.

Dies Lächeln verherrlichte am 12. Januar den verhängnißvollen königlichen
Namenstag in Neapel. Die Theater waren wie üblich illuminirt, die Artille-


Auffassung von Weihnachtsfest nur halb gesättigte Nationalgardisten folgten; so
verrieth die Negierung dadurch das Mißbehagen, welches ihr die Unsicherheit
ihrer eignen Beschlüsse in den vorhergehenden Tagen bereitete. Kurz vorher
hatte sie nämlich berathschlagt, ob nicht alle Studenten aus Neapel zu ver¬
weisen seien. Das Bedenken, eine nicht geringe Einnahmequelle der niedern
Bevölkerung plötzlich abzuschneiden, war der Grund, daß dem Vorschlage nicht
Folge gegeben wurde. Neapel hat im Winter eine Durchschnittsstudentenzahl
von 13,000, deren monatliche Ausgaben etwa 235,000 Ducati betragen.
Man schlug daher einen Mittelweg ein und verwies die NichtNeapolitaner.
Es waren immer einige Tausend. Viele wußten nicht, woher das Reisegeld
nehmen. Auch diese Maßregel zeigte sich als nicht ausführbar und wurde
Tags darauf widerrufen.

Bei der zunehmenden Verstimmung und der aus Norden immer schärfer
wehenden Refvrmluft hielten die Richter, welche noch über die Arrestanten vom
November Und December zu Gericht saßen, eS für angemessen, diese freizu¬
sprechen. Am 7. Januar, zwei Stunden nach Ave Maria, wurden sie ihrer
Haft entlassen und von ihren Freunden im Triumph durch den Toledo ge¬
führt. Tags darauf entledigte man sich auch des Jnhaftirten Carlo Poerio.
Nur die vermeinten Autoren der Protesta saßen noch im strengen Verwahrsam
Von Malta aus hatte sich zwar der wirkliche Autor genannt. Da er aber
nicht erreichbar war und seine Nennung auch eine bloße Kriegslist sein konnte,
ließ man den unglücklichen Verdächtigen noch eine Weile Gefängnißmuße, um
ihnen für alle Zeiten den Geschmack an der Schriftstellern zu benehmen.

Während solcher Art die Regierung nur mit verdrießlichem Gesichte gab>
was sie nicht verweigern konnte, und sich immer mehr absonderte, kam aus
Palermo eine Post, die man am liebsten gar nicht empfangen hätte. Eine
Proclamation der Sicilianer an das Volk, eine andere an die Soldaten, trug
mit südlichem Pathos die Wünsche und Begehren aller Art zusammen, welche
bis dahin als allgemeine Verstimmung unleugbar, aber ungreifbar in der Luft
geschwebt hatten, und im Wesentlichen auf die Wiedereinführung der Verfassung
von -1812 hinausliefen.

Zugleich wurde der Namenstag des Königs, als derjenige Termin ange¬
droht, von welchem die neue Ordnung der Dinge nöthigenfalls durch Selbst¬
hilfe zu datiren man entschlossen sei.

Neapel selbst hatte eine solche Sprache noch nicht geführt. Es war be¬
greiflich, daß die Regierung sich das Ansehen zu geben suchte, als habe ein
Hündchen den Mond angebellt, und als gäbe es Dinge hienieden, über die man
sich wol ein mitleidiges Lächeln gestatten dürfe.

Dies Lächeln verherrlichte am 12. Januar den verhängnißvollen königlichen
Namenstag in Neapel. Die Theater waren wie üblich illuminirt, die Artille-


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[0282] Auffassung von Weihnachtsfest nur halb gesättigte Nationalgardisten folgten; so verrieth die Negierung dadurch das Mißbehagen, welches ihr die Unsicherheit ihrer eignen Beschlüsse in den vorhergehenden Tagen bereitete. Kurz vorher hatte sie nämlich berathschlagt, ob nicht alle Studenten aus Neapel zu ver¬ weisen seien. Das Bedenken, eine nicht geringe Einnahmequelle der niedern Bevölkerung plötzlich abzuschneiden, war der Grund, daß dem Vorschlage nicht Folge gegeben wurde. Neapel hat im Winter eine Durchschnittsstudentenzahl von 13,000, deren monatliche Ausgaben etwa 235,000 Ducati betragen. Man schlug daher einen Mittelweg ein und verwies die NichtNeapolitaner. Es waren immer einige Tausend. Viele wußten nicht, woher das Reisegeld nehmen. Auch diese Maßregel zeigte sich als nicht ausführbar und wurde Tags darauf widerrufen. Bei der zunehmenden Verstimmung und der aus Norden immer schärfer wehenden Refvrmluft hielten die Richter, welche noch über die Arrestanten vom November Und December zu Gericht saßen, eS für angemessen, diese freizu¬ sprechen. Am 7. Januar, zwei Stunden nach Ave Maria, wurden sie ihrer Haft entlassen und von ihren Freunden im Triumph durch den Toledo ge¬ führt. Tags darauf entledigte man sich auch des Jnhaftirten Carlo Poerio. Nur die vermeinten Autoren der Protesta saßen noch im strengen Verwahrsam Von Malta aus hatte sich zwar der wirkliche Autor genannt. Da er aber nicht erreichbar war und seine Nennung auch eine bloße Kriegslist sein konnte, ließ man den unglücklichen Verdächtigen noch eine Weile Gefängnißmuße, um ihnen für alle Zeiten den Geschmack an der Schriftstellern zu benehmen. Während solcher Art die Regierung nur mit verdrießlichem Gesichte gab> was sie nicht verweigern konnte, und sich immer mehr absonderte, kam aus Palermo eine Post, die man am liebsten gar nicht empfangen hätte. Eine Proclamation der Sicilianer an das Volk, eine andere an die Soldaten, trug mit südlichem Pathos die Wünsche und Begehren aller Art zusammen, welche bis dahin als allgemeine Verstimmung unleugbar, aber ungreifbar in der Luft geschwebt hatten, und im Wesentlichen auf die Wiedereinführung der Verfassung von -1812 hinausliefen. Zugleich wurde der Namenstag des Königs, als derjenige Termin ange¬ droht, von welchem die neue Ordnung der Dinge nöthigenfalls durch Selbst¬ hilfe zu datiren man entschlossen sei. Neapel selbst hatte eine solche Sprache noch nicht geführt. Es war be¬ greiflich, daß die Regierung sich das Ansehen zu geben suchte, als habe ein Hündchen den Mond angebellt, und als gäbe es Dinge hienieden, über die man sich wol ein mitleidiges Lächeln gestatten dürfe. Dies Lächeln verherrlichte am 12. Januar den verhängnißvollen königlichen Namenstag in Neapel. Die Theater waren wie üblich illuminirt, die Artille-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/282>, abgerufen am 23.07.2024.