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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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und daß die sonst so sehr widerstrebenden Interessen der Höfe sich gleichsam
in einem Brennpunkt vereinigt haben. -- -- --

Wie viel mehr ist es erst für mindermächtige deutsche Fürsten Pflicht, sich
auf das engste an Rußland anzuschließen, da sie hier nicht nur einen mäch¬
tigen Bundesgenossen gegen ihre Unterthanen, sondern auch bei allen Streitig¬
keiten unter sich einen erhabenen Schiedsrichter und eine Schutzwehr gegen
den Einfluß und die Ansprüche der deutschen Nationalinteressen finden, die so
oft mit den ihrigen im Widerspruch stehen. Mit einem Worte, es ist offen¬
bar, daß in der jetzigen Epoche Nußland allein den deutschen Fürsten für
ihre Souveränetät und Unabhängigkeit die Gewähr leisten kann, welche sie
zur Zeit des Rheinbundes bei Napoleon zu finden gewohnt waren. --

Freilich muß unsere guten Fürsten, wenn sie am russischen Hofe erscheinen,
die Vergleichung der treuen Unterwürfigkeit dieses Volkes mit dem wider¬
spenstigen Geiste ihrer eignen Unterthanen schmerzlich betrüben; aber diese
bittern Empfindungen werden doch durch den wohlthätigen Einfluß reichlich
aufgewogen, den das Vorbild eines wahren Regenten und die Regierungs-
methode, welche sie dort in ihren so glücklichen Erfolgen beobachten, noth¬
wendig auf, ihre eignen Entschließungen ausübt. Sie kehren dann gestärkt
und gestählt in ihre Residenzen zurück, und ihr Ohr bleibt um so gewisser
taub gegen die Einflüsterungen, welche sie zu gefährlicher Nachgiebigkeit gegen
die vermeintlichen Freiheits- und SelbstthätigkeitSbedürsnisse ihrer Unterthanen,
und zu eitlem Popularitätsgewinn verleiten möchten.--

Sie entschuldigen gewiß, lieber Vetter, wenn ich mich bei der Betrachtung
so wichtiger Interessen, die mein ganzes Herz erfüllen, etwas länger verweilt
habe, und dadurch von meinem Vorsatze abgelenkt wurde, zu dem ich nun
zurückkehre. Der warme verwandtschaftliche Antheil, den ich an Ihrem Glück
und an Ihrem Successe in der Welt nehme, veranlaßt mich, Ihnen einige
Bemerkungen und Verhaltungsregeln mitzutheilen, welche das Resultat meiner
langen Erfahrung in dieser Laufbahn sind. Ich thue es mit um so größerem
Vergnügen, je mehr Ihre Bildung und Ihre Talente mir die Gewißheit geben,
daß Sie von diesen Bemerkungen den vortheilhaftesten Gebrauch machen
werden.'

Sie kennen die Welt genug, um zu begreifen, daß schwerfälliges Wissen
in keinem Fache des Staatsdienstes ein sicheres Mittel der Beförderung ist.
Könnten Sie noch zweifeln, so'blicken Sie umher und fragen Sie sich,' wodurch
Männer, welche die höchsten Ehrenstellen bekleiden, emporgekommen sind? Sie
werden finden, daß diese ihr Glück der Gewandtheit verdanken, mit welcher
sie sich in Verhältnisse zu schicken gewußt haben. Sie werden um so weniger
nöthig haben, sich mit wissenschaftlichen Studien zu beschäftigen, als es in
der Diplomatie hergebracht ist, in den seltenen Fällen, wo solche Dinge eine


und daß die sonst so sehr widerstrebenden Interessen der Höfe sich gleichsam
in einem Brennpunkt vereinigt haben. — — —

Wie viel mehr ist es erst für mindermächtige deutsche Fürsten Pflicht, sich
auf das engste an Rußland anzuschließen, da sie hier nicht nur einen mäch¬
tigen Bundesgenossen gegen ihre Unterthanen, sondern auch bei allen Streitig¬
keiten unter sich einen erhabenen Schiedsrichter und eine Schutzwehr gegen
den Einfluß und die Ansprüche der deutschen Nationalinteressen finden, die so
oft mit den ihrigen im Widerspruch stehen. Mit einem Worte, es ist offen¬
bar, daß in der jetzigen Epoche Nußland allein den deutschen Fürsten für
ihre Souveränetät und Unabhängigkeit die Gewähr leisten kann, welche sie
zur Zeit des Rheinbundes bei Napoleon zu finden gewohnt waren. —

Freilich muß unsere guten Fürsten, wenn sie am russischen Hofe erscheinen,
die Vergleichung der treuen Unterwürfigkeit dieses Volkes mit dem wider¬
spenstigen Geiste ihrer eignen Unterthanen schmerzlich betrüben; aber diese
bittern Empfindungen werden doch durch den wohlthätigen Einfluß reichlich
aufgewogen, den das Vorbild eines wahren Regenten und die Regierungs-
methode, welche sie dort in ihren so glücklichen Erfolgen beobachten, noth¬
wendig auf, ihre eignen Entschließungen ausübt. Sie kehren dann gestärkt
und gestählt in ihre Residenzen zurück, und ihr Ohr bleibt um so gewisser
taub gegen die Einflüsterungen, welche sie zu gefährlicher Nachgiebigkeit gegen
die vermeintlichen Freiheits- und SelbstthätigkeitSbedürsnisse ihrer Unterthanen,
und zu eitlem Popularitätsgewinn verleiten möchten.--

Sie entschuldigen gewiß, lieber Vetter, wenn ich mich bei der Betrachtung
so wichtiger Interessen, die mein ganzes Herz erfüllen, etwas länger verweilt
habe, und dadurch von meinem Vorsatze abgelenkt wurde, zu dem ich nun
zurückkehre. Der warme verwandtschaftliche Antheil, den ich an Ihrem Glück
und an Ihrem Successe in der Welt nehme, veranlaßt mich, Ihnen einige
Bemerkungen und Verhaltungsregeln mitzutheilen, welche das Resultat meiner
langen Erfahrung in dieser Laufbahn sind. Ich thue es mit um so größerem
Vergnügen, je mehr Ihre Bildung und Ihre Talente mir die Gewißheit geben,
daß Sie von diesen Bemerkungen den vortheilhaftesten Gebrauch machen
werden.'

Sie kennen die Welt genug, um zu begreifen, daß schwerfälliges Wissen
in keinem Fache des Staatsdienstes ein sicheres Mittel der Beförderung ist.
Könnten Sie noch zweifeln, so'blicken Sie umher und fragen Sie sich,' wodurch
Männer, welche die höchsten Ehrenstellen bekleiden, emporgekommen sind? Sie
werden finden, daß diese ihr Glück der Gewandtheit verdanken, mit welcher
sie sich in Verhältnisse zu schicken gewußt haben. Sie werden um so weniger
nöthig haben, sich mit wissenschaftlichen Studien zu beschäftigen, als es in
der Diplomatie hergebracht ist, in den seltenen Fällen, wo solche Dinge eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/270>, abgerufen am 23.07.2024.