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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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fährlichste der Nationen Europas und am meisten geeignet, abwechselnd ein
Gegenstand der Bewunderung, des Hasses, des Mitleidens, des Schreckens,
aber nie der Gleichgiltigkeit zu werden. Sie allein konnte eine Revolution
erzeugen, die so plötzlich, so tiefgehend, so heftig in ihrem Verlause und doch
so voll von Rückschlägen und widersprechenden Thatsachen war." --




Ein satirischer Brief von Fritz von Gagern.

In Heft der Grenzboten sind Auszüge aus einem Tagebuch des General
Friedrich von Gagern mitgetheilt worden. Wenn dieselben Gelegenheit geben,
das treffende Urtheil des Verstorbenen über Zeitgenossen zu erkennen, so wird
die folgende Mittheilung aus dem noch nicht herausgegebenen dritten Theile
seines Lebens und seiner Schriften in anderer Beziehung von nicht geringerem
Interesse sein. Es wird auch hier bemerkt, daß die Striche Stellen bedeuten,
welche man sicherer im Original selbst nachlesen wird, als bei dem gegenwär eigen
Zustande zarter Rücksichten in einer periodischen Schrift möglich wäre.

Der Brief Gagerns (wahrscheinlich 1840 geschrieben) lautet folgendermaß en:

Brief eines kleinstaatlichen Diplomaten an Seinesgleichen.

Lieber Vetter! Mit wahrem Vergnügen empfing ich die Mittheilung,
daß Sie die diplomatische Laufbahn antreten werden, und daß die Gnade
Seiner Majestät des Königs Sie ausersehen hat, Allerhöchst Desselben Ge¬
sandten nach Petersburg zu begleiten.

Die große Auszeichnung, welche Ihnen grade durch diese Bestimmun zu
Theil wird, kann Ihrem Scharfblick um so weniger entgehen, als eS be kannt
ist, daß die hohe Aufmerksamkeit meines allergnädigsten Herrn dem Depcw neue'ut
der auswärtigen Angelegenheiten fast ausschließlich zugewandt ist, und d aß der
Aufenthalt an dem Petersburger Hofe Ihnen nicht blos die Aussicht, sondern
gleichsam den Anspruch auf eine glänzende Carriere eröffnet.

Die ganz besondere Lage, in welcher sich die Höfe durch die verd üblichen
Folgen der französischen Revolution und die Verbreitung revolutionä ^ Prin¬
cipien ihren Unterthanen gegenüber befinden, hat das russische Cad um so
wehr zur Achse der europäischen Politik gemacht, als Nußland durch seine
Entfernung und seinen Culturzustand vor solchen EiUflüssen dew ^ ^'

Die Augen fast aller Fürsten sind dahin gerichtet, als n achdem l Kt
Hoffnungsanker, als nach dem Waffenplatz, von dem allein noch LVls f"
Aufrechthaltung der absoluten Gewalt zu erwarten ist. ^"

Wie man auch sonst über diese Verhältnisse denken ^<!in ^ s--. . .
einleuchtend, daß sich das Gewebe der Politik dadurch, sehr vereinfacht hat


fährlichste der Nationen Europas und am meisten geeignet, abwechselnd ein
Gegenstand der Bewunderung, des Hasses, des Mitleidens, des Schreckens,
aber nie der Gleichgiltigkeit zu werden. Sie allein konnte eine Revolution
erzeugen, die so plötzlich, so tiefgehend, so heftig in ihrem Verlause und doch
so voll von Rückschlägen und widersprechenden Thatsachen war." —




Ein satirischer Brief von Fritz von Gagern.

In Heft der Grenzboten sind Auszüge aus einem Tagebuch des General
Friedrich von Gagern mitgetheilt worden. Wenn dieselben Gelegenheit geben,
das treffende Urtheil des Verstorbenen über Zeitgenossen zu erkennen, so wird
die folgende Mittheilung aus dem noch nicht herausgegebenen dritten Theile
seines Lebens und seiner Schriften in anderer Beziehung von nicht geringerem
Interesse sein. Es wird auch hier bemerkt, daß die Striche Stellen bedeuten,
welche man sicherer im Original selbst nachlesen wird, als bei dem gegenwär eigen
Zustande zarter Rücksichten in einer periodischen Schrift möglich wäre.

Der Brief Gagerns (wahrscheinlich 1840 geschrieben) lautet folgendermaß en:

Brief eines kleinstaatlichen Diplomaten an Seinesgleichen.

Lieber Vetter! Mit wahrem Vergnügen empfing ich die Mittheilung,
daß Sie die diplomatische Laufbahn antreten werden, und daß die Gnade
Seiner Majestät des Königs Sie ausersehen hat, Allerhöchst Desselben Ge¬
sandten nach Petersburg zu begleiten.

Die große Auszeichnung, welche Ihnen grade durch diese Bestimmun zu
Theil wird, kann Ihrem Scharfblick um so weniger entgehen, als eS be kannt
ist, daß die hohe Aufmerksamkeit meines allergnädigsten Herrn dem Depcw neue'ut
der auswärtigen Angelegenheiten fast ausschließlich zugewandt ist, und d aß der
Aufenthalt an dem Petersburger Hofe Ihnen nicht blos die Aussicht, sondern
gleichsam den Anspruch auf eine glänzende Carriere eröffnet.

Die ganz besondere Lage, in welcher sich die Höfe durch die verd üblichen
Folgen der französischen Revolution und die Verbreitung revolutionä ^ Prin¬
cipien ihren Unterthanen gegenüber befinden, hat das russische Cad um so
wehr zur Achse der europäischen Politik gemacht, als Nußland durch seine
Entfernung und seinen Culturzustand vor solchen EiUflüssen dew ^ ^'

Die Augen fast aller Fürsten sind dahin gerichtet, als n achdem l Kt
Hoffnungsanker, als nach dem Waffenplatz, von dem allein noch LVls f"
Aufrechthaltung der absoluten Gewalt zu erwarten ist. ^"

Wie man auch sonst über diese Verhältnisse denken ^<!in ^ s--. . .
einleuchtend, daß sich das Gewebe der Politik dadurch, sehr vereinfacht hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/269>, abgerufen am 23.07.2024.