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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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war außer sich, als Ludwig XIV. Fouquet, seinen genauesten Freund, verhaf¬
ten ließ, aber warum? weil es i h in zukam, Fouquet zu verhaften und der Kö¬
nig, indem er sich eines andern dazu bediente, an seiner Ergebenheit zu zwei¬
feln schien. Die Memoiren der Zeit geben unzählige Beispiele eines ähnlichen
Servilismus; eine competente Zeugin, Frau von Maintenon, sagt, sie habe nie so
etwas gesehen. "Fast alle würden ihre Eltern oder Freunde ertränken, um dem
König ein Wort mehr zu sagen und ihm zu zeigen, daß sie ihm alles opfern."
Für einen Staat mit einem solchen Adel eine der englischen ähnliche Ver¬
fassung zu schaffen war unmöglich, Tocqueville bedauert, daß die Revolution
den Adel vernichtet und entwurzelt have, statt ihn unter die Herrschaft der
Gesetze zu beugen. Das aber war grade unermeßlich schwierig, weil es ein
gutwilliges Nachgeben des Adels forderte; der Rausch der Augustnacht war
kurz, zu glauben, daß der Adel sich einer Revolution wirklich anschließen
werde, die wesentlich gegen ihn gemacht wurde, war eine Täuschung, man
konnte ihn brechen, aber nicht beugen. Die Geistlichkeit war noch gehaßter als
der Adel, nicht etwa aus Freigeisterei, sondern wegen ihrer politischen und so¬
cialen Stellung. Die Privilegien des Klerus waren noch weit ausgebreiteter
als die des Adels, letzterer zahlte wenigstens den Zwanzigster und erhob selbst
keine Steuern, die Geistlichkeit zahlte nichts und erhob den Zehnten, der 1789
im Königreich aus 120 Millionen Livres geschätzt wurde, ihr Gesammteinkommen
belief sich auf 230 Millionen. Der Klerus hatte Leibeigne in dem einzigen Theile
Frankreichs, wo es deren noch gab, er forderte Frohndienste, hatte Marktrecht,
Musk- und Kelterzwang, ja sogar seinen Bannstier. Er gab nichts als gewisse
freiwillige Geschenke, die er sich .stets durch neue Zugeständnisse bezahlen ließ;
als Richelieu ihn besteuern wollte, erwiederte der Erzbischof von Sens als
Vertreter seines Standes, es sei altes Herkommen, daß für die Bedürfnisse
des Staates das Volk seine Steuern gebe, der Adel sein Blut, der Klerus
seine Gebete. Dazu die Frivolität eines Dubois, Bernis, Rohan, Brienne,
und der unzähligen eleganten Abbss, welche die Vorzimmer der Großen des
Hofes bevölkerten.

Der mittlere Bürgerstand hatte sich fast ganz in die Städte gezogen,
hauptsächlich weil ihn auf dem Lande die Privilegien des Adels und die Taille
besonders hart berührten, in den Städten war die Steuer geringer, und man
entging dort der Verpflichtung, Einnehmer derselben zu sein. In den Städten
suchten die Bürger eifrig Stellen, welche Steuer- und Milizfreiheit gewährten;
Tocqueville zeigt, daß die Leidenschaft des Franzosen, .Beamter zu sein, schon
alt ist, jetzt gibt die Negierung die Stellen wenigstens, damals verkaufte sie
sie und zwar dieselbe oft mehre Male. Der Käufer schaltete damit dann mög¬
lichst nach Belieben, da er sein gutes Geld bezahlt hatte. Herr von Argenson
hatte unter Ludwig XV. ein Besteuerungssystem ersonnen, das weniger drückend


war außer sich, als Ludwig XIV. Fouquet, seinen genauesten Freund, verhaf¬
ten ließ, aber warum? weil es i h in zukam, Fouquet zu verhaften und der Kö¬
nig, indem er sich eines andern dazu bediente, an seiner Ergebenheit zu zwei¬
feln schien. Die Memoiren der Zeit geben unzählige Beispiele eines ähnlichen
Servilismus; eine competente Zeugin, Frau von Maintenon, sagt, sie habe nie so
etwas gesehen. „Fast alle würden ihre Eltern oder Freunde ertränken, um dem
König ein Wort mehr zu sagen und ihm zu zeigen, daß sie ihm alles opfern."
Für einen Staat mit einem solchen Adel eine der englischen ähnliche Ver¬
fassung zu schaffen war unmöglich, Tocqueville bedauert, daß die Revolution
den Adel vernichtet und entwurzelt have, statt ihn unter die Herrschaft der
Gesetze zu beugen. Das aber war grade unermeßlich schwierig, weil es ein
gutwilliges Nachgeben des Adels forderte; der Rausch der Augustnacht war
kurz, zu glauben, daß der Adel sich einer Revolution wirklich anschließen
werde, die wesentlich gegen ihn gemacht wurde, war eine Täuschung, man
konnte ihn brechen, aber nicht beugen. Die Geistlichkeit war noch gehaßter als
der Adel, nicht etwa aus Freigeisterei, sondern wegen ihrer politischen und so¬
cialen Stellung. Die Privilegien des Klerus waren noch weit ausgebreiteter
als die des Adels, letzterer zahlte wenigstens den Zwanzigster und erhob selbst
keine Steuern, die Geistlichkeit zahlte nichts und erhob den Zehnten, der 1789
im Königreich aus 120 Millionen Livres geschätzt wurde, ihr Gesammteinkommen
belief sich auf 230 Millionen. Der Klerus hatte Leibeigne in dem einzigen Theile
Frankreichs, wo es deren noch gab, er forderte Frohndienste, hatte Marktrecht,
Musk- und Kelterzwang, ja sogar seinen Bannstier. Er gab nichts als gewisse
freiwillige Geschenke, die er sich .stets durch neue Zugeständnisse bezahlen ließ;
als Richelieu ihn besteuern wollte, erwiederte der Erzbischof von Sens als
Vertreter seines Standes, es sei altes Herkommen, daß für die Bedürfnisse
des Staates das Volk seine Steuern gebe, der Adel sein Blut, der Klerus
seine Gebete. Dazu die Frivolität eines Dubois, Bernis, Rohan, Brienne,
und der unzähligen eleganten Abbss, welche die Vorzimmer der Großen des
Hofes bevölkerten.

Der mittlere Bürgerstand hatte sich fast ganz in die Städte gezogen,
hauptsächlich weil ihn auf dem Lande die Privilegien des Adels und die Taille
besonders hart berührten, in den Städten war die Steuer geringer, und man
entging dort der Verpflichtung, Einnehmer derselben zu sein. In den Städten
suchten die Bürger eifrig Stellen, welche Steuer- und Milizfreiheit gewährten;
Tocqueville zeigt, daß die Leidenschaft des Franzosen, .Beamter zu sein, schon
alt ist, jetzt gibt die Negierung die Stellen wenigstens, damals verkaufte sie
sie und zwar dieselbe oft mehre Male. Der Käufer schaltete damit dann mög¬
lichst nach Belieben, da er sein gutes Geld bezahlt hatte. Herr von Argenson
hatte unter Ludwig XV. ein Besteuerungssystem ersonnen, das weniger drückend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/266>, abgerufen am 23.07.2024.