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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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persönliche Privilegien gewonnen, die ihn den andern Classen verhaßt machten.
Das gehässigste war die Steuerfreiheit. Tocqueville bemerkt mit Recht, daß
die Ungleichheit der Besteurung die verderblichste Art ist, die Classen der Be¬
völkerung zu trennen und zu ihrer Ungleichheit die Isolirung hinzuzufügen.
Wenn Bürger und Edelmann nicht mehr derselben Steuer unterworfen sind,
so zieht die Erhebung der Steuer jedes Jahr von neuem eine scharfe Linie
zwischen den Klassen und jeder Privilegirte fühlt ein sehr reales Interesse sich
nicht mit der Masse der steuerzahlenden gemein zu machen. Als man unter
Karl VII. etwas über eine Million Livres an Taille erhob, war das Privilegium
davon befreit zu sein nicht groß und reichlich compcnstrl durch die Pflicht
des Heerbannes; als aber die Taille unter Ludwig XVI. 80 Millionen betrug und
der Adel keine unentgeltlichen Waffendienste mehr leistete, war die Eremtion
von der Taille ein ungeheuerliches Privilegium, das um so schwerer auf die
zahlende Masse zurückfiel, als die Menge derer, die sich von der Steuer zu be¬
freien wußten, stets wuchs. Es ist wahr, daß der Adel die Grundsteuer des
Zwanzigster und die Kopfsteuer zahlte wie die andern Classen, aber die Ver-
theilung dieser Steuern war höchst ungleich, und namentlich die Art der Er¬
hebung harr für die untern Classen, leicht für die höhern; thatsächlich fanden
außerdem eine Reihe von Eremtionen statt. Aber die Steuerprivilcgien waren
nicht die einzigen, die der Adel besaß, auch schon vor jenem Edict Ludwigs XVI.,
das noch am Vorabend der Revolution alle Ofsizierstellen den Adligen vorbe¬
hielt, war ein bürgerlicher Offizier etwas ganz Ungewöhnliches, den jüngern
Söhnen dienten Bisthümer, Capitel und Abteien zur Versorgung, wo man
wie auch in Deutschland, gegen älteres Kirchenrecht eine Ahnenprobe eingeführt
hatte; namentlich sind hier die zahlreichen Pfründen der abda^c-s commanäatulres
zu erwähnen, deren Einkünfte oft genug im üppigen Hofleben aufgezehrt wur¬
den; der Hof absorbirte überhaupt den Adel mit Ausnahme des kleinen und
meist sehr alten ProvinzialadelS, -- ein Intendant klagt über diesen Adel von
Anjou und der Vendee, und doch war eS dieser, der sich nachher für das Kö¬
nigthum opferte--; Stellenjägerei, Börsenspiel, Schuldenmachen auf die könig¬
liche Kasse sind bei dem Hofadel von Versailles an der Tagesordnung, das
"rothe Buch" welches die constituirende Versammlung drucken ließ, zeigt, welche
Unzahl von Personen vom König Penstonen und Geschenke empfingen. Die
adligen Bittsteller, sagt Tocqueville, zeichnen sich nur dadurch vor den üb¬
rigen aus, daß sie in einem sehr hohen Tone betteln, die Fiancl3 sciigneurs,
welche die Intendanten gewöhnlich als intrus se roturisrs behandelten, nann¬
ten sie NonskiANLui-s, wenn es sich um einen Steuererlaß handelte. Der Roya-
lismus dieser Leute war also keineswegs uninteressirt, er war mit wenigen
Ausnahmen auch ohne Würde; sah man nicht die größten Herren ihre Tons-
>er schamlos dem König als Mätressen anbieten? Der Herzog von Gehöres


Äleuzbvtm. IV. 33

persönliche Privilegien gewonnen, die ihn den andern Classen verhaßt machten.
Das gehässigste war die Steuerfreiheit. Tocqueville bemerkt mit Recht, daß
die Ungleichheit der Besteurung die verderblichste Art ist, die Classen der Be¬
völkerung zu trennen und zu ihrer Ungleichheit die Isolirung hinzuzufügen.
Wenn Bürger und Edelmann nicht mehr derselben Steuer unterworfen sind,
so zieht die Erhebung der Steuer jedes Jahr von neuem eine scharfe Linie
zwischen den Klassen und jeder Privilegirte fühlt ein sehr reales Interesse sich
nicht mit der Masse der steuerzahlenden gemein zu machen. Als man unter
Karl VII. etwas über eine Million Livres an Taille erhob, war das Privilegium
davon befreit zu sein nicht groß und reichlich compcnstrl durch die Pflicht
des Heerbannes; als aber die Taille unter Ludwig XVI. 80 Millionen betrug und
der Adel keine unentgeltlichen Waffendienste mehr leistete, war die Eremtion
von der Taille ein ungeheuerliches Privilegium, das um so schwerer auf die
zahlende Masse zurückfiel, als die Menge derer, die sich von der Steuer zu be¬
freien wußten, stets wuchs. Es ist wahr, daß der Adel die Grundsteuer des
Zwanzigster und die Kopfsteuer zahlte wie die andern Classen, aber die Ver-
theilung dieser Steuern war höchst ungleich, und namentlich die Art der Er¬
hebung harr für die untern Classen, leicht für die höhern; thatsächlich fanden
außerdem eine Reihe von Eremtionen statt. Aber die Steuerprivilcgien waren
nicht die einzigen, die der Adel besaß, auch schon vor jenem Edict Ludwigs XVI.,
das noch am Vorabend der Revolution alle Ofsizierstellen den Adligen vorbe¬
hielt, war ein bürgerlicher Offizier etwas ganz Ungewöhnliches, den jüngern
Söhnen dienten Bisthümer, Capitel und Abteien zur Versorgung, wo man
wie auch in Deutschland, gegen älteres Kirchenrecht eine Ahnenprobe eingeführt
hatte; namentlich sind hier die zahlreichen Pfründen der abda^c-s commanäatulres
zu erwähnen, deren Einkünfte oft genug im üppigen Hofleben aufgezehrt wur¬
den; der Hof absorbirte überhaupt den Adel mit Ausnahme des kleinen und
meist sehr alten ProvinzialadelS, — ein Intendant klagt über diesen Adel von
Anjou und der Vendee, und doch war eS dieser, der sich nachher für das Kö¬
nigthum opferte—; Stellenjägerei, Börsenspiel, Schuldenmachen auf die könig¬
liche Kasse sind bei dem Hofadel von Versailles an der Tagesordnung, das
„rothe Buch" welches die constituirende Versammlung drucken ließ, zeigt, welche
Unzahl von Personen vom König Penstonen und Geschenke empfingen. Die
adligen Bittsteller, sagt Tocqueville, zeichnen sich nur dadurch vor den üb¬
rigen aus, daß sie in einem sehr hohen Tone betteln, die Fiancl3 sciigneurs,
welche die Intendanten gewöhnlich als intrus se roturisrs behandelten, nann¬
ten sie NonskiANLui-s, wenn es sich um einen Steuererlaß handelte. Der Roya-
lismus dieser Leute war also keineswegs uninteressirt, er war mit wenigen
Ausnahmen auch ohne Würde; sah man nicht die größten Herren ihre Tons-
>er schamlos dem König als Mätressen anbieten? Der Herzog von Gehöres


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[0265] persönliche Privilegien gewonnen, die ihn den andern Classen verhaßt machten. Das gehässigste war die Steuerfreiheit. Tocqueville bemerkt mit Recht, daß die Ungleichheit der Besteurung die verderblichste Art ist, die Classen der Be¬ völkerung zu trennen und zu ihrer Ungleichheit die Isolirung hinzuzufügen. Wenn Bürger und Edelmann nicht mehr derselben Steuer unterworfen sind, so zieht die Erhebung der Steuer jedes Jahr von neuem eine scharfe Linie zwischen den Klassen und jeder Privilegirte fühlt ein sehr reales Interesse sich nicht mit der Masse der steuerzahlenden gemein zu machen. Als man unter Karl VII. etwas über eine Million Livres an Taille erhob, war das Privilegium davon befreit zu sein nicht groß und reichlich compcnstrl durch die Pflicht des Heerbannes; als aber die Taille unter Ludwig XVI. 80 Millionen betrug und der Adel keine unentgeltlichen Waffendienste mehr leistete, war die Eremtion von der Taille ein ungeheuerliches Privilegium, das um so schwerer auf die zahlende Masse zurückfiel, als die Menge derer, die sich von der Steuer zu be¬ freien wußten, stets wuchs. Es ist wahr, daß der Adel die Grundsteuer des Zwanzigster und die Kopfsteuer zahlte wie die andern Classen, aber die Ver- theilung dieser Steuern war höchst ungleich, und namentlich die Art der Er¬ hebung harr für die untern Classen, leicht für die höhern; thatsächlich fanden außerdem eine Reihe von Eremtionen statt. Aber die Steuerprivilcgien waren nicht die einzigen, die der Adel besaß, auch schon vor jenem Edict Ludwigs XVI., das noch am Vorabend der Revolution alle Ofsizierstellen den Adligen vorbe¬ hielt, war ein bürgerlicher Offizier etwas ganz Ungewöhnliches, den jüngern Söhnen dienten Bisthümer, Capitel und Abteien zur Versorgung, wo man wie auch in Deutschland, gegen älteres Kirchenrecht eine Ahnenprobe eingeführt hatte; namentlich sind hier die zahlreichen Pfründen der abda^c-s commanäatulres zu erwähnen, deren Einkünfte oft genug im üppigen Hofleben aufgezehrt wur¬ den; der Hof absorbirte überhaupt den Adel mit Ausnahme des kleinen und meist sehr alten ProvinzialadelS, — ein Intendant klagt über diesen Adel von Anjou und der Vendee, und doch war eS dieser, der sich nachher für das Kö¬ nigthum opferte—; Stellenjägerei, Börsenspiel, Schuldenmachen auf die könig¬ liche Kasse sind bei dem Hofadel von Versailles an der Tagesordnung, das „rothe Buch" welches die constituirende Versammlung drucken ließ, zeigt, welche Unzahl von Personen vom König Penstonen und Geschenke empfingen. Die adligen Bittsteller, sagt Tocqueville, zeichnen sich nur dadurch vor den üb¬ rigen aus, daß sie in einem sehr hohen Tone betteln, die Fiancl3 sciigneurs, welche die Intendanten gewöhnlich als intrus se roturisrs behandelten, nann¬ ten sie NonskiANLui-s, wenn es sich um einen Steuererlaß handelte. Der Roya- lismus dieser Leute war also keineswegs uninteressirt, er war mit wenigen Ausnahmen auch ohne Würde; sah man nicht die größten Herren ihre Tons- >er schamlos dem König als Mätressen anbieten? Der Herzog von Gehöres Äleuzbvtm. IV. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/265>, abgerufen am 23.07.2024.