Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.diese mit der höchsten Kraft vereinigte Besonnenheit erleichtert auch dem Ge¬ Otto Jahr ist bekanntlich, abgesehen von seinen kunsthistorischen Schriften, Wenn im ersten Bande bei der Mehrzahl der Leser die beschriebenen Ist das historisch motivirte Urtheil über die Compositionen der haupt¬ diese mit der höchsten Kraft vereinigte Besonnenheit erleichtert auch dem Ge¬ Otto Jahr ist bekanntlich, abgesehen von seinen kunsthistorischen Schriften, Wenn im ersten Bande bei der Mehrzahl der Leser die beschriebenen Ist das historisch motivirte Urtheil über die Compositionen der haupt¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102825"/> <p xml:id="ID_750" prev="#ID_749"> diese mit der höchsten Kraft vereinigte Besonnenheit erleichtert auch dem Ge¬<lb/> schichtschreiber die Arbeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_751"> Otto Jahr ist bekanntlich, abgesehen von seinen kunsthistorischen Schriften,<lb/> auch Philolog, und die Methode seines philologischen Forschens hat sich auch<lb/> in diesem Werk als eine segensreiche bewährt. Wie mancher von den vor¬<lb/> nehmen Dilettanten unserer Zeit mag gelächelt haben, wenn er die Mühe<lb/> betrachtet, rat der Jahr aus einzelnen Papierschnitzeln verschiedene Lesarten<lb/> für diese oder jene Arie zusammensucht, die Chronologie derselben feststellt<lb/> und die Gründe der Abweichungen erörtert; aber so unscheinbar auch diese<lb/> Abweichungen auf den ersten Anblick aussehen, sie'sind sür die genetische<lb/> Darstellung von der größten Wichtigkeit, denn sie verherrlichen uns, wie<lb/> Mozart arbeitete, und wer das Gesetz des künstlerischen Schaffens überhaupt<lb/> kennt, wird bei einer normal schaffenden Künstlernatur aus einzelnen Resten<lb/> in derselben Weise sich das Ganze herstellen können, wie der Naturforscher aus<lb/> einem einzelnen aufgefundenen Zahn die ganze Gestalt des urweltlichen Thieres.<lb/> Und darum war es von der größten Wichtigkeit, auch die schwächern Jugend¬<lb/> versuche, die zum Theil schon völlig vergessen sind, ebenso gründlich zu studiren,<lb/> wie die reisen Werke, denn grade in der genauen Begleichung dieser Versuche<lb/> offenbart sich das Gesetz der künstlerischen Fortbildung.</p><lb/> <p xml:id="ID_752"> Wenn im ersten Bande bei der Mehrzahl der Leser die beschriebenen<lb/> Werke als unbekannt und vergessen weniger Interesse erregten, so haben wir<lb/> bei dem vorliegenden bereits Gelegenheit, das Urtheil des Schriftstellers an<lb/> unsern eignen Eindrücken zu messen, und so erscheint uns namentlich die Dar¬<lb/> stellung des Idomeneo als ein kleines Meisterstück. Es ist nicht übertrieben,<lb/> wenn wir behaupten, daß wir in der Lectüre das Entstehen dieses edlen Kunst¬<lb/> werks in der Seele des schaffenden Künstlers gewissermaßen mit erleben.</p><lb/> <p xml:id="ID_753" next="#ID_754"> Ist das historisch motivirte Urtheil über die Compositionen der haupt¬<lb/> sächliche Zweck des Werks, so müssen, wir für eine andere Arbeit, die an¬<lb/> scheinend der Hauptsache nicht so nahe liegt, dennoch in hohem Grade dankbar sein.<lb/> Man muß nämlich das Werk zugleich als eine culturhistorische Monographie<lb/> auffassen. Bei seinen vielfachen Reisen kommt Mozart an allen möglichen<lb/> Orten mit den bedeutendsten Männern der Zeit, oder auch mit solchen in Be¬<lb/> rührung, die sür irgend eine Culturrichtung den entsprechenden Ausdruck geben.<lb/> Der Verfasser hat sich nun niemals damit begnügt, diese Berührungen blos<lb/> so weit anzudeuten, als sie sich unmittelbar auf die Entwicklung Mozarts be¬<lb/> ziehen; er sucht sich vielmehr von den betreffenden Personen und Zuständen,<lb/> so weit es die Quellen verstatten, ein vollständiges und zusammenhängendes<lb/> Bild zu machen, und theilt dieses Bild auch dem Leser mit. Hier fühlt sich<lb/> nun vorzüglich derjenige zu Dank verpflichtet, der einmal Gelegenheit gehabt<lb/> hat, in einem die Culturgeschichte berührenden Zweige zu arbeiten. Mit wie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0230]
diese mit der höchsten Kraft vereinigte Besonnenheit erleichtert auch dem Ge¬
schichtschreiber die Arbeit.
Otto Jahr ist bekanntlich, abgesehen von seinen kunsthistorischen Schriften,
auch Philolog, und die Methode seines philologischen Forschens hat sich auch
in diesem Werk als eine segensreiche bewährt. Wie mancher von den vor¬
nehmen Dilettanten unserer Zeit mag gelächelt haben, wenn er die Mühe
betrachtet, rat der Jahr aus einzelnen Papierschnitzeln verschiedene Lesarten
für diese oder jene Arie zusammensucht, die Chronologie derselben feststellt
und die Gründe der Abweichungen erörtert; aber so unscheinbar auch diese
Abweichungen auf den ersten Anblick aussehen, sie'sind sür die genetische
Darstellung von der größten Wichtigkeit, denn sie verherrlichen uns, wie
Mozart arbeitete, und wer das Gesetz des künstlerischen Schaffens überhaupt
kennt, wird bei einer normal schaffenden Künstlernatur aus einzelnen Resten
in derselben Weise sich das Ganze herstellen können, wie der Naturforscher aus
einem einzelnen aufgefundenen Zahn die ganze Gestalt des urweltlichen Thieres.
Und darum war es von der größten Wichtigkeit, auch die schwächern Jugend¬
versuche, die zum Theil schon völlig vergessen sind, ebenso gründlich zu studiren,
wie die reisen Werke, denn grade in der genauen Begleichung dieser Versuche
offenbart sich das Gesetz der künstlerischen Fortbildung.
Wenn im ersten Bande bei der Mehrzahl der Leser die beschriebenen
Werke als unbekannt und vergessen weniger Interesse erregten, so haben wir
bei dem vorliegenden bereits Gelegenheit, das Urtheil des Schriftstellers an
unsern eignen Eindrücken zu messen, und so erscheint uns namentlich die Dar¬
stellung des Idomeneo als ein kleines Meisterstück. Es ist nicht übertrieben,
wenn wir behaupten, daß wir in der Lectüre das Entstehen dieses edlen Kunst¬
werks in der Seele des schaffenden Künstlers gewissermaßen mit erleben.
Ist das historisch motivirte Urtheil über die Compositionen der haupt¬
sächliche Zweck des Werks, so müssen, wir für eine andere Arbeit, die an¬
scheinend der Hauptsache nicht so nahe liegt, dennoch in hohem Grade dankbar sein.
Man muß nämlich das Werk zugleich als eine culturhistorische Monographie
auffassen. Bei seinen vielfachen Reisen kommt Mozart an allen möglichen
Orten mit den bedeutendsten Männern der Zeit, oder auch mit solchen in Be¬
rührung, die sür irgend eine Culturrichtung den entsprechenden Ausdruck geben.
Der Verfasser hat sich nun niemals damit begnügt, diese Berührungen blos
so weit anzudeuten, als sie sich unmittelbar auf die Entwicklung Mozarts be¬
ziehen; er sucht sich vielmehr von den betreffenden Personen und Zuständen,
so weit es die Quellen verstatten, ein vollständiges und zusammenhängendes
Bild zu machen, und theilt dieses Bild auch dem Leser mit. Hier fühlt sich
nun vorzüglich derjenige zu Dank verpflichtet, der einmal Gelegenheit gehabt
hat, in einem die Culturgeschichte berührenden Zweige zu arbeiten. Mit wie
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |