Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unendlicher Mühe muß man sich dergleichen Notizen zusammensuchen, und wie
unzuverlässig sind sie in den meisten Fällen. In diesem Fall hat man aber
mit einem Geschichtschreiber zu thun, der im Kleinen ebenso gewissenhaft ist,
als im Großen, und bei dem man sich darauf verlassen kann, daß alles, was
er mittheilt, das Resultat schärfster philologischer Kritik ist. Auch der un¬
mittelbare Zweck des Buchs wird dadurch gefördert, denn durch diese bunten
Bilder gewinnt es den Reiz eines mannigfaltig bewegten Lebens, und der
Leser wird daran gewöhnt, sich auch sinnlich in die geschilderte Zeit zu ver¬
setzen. Freilich wird dadurch der Umfang des Buchs ziemlich stark ausgedehnt,
allein bei einem Werk, dessen erster, mißlichster Band unmittelbar nach dem
Erscheinen die zweite Auflage erlebt hat, darf man es schon wagen, und einem
Gelehrten von der ungeheuern Arbeitskraft Zahns ist es schon zu gönnen,
wenn er sich damit noch eine neue Last aufgebürdet hat, nämlich nach Voll¬
endung des Werks ein vollständiges Namen- und Sachregister anzufertigen.

Wir kommen jetzt an diejenige Seite des Werks, die für die Mehrzahl
der Leser die erfreulichste und interessanteste sein wird, nämlich an den eigent¬
lich biographischen Theil. Hier gab der Briefwechsel zwischen Mozart und
seinem Vater ein überreiches Material, das der Herausgeber mit einem Spür¬
talent ohne Gleichen noch nach allen Seiten hin erweitert hat. Sein Ver¬
dienst besteht aber nicht blos in der geschickten Auswahl dessen, was zum
Verständniß Mozarts wesentlich ist, sondern auch in dem feinen Gefühl, mit
dem er diese Züge einer großen und edeln Natur oft ganz unscheinbar zu ver¬
weben weiß. Er gibt sich nie dazu her, sich über das Schöne und Herrliche
seines Gegenstandes weitläufig zu erpecloriren, aber oft genügt schon ein ganz
leiser, zarter Ton, uns aus den Grundaccord dieser schön gestimmten.Seele
aufmerksam zu machen. Es ist ein schönes und erhebendes Gefühl, die ge¬
bildete Bewunderung, die ihren Gegenstand nicht romantisch in die Lüste
erhebt, sondern in der ganzen derben concreten Wirklichkeit des Lebens zu
fassen und zu ertragen weiß. Jahr schildert uns nicht blos jene Zustände
des jugendlichen Uebermuths, der im gutmüthigen, seiner Kraft und seinem
Glück vertrauenden Leichtsinn vorübergehend auch das Gedächtniß heiliger
Pflichten aus der Seele drängt, nicht blos die harmlose Unbefangenheit, deren
Neigung, in den Tag hineinzuleben, nicht selten des Gängelbandes bedarf,
sondern er verschmäht es nicht, den großen Künstler in seinen Mußestunden
auch als einen liebenswürdigen Faselhans darzustellen, und er thut recht
daran, denn alles das sind nur endliche Seiten, aus deren Gesammtheit uns
eine schöne und gute Natur entgegentritt. Freilich die modernen Götzendiener
des Genius, die ihren Abgott nur hinter schwarzen Wetterwolken zu sehen
gewohnt sind, werden sich kreuzigen und segnen, wenn sie folgenden Brief
Mozarts an sein Baste lesen. "Ich habe dero mir so werthes Schreiben


unendlicher Mühe muß man sich dergleichen Notizen zusammensuchen, und wie
unzuverlässig sind sie in den meisten Fällen. In diesem Fall hat man aber
mit einem Geschichtschreiber zu thun, der im Kleinen ebenso gewissenhaft ist,
als im Großen, und bei dem man sich darauf verlassen kann, daß alles, was
er mittheilt, das Resultat schärfster philologischer Kritik ist. Auch der un¬
mittelbare Zweck des Buchs wird dadurch gefördert, denn durch diese bunten
Bilder gewinnt es den Reiz eines mannigfaltig bewegten Lebens, und der
Leser wird daran gewöhnt, sich auch sinnlich in die geschilderte Zeit zu ver¬
setzen. Freilich wird dadurch der Umfang des Buchs ziemlich stark ausgedehnt,
allein bei einem Werk, dessen erster, mißlichster Band unmittelbar nach dem
Erscheinen die zweite Auflage erlebt hat, darf man es schon wagen, und einem
Gelehrten von der ungeheuern Arbeitskraft Zahns ist es schon zu gönnen,
wenn er sich damit noch eine neue Last aufgebürdet hat, nämlich nach Voll¬
endung des Werks ein vollständiges Namen- und Sachregister anzufertigen.

Wir kommen jetzt an diejenige Seite des Werks, die für die Mehrzahl
der Leser die erfreulichste und interessanteste sein wird, nämlich an den eigent¬
lich biographischen Theil. Hier gab der Briefwechsel zwischen Mozart und
seinem Vater ein überreiches Material, das der Herausgeber mit einem Spür¬
talent ohne Gleichen noch nach allen Seiten hin erweitert hat. Sein Ver¬
dienst besteht aber nicht blos in der geschickten Auswahl dessen, was zum
Verständniß Mozarts wesentlich ist, sondern auch in dem feinen Gefühl, mit
dem er diese Züge einer großen und edeln Natur oft ganz unscheinbar zu ver¬
weben weiß. Er gibt sich nie dazu her, sich über das Schöne und Herrliche
seines Gegenstandes weitläufig zu erpecloriren, aber oft genügt schon ein ganz
leiser, zarter Ton, uns aus den Grundaccord dieser schön gestimmten.Seele
aufmerksam zu machen. Es ist ein schönes und erhebendes Gefühl, die ge¬
bildete Bewunderung, die ihren Gegenstand nicht romantisch in die Lüste
erhebt, sondern in der ganzen derben concreten Wirklichkeit des Lebens zu
fassen und zu ertragen weiß. Jahr schildert uns nicht blos jene Zustände
des jugendlichen Uebermuths, der im gutmüthigen, seiner Kraft und seinem
Glück vertrauenden Leichtsinn vorübergehend auch das Gedächtniß heiliger
Pflichten aus der Seele drängt, nicht blos die harmlose Unbefangenheit, deren
Neigung, in den Tag hineinzuleben, nicht selten des Gängelbandes bedarf,
sondern er verschmäht es nicht, den großen Künstler in seinen Mußestunden
auch als einen liebenswürdigen Faselhans darzustellen, und er thut recht
daran, denn alles das sind nur endliche Seiten, aus deren Gesammtheit uns
eine schöne und gute Natur entgegentritt. Freilich die modernen Götzendiener
des Genius, die ihren Abgott nur hinter schwarzen Wetterwolken zu sehen
gewohnt sind, werden sich kreuzigen und segnen, wenn sie folgenden Brief
Mozarts an sein Baste lesen. „Ich habe dero mir so werthes Schreiben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102826"/>
          <p xml:id="ID_754" prev="#ID_753"> unendlicher Mühe muß man sich dergleichen Notizen zusammensuchen, und wie<lb/>
unzuverlässig sind sie in den meisten Fällen. In diesem Fall hat man aber<lb/>
mit einem Geschichtschreiber zu thun, der im Kleinen ebenso gewissenhaft ist,<lb/>
als im Großen, und bei dem man sich darauf verlassen kann, daß alles, was<lb/>
er mittheilt, das Resultat schärfster philologischer Kritik ist. Auch der un¬<lb/>
mittelbare Zweck des Buchs wird dadurch gefördert, denn durch diese bunten<lb/>
Bilder gewinnt es den Reiz eines mannigfaltig bewegten Lebens, und der<lb/>
Leser wird daran gewöhnt, sich auch sinnlich in die geschilderte Zeit zu ver¬<lb/>
setzen. Freilich wird dadurch der Umfang des Buchs ziemlich stark ausgedehnt,<lb/>
allein bei einem Werk, dessen erster, mißlichster Band unmittelbar nach dem<lb/>
Erscheinen die zweite Auflage erlebt hat, darf man es schon wagen, und einem<lb/>
Gelehrten von der ungeheuern Arbeitskraft Zahns ist es schon zu gönnen,<lb/>
wenn er sich damit noch eine neue Last aufgebürdet hat, nämlich nach Voll¬<lb/>
endung des Werks ein vollständiges Namen- und Sachregister anzufertigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_755" next="#ID_756"> Wir kommen jetzt an diejenige Seite des Werks, die für die Mehrzahl<lb/>
der Leser die erfreulichste und interessanteste sein wird, nämlich an den eigent¬<lb/>
lich biographischen Theil. Hier gab der Briefwechsel zwischen Mozart und<lb/>
seinem Vater ein überreiches Material, das der Herausgeber mit einem Spür¬<lb/>
talent ohne Gleichen noch nach allen Seiten hin erweitert hat. Sein Ver¬<lb/>
dienst besteht aber nicht blos in der geschickten Auswahl dessen, was zum<lb/>
Verständniß Mozarts wesentlich ist, sondern auch in dem feinen Gefühl, mit<lb/>
dem er diese Züge einer großen und edeln Natur oft ganz unscheinbar zu ver¬<lb/>
weben weiß. Er gibt sich nie dazu her, sich über das Schöne und Herrliche<lb/>
seines Gegenstandes weitläufig zu erpecloriren, aber oft genügt schon ein ganz<lb/>
leiser, zarter Ton, uns aus den Grundaccord dieser schön gestimmten.Seele<lb/>
aufmerksam zu machen. Es ist ein schönes und erhebendes Gefühl, die ge¬<lb/>
bildete Bewunderung, die ihren Gegenstand nicht romantisch in die Lüste<lb/>
erhebt, sondern in der ganzen derben concreten Wirklichkeit des Lebens zu<lb/>
fassen und zu ertragen weiß. Jahr schildert uns nicht blos jene Zustände<lb/>
des jugendlichen Uebermuths, der im gutmüthigen, seiner Kraft und seinem<lb/>
Glück vertrauenden Leichtsinn vorübergehend auch das Gedächtniß heiliger<lb/>
Pflichten aus der Seele drängt, nicht blos die harmlose Unbefangenheit, deren<lb/>
Neigung, in den Tag hineinzuleben, nicht selten des Gängelbandes bedarf,<lb/>
sondern er verschmäht es nicht, den großen Künstler in seinen Mußestunden<lb/>
auch als einen liebenswürdigen Faselhans darzustellen, und er thut recht<lb/>
daran, denn alles das sind nur endliche Seiten, aus deren Gesammtheit uns<lb/>
eine schöne und gute Natur entgegentritt. Freilich die modernen Götzendiener<lb/>
des Genius, die ihren Abgott nur hinter schwarzen Wetterwolken zu sehen<lb/>
gewohnt sind, werden sich kreuzigen und segnen, wenn sie folgenden Brief<lb/>
Mozarts an sein Baste lesen.  &#x201E;Ich habe dero mir so werthes Schreiben</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0231] unendlicher Mühe muß man sich dergleichen Notizen zusammensuchen, und wie unzuverlässig sind sie in den meisten Fällen. In diesem Fall hat man aber mit einem Geschichtschreiber zu thun, der im Kleinen ebenso gewissenhaft ist, als im Großen, und bei dem man sich darauf verlassen kann, daß alles, was er mittheilt, das Resultat schärfster philologischer Kritik ist. Auch der un¬ mittelbare Zweck des Buchs wird dadurch gefördert, denn durch diese bunten Bilder gewinnt es den Reiz eines mannigfaltig bewegten Lebens, und der Leser wird daran gewöhnt, sich auch sinnlich in die geschilderte Zeit zu ver¬ setzen. Freilich wird dadurch der Umfang des Buchs ziemlich stark ausgedehnt, allein bei einem Werk, dessen erster, mißlichster Band unmittelbar nach dem Erscheinen die zweite Auflage erlebt hat, darf man es schon wagen, und einem Gelehrten von der ungeheuern Arbeitskraft Zahns ist es schon zu gönnen, wenn er sich damit noch eine neue Last aufgebürdet hat, nämlich nach Voll¬ endung des Werks ein vollständiges Namen- und Sachregister anzufertigen. Wir kommen jetzt an diejenige Seite des Werks, die für die Mehrzahl der Leser die erfreulichste und interessanteste sein wird, nämlich an den eigent¬ lich biographischen Theil. Hier gab der Briefwechsel zwischen Mozart und seinem Vater ein überreiches Material, das der Herausgeber mit einem Spür¬ talent ohne Gleichen noch nach allen Seiten hin erweitert hat. Sein Ver¬ dienst besteht aber nicht blos in der geschickten Auswahl dessen, was zum Verständniß Mozarts wesentlich ist, sondern auch in dem feinen Gefühl, mit dem er diese Züge einer großen und edeln Natur oft ganz unscheinbar zu ver¬ weben weiß. Er gibt sich nie dazu her, sich über das Schöne und Herrliche seines Gegenstandes weitläufig zu erpecloriren, aber oft genügt schon ein ganz leiser, zarter Ton, uns aus den Grundaccord dieser schön gestimmten.Seele aufmerksam zu machen. Es ist ein schönes und erhebendes Gefühl, die ge¬ bildete Bewunderung, die ihren Gegenstand nicht romantisch in die Lüste erhebt, sondern in der ganzen derben concreten Wirklichkeit des Lebens zu fassen und zu ertragen weiß. Jahr schildert uns nicht blos jene Zustände des jugendlichen Uebermuths, der im gutmüthigen, seiner Kraft und seinem Glück vertrauenden Leichtsinn vorübergehend auch das Gedächtniß heiliger Pflichten aus der Seele drängt, nicht blos die harmlose Unbefangenheit, deren Neigung, in den Tag hineinzuleben, nicht selten des Gängelbandes bedarf, sondern er verschmäht es nicht, den großen Künstler in seinen Mußestunden auch als einen liebenswürdigen Faselhans darzustellen, und er thut recht daran, denn alles das sind nur endliche Seiten, aus deren Gesammtheit uns eine schöne und gute Natur entgegentritt. Freilich die modernen Götzendiener des Genius, die ihren Abgott nur hinter schwarzen Wetterwolken zu sehen gewohnt sind, werden sich kreuzigen und segnen, wenn sie folgenden Brief Mozarts an sein Baste lesen. „Ich habe dero mir so werthes Schreiben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/231
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/231>, abgerufen am 23.07.2024.