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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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derstehen. Wenn die Gefahr ihnen nahe trat, kam ihnen die Empfindung
ihrer Lage und sie wurden kleinlaut. So oft sie aber freier athmen konnten,
waren sie übermüthig, große Schwätzer und voll hochfliegender Pläne, die
ihnen in der Regel kläglich vereitelt wurden. Sie waren als Nachbarn die
leidenschaftlichsten Feinde der Böhmen, und aus Haß gegen diese die eifrigsten
Rechtgläubigen; sie waren sehr thätig bei dem ersten schändlichen Verwüstungs¬
zuge nach Böhmen gewesen und hatten dadurch und durch Wortbruch die
Rache der Böhmen gegen sich herausgefordert. Wie in der Römerzeit die pu-
nische Treue, so war damals in Schlesien die böhmische Treue sprichwörtlich,
aber die Schlesier hatten zuletzt von allen das Recht, den Böhmen Wort¬
brüchigkeit vorzuwerfen. Und ihre gefährliche Lage hinderte sie nicht, mit
großer Sorglosigkeit und mit einem entschiedenen Mangel an Gemeinsinn die¬
jenigen ihrer Herzogthümer und Städte, welche von den schwarzen Rändern
überfallen wurden, durch die säumigste Hilfsleistung dem Verderben zu über¬
geben. Und immer wieder waren sie mit der Zunge, mit losen Witzworten
und kleinen Perfidien bei der Hand, um die Feinde aufs neue zu reizen und
den Strom gegen sich zu leiten. Freilich ihre Lebenskraft und Elasticität war
ebenso dauerhaft. So oft ihnen die Böhmen die Städte und Dörfer nieder¬
brannten, sie bauten und flickten immer wieder zusammen, was irgend halten
wollte. Sie wurden auch später nicht müde, den Ketzer Girsik, wie sie Georg
von Podiebrad nannten, zu ärgern und zu reizen. In allen Schenken Bres-
laus wurden Spottlieder auf ihn verfertigt, und es machte den Bürgern die
größte Freude, ihn als ein Scheusal von der Kanzel und auf den Bänken der
Zünfte auszumalen. Wenn sie ihn dann einmal brauchten, und merkten, daß
er sehr zornig war, machten sie ihm schnell ein Geschenk von hundert Ochsen,
aber gleich darauf fing das Schelten und Höhnen wieder an. Zuletzt wu^de
ihr Haß männlicher, sie ergriffen gegen ihn die Waffen und haben sich tapfer
mit ihm geschlagen. Und als er endlich in das Grab sank, konnten sie das
Behagen empfinden, daß sie von allen am meisten ihm das Leben verbittert
und die ehrgeizigen Pläne dieses starken Charakters durch ewiges Widersprechen
und Dreinschlagen durchkreuzt hatten. Alles dies freilich thaten die Schlesier
zum größten eignen Schaden. Das flache Land lag öde und zertreten, die
Mehrzahl der deutschen Bauern sank in diesem Jahrhundert des Feuers und
deS Eisens zu einem Zustand hinab, der von slawischer Unfreiheit nicht weit
entfernt war. Die kleinern Städte waren verarmt und ausgebrannt, nur
wenige der größern gewannen seitdem ein entschiedenes Uebergewicht. Der
schlesische Landadel wurde roh und beutelustig, er lernte von den Böhmen
Vieh stehlen, Kaufleute anhalten und Städte brandschatzen. Die Fürsten, in
ewigen Händeln untereinander, wurden zuweilen Bundesgenossen der Böhmen,
theilten mit diesen die Beute, ja Einzelne von ihnen fanden Behagen an


derstehen. Wenn die Gefahr ihnen nahe trat, kam ihnen die Empfindung
ihrer Lage und sie wurden kleinlaut. So oft sie aber freier athmen konnten,
waren sie übermüthig, große Schwätzer und voll hochfliegender Pläne, die
ihnen in der Regel kläglich vereitelt wurden. Sie waren als Nachbarn die
leidenschaftlichsten Feinde der Böhmen, und aus Haß gegen diese die eifrigsten
Rechtgläubigen; sie waren sehr thätig bei dem ersten schändlichen Verwüstungs¬
zuge nach Böhmen gewesen und hatten dadurch und durch Wortbruch die
Rache der Böhmen gegen sich herausgefordert. Wie in der Römerzeit die pu-
nische Treue, so war damals in Schlesien die böhmische Treue sprichwörtlich,
aber die Schlesier hatten zuletzt von allen das Recht, den Böhmen Wort¬
brüchigkeit vorzuwerfen. Und ihre gefährliche Lage hinderte sie nicht, mit
großer Sorglosigkeit und mit einem entschiedenen Mangel an Gemeinsinn die¬
jenigen ihrer Herzogthümer und Städte, welche von den schwarzen Rändern
überfallen wurden, durch die säumigste Hilfsleistung dem Verderben zu über¬
geben. Und immer wieder waren sie mit der Zunge, mit losen Witzworten
und kleinen Perfidien bei der Hand, um die Feinde aufs neue zu reizen und
den Strom gegen sich zu leiten. Freilich ihre Lebenskraft und Elasticität war
ebenso dauerhaft. So oft ihnen die Böhmen die Städte und Dörfer nieder¬
brannten, sie bauten und flickten immer wieder zusammen, was irgend halten
wollte. Sie wurden auch später nicht müde, den Ketzer Girsik, wie sie Georg
von Podiebrad nannten, zu ärgern und zu reizen. In allen Schenken Bres-
laus wurden Spottlieder auf ihn verfertigt, und es machte den Bürgern die
größte Freude, ihn als ein Scheusal von der Kanzel und auf den Bänken der
Zünfte auszumalen. Wenn sie ihn dann einmal brauchten, und merkten, daß
er sehr zornig war, machten sie ihm schnell ein Geschenk von hundert Ochsen,
aber gleich darauf fing das Schelten und Höhnen wieder an. Zuletzt wu^de
ihr Haß männlicher, sie ergriffen gegen ihn die Waffen und haben sich tapfer
mit ihm geschlagen. Und als er endlich in das Grab sank, konnten sie das
Behagen empfinden, daß sie von allen am meisten ihm das Leben verbittert
und die ehrgeizigen Pläne dieses starken Charakters durch ewiges Widersprechen
und Dreinschlagen durchkreuzt hatten. Alles dies freilich thaten die Schlesier
zum größten eignen Schaden. Das flache Land lag öde und zertreten, die
Mehrzahl der deutschen Bauern sank in diesem Jahrhundert des Feuers und
deS Eisens zu einem Zustand hinab, der von slawischer Unfreiheit nicht weit
entfernt war. Die kleinern Städte waren verarmt und ausgebrannt, nur
wenige der größern gewannen seitdem ein entschiedenes Uebergewicht. Der
schlesische Landadel wurde roh und beutelustig, er lernte von den Böhmen
Vieh stehlen, Kaufleute anhalten und Städte brandschatzen. Die Fürsten, in
ewigen Händeln untereinander, wurden zuweilen Bundesgenossen der Böhmen,
theilten mit diesen die Beute, ja Einzelne von ihnen fanden Behagen an


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[0195] derstehen. Wenn die Gefahr ihnen nahe trat, kam ihnen die Empfindung ihrer Lage und sie wurden kleinlaut. So oft sie aber freier athmen konnten, waren sie übermüthig, große Schwätzer und voll hochfliegender Pläne, die ihnen in der Regel kläglich vereitelt wurden. Sie waren als Nachbarn die leidenschaftlichsten Feinde der Böhmen, und aus Haß gegen diese die eifrigsten Rechtgläubigen; sie waren sehr thätig bei dem ersten schändlichen Verwüstungs¬ zuge nach Böhmen gewesen und hatten dadurch und durch Wortbruch die Rache der Böhmen gegen sich herausgefordert. Wie in der Römerzeit die pu- nische Treue, so war damals in Schlesien die böhmische Treue sprichwörtlich, aber die Schlesier hatten zuletzt von allen das Recht, den Böhmen Wort¬ brüchigkeit vorzuwerfen. Und ihre gefährliche Lage hinderte sie nicht, mit großer Sorglosigkeit und mit einem entschiedenen Mangel an Gemeinsinn die¬ jenigen ihrer Herzogthümer und Städte, welche von den schwarzen Rändern überfallen wurden, durch die säumigste Hilfsleistung dem Verderben zu über¬ geben. Und immer wieder waren sie mit der Zunge, mit losen Witzworten und kleinen Perfidien bei der Hand, um die Feinde aufs neue zu reizen und den Strom gegen sich zu leiten. Freilich ihre Lebenskraft und Elasticität war ebenso dauerhaft. So oft ihnen die Böhmen die Städte und Dörfer nieder¬ brannten, sie bauten und flickten immer wieder zusammen, was irgend halten wollte. Sie wurden auch später nicht müde, den Ketzer Girsik, wie sie Georg von Podiebrad nannten, zu ärgern und zu reizen. In allen Schenken Bres- laus wurden Spottlieder auf ihn verfertigt, und es machte den Bürgern die größte Freude, ihn als ein Scheusal von der Kanzel und auf den Bänken der Zünfte auszumalen. Wenn sie ihn dann einmal brauchten, und merkten, daß er sehr zornig war, machten sie ihm schnell ein Geschenk von hundert Ochsen, aber gleich darauf fing das Schelten und Höhnen wieder an. Zuletzt wu^de ihr Haß männlicher, sie ergriffen gegen ihn die Waffen und haben sich tapfer mit ihm geschlagen. Und als er endlich in das Grab sank, konnten sie das Behagen empfinden, daß sie von allen am meisten ihm das Leben verbittert und die ehrgeizigen Pläne dieses starken Charakters durch ewiges Widersprechen und Dreinschlagen durchkreuzt hatten. Alles dies freilich thaten die Schlesier zum größten eignen Schaden. Das flache Land lag öde und zertreten, die Mehrzahl der deutschen Bauern sank in diesem Jahrhundert des Feuers und deS Eisens zu einem Zustand hinab, der von slawischer Unfreiheit nicht weit entfernt war. Die kleinern Städte waren verarmt und ausgebrannt, nur wenige der größern gewannen seitdem ein entschiedenes Uebergewicht. Der schlesische Landadel wurde roh und beutelustig, er lernte von den Böhmen Vieh stehlen, Kaufleute anhalten und Städte brandschatzen. Die Fürsten, in ewigen Händeln untereinander, wurden zuweilen Bundesgenossen der Böhmen, theilten mit diesen die Beute, ja Einzelne von ihnen fanden Behagen an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/195>, abgerufen am 23.07.2024.