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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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ir Deutschland liegt, der Kern eines großen einheitlichen Reichs werden sollte,
welches sich im Westen weit über den Rhein, und im Osten bis an die Weichsel,
ja vielleicht bis zu den Sümpfen der Theiß erstrecken könnte. Aber grade in
dieser Zeit erhob sich in Böhmen selbst mit energischer Reaction das alte sla¬
wische Volksgemüth gegen das deutsche. Und es entstand ein langer Kampf,
welcher das politische, kirchliche und sociale Leben Deutschlands furchtbar er¬
schütterte, welcher die Einheit in der katholischen Kirche Deutschlands zerriß,
das Reich in Verwirrung und Schwäche stürzte, große Landschaften durch einen
Krieg voll Greuel entvölkerte und unter dem feurigen Schein brennender
Städte und dem Wehgeschrei von Millionen das heilige römische Reich des
Mittelalters zu Grabe trug. Und es war ein eigenthümlich deutsches Ver¬
hängnis), daß in den Hallen der Universität, unter den Gelehrten und Ler¬
nenden dieser große Kampf aufbrannte, und daß der Scheiterhaufen eines
böhmischen Professors der gesauuuten Politik der deutschen Fürsten und Völker
eine neue Richtung gab.

Der Scheiterhaufen des Huß war für die Deutschen vom Rhein bis zur
Oder weder ein besonders auffallendes, noch ein besonders tadeluswertheS Er¬
eignis). Man war damals schnell bei der Hand, hinzurichten, und es verging
schwerlich ein Jahr, wo nicht in jeder größern Stadt der Nachrichter seine
Pechfackel an einen Holzstoß legte. Und wie groß auch Schmerz und Zorn
der nationalen Partei in Böhmen war, der wilde Fanatismus des Volkes
wurde erst aufgewühlt durch eine zweite, noch größere Sünde des ruchlosen
Kaisers Siegmund. Denn nicht die Böhmen trugen zuerst die Kriegöfurie über
ihre Berge in die Nachbarländer, sondern die deutsche Partei begann (im Jahre
1420) das Völkergcmetzel, in orthodorem Fanatismus und mit einer raffinir-
ten Bestialität, wie sie vielleicht in der Völkerwanderung nicht geherrscht hatte.
Dieser Einfall gab den Böhmen die Kraft der Verzweiflung, und von da be¬
gannen die Kriegszüge der Slawen gegen die Deutschen. Sie wiederholte"
sich bis an das Ende des Jahrhunderts. Denn lauge nachdem die Böhmen
selbst uneinig geworden und die Volkspartei von der aristokratischen bezwungen
worden, ja noch über den Tod Georgs von Podicbrad hinaus dauerten die
Fehden und Beutezüge einzelner Haufen in die Nachbarländer. Schnell ver¬
wilderte Volk und Adel in Böhmen, wie in den heimgesuchten Gcenzländern.
An die Stelle des Fanatismus trat ein Nayenhaß, weniger leidenschaftlich,
aber zäher und gemeiner.

Kein Land litt mehr unter den Schrecken dieser Zeit, als Schlesien, und
es muß bekannt werden, daß die Schlester sich in keinem Jahrhundert ihrer
Geschichte so wenig zu ihrem Vortheil zeigen, als in diesem. Durch die Thei¬
lung in viele kleine unabhängige Territorien waren sie politisch schwach und
ganz ungeeignet, einem starken feindlichen Angriff aus eignen Kräften zu wi-


ir Deutschland liegt, der Kern eines großen einheitlichen Reichs werden sollte,
welches sich im Westen weit über den Rhein, und im Osten bis an die Weichsel,
ja vielleicht bis zu den Sümpfen der Theiß erstrecken könnte. Aber grade in
dieser Zeit erhob sich in Böhmen selbst mit energischer Reaction das alte sla¬
wische Volksgemüth gegen das deutsche. Und es entstand ein langer Kampf,
welcher das politische, kirchliche und sociale Leben Deutschlands furchtbar er¬
schütterte, welcher die Einheit in der katholischen Kirche Deutschlands zerriß,
das Reich in Verwirrung und Schwäche stürzte, große Landschaften durch einen
Krieg voll Greuel entvölkerte und unter dem feurigen Schein brennender
Städte und dem Wehgeschrei von Millionen das heilige römische Reich des
Mittelalters zu Grabe trug. Und es war ein eigenthümlich deutsches Ver¬
hängnis), daß in den Hallen der Universität, unter den Gelehrten und Ler¬
nenden dieser große Kampf aufbrannte, und daß der Scheiterhaufen eines
böhmischen Professors der gesauuuten Politik der deutschen Fürsten und Völker
eine neue Richtung gab.

Der Scheiterhaufen des Huß war für die Deutschen vom Rhein bis zur
Oder weder ein besonders auffallendes, noch ein besonders tadeluswertheS Er¬
eignis). Man war damals schnell bei der Hand, hinzurichten, und es verging
schwerlich ein Jahr, wo nicht in jeder größern Stadt der Nachrichter seine
Pechfackel an einen Holzstoß legte. Und wie groß auch Schmerz und Zorn
der nationalen Partei in Böhmen war, der wilde Fanatismus des Volkes
wurde erst aufgewühlt durch eine zweite, noch größere Sünde des ruchlosen
Kaisers Siegmund. Denn nicht die Böhmen trugen zuerst die Kriegöfurie über
ihre Berge in die Nachbarländer, sondern die deutsche Partei begann (im Jahre
1420) das Völkergcmetzel, in orthodorem Fanatismus und mit einer raffinir-
ten Bestialität, wie sie vielleicht in der Völkerwanderung nicht geherrscht hatte.
Dieser Einfall gab den Böhmen die Kraft der Verzweiflung, und von da be¬
gannen die Kriegszüge der Slawen gegen die Deutschen. Sie wiederholte»
sich bis an das Ende des Jahrhunderts. Denn lauge nachdem die Böhmen
selbst uneinig geworden und die Volkspartei von der aristokratischen bezwungen
worden, ja noch über den Tod Georgs von Podicbrad hinaus dauerten die
Fehden und Beutezüge einzelner Haufen in die Nachbarländer. Schnell ver¬
wilderte Volk und Adel in Böhmen, wie in den heimgesuchten Gcenzländern.
An die Stelle des Fanatismus trat ein Nayenhaß, weniger leidenschaftlich,
aber zäher und gemeiner.

Kein Land litt mehr unter den Schrecken dieser Zeit, als Schlesien, und
es muß bekannt werden, daß die Schlester sich in keinem Jahrhundert ihrer
Geschichte so wenig zu ihrem Vortheil zeigen, als in diesem. Durch die Thei¬
lung in viele kleine unabhängige Territorien waren sie politisch schwach und
ganz ungeeignet, einem starken feindlichen Angriff aus eignen Kräften zu wi-


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[0194] ir Deutschland liegt, der Kern eines großen einheitlichen Reichs werden sollte, welches sich im Westen weit über den Rhein, und im Osten bis an die Weichsel, ja vielleicht bis zu den Sümpfen der Theiß erstrecken könnte. Aber grade in dieser Zeit erhob sich in Böhmen selbst mit energischer Reaction das alte sla¬ wische Volksgemüth gegen das deutsche. Und es entstand ein langer Kampf, welcher das politische, kirchliche und sociale Leben Deutschlands furchtbar er¬ schütterte, welcher die Einheit in der katholischen Kirche Deutschlands zerriß, das Reich in Verwirrung und Schwäche stürzte, große Landschaften durch einen Krieg voll Greuel entvölkerte und unter dem feurigen Schein brennender Städte und dem Wehgeschrei von Millionen das heilige römische Reich des Mittelalters zu Grabe trug. Und es war ein eigenthümlich deutsches Ver¬ hängnis), daß in den Hallen der Universität, unter den Gelehrten und Ler¬ nenden dieser große Kampf aufbrannte, und daß der Scheiterhaufen eines böhmischen Professors der gesauuuten Politik der deutschen Fürsten und Völker eine neue Richtung gab. Der Scheiterhaufen des Huß war für die Deutschen vom Rhein bis zur Oder weder ein besonders auffallendes, noch ein besonders tadeluswertheS Er¬ eignis). Man war damals schnell bei der Hand, hinzurichten, und es verging schwerlich ein Jahr, wo nicht in jeder größern Stadt der Nachrichter seine Pechfackel an einen Holzstoß legte. Und wie groß auch Schmerz und Zorn der nationalen Partei in Böhmen war, der wilde Fanatismus des Volkes wurde erst aufgewühlt durch eine zweite, noch größere Sünde des ruchlosen Kaisers Siegmund. Denn nicht die Böhmen trugen zuerst die Kriegöfurie über ihre Berge in die Nachbarländer, sondern die deutsche Partei begann (im Jahre 1420) das Völkergcmetzel, in orthodorem Fanatismus und mit einer raffinir- ten Bestialität, wie sie vielleicht in der Völkerwanderung nicht geherrscht hatte. Dieser Einfall gab den Böhmen die Kraft der Verzweiflung, und von da be¬ gannen die Kriegszüge der Slawen gegen die Deutschen. Sie wiederholte» sich bis an das Ende des Jahrhunderts. Denn lauge nachdem die Böhmen selbst uneinig geworden und die Volkspartei von der aristokratischen bezwungen worden, ja noch über den Tod Georgs von Podicbrad hinaus dauerten die Fehden und Beutezüge einzelner Haufen in die Nachbarländer. Schnell ver¬ wilderte Volk und Adel in Böhmen, wie in den heimgesuchten Gcenzländern. An die Stelle des Fanatismus trat ein Nayenhaß, weniger leidenschaftlich, aber zäher und gemeiner. Kein Land litt mehr unter den Schrecken dieser Zeit, als Schlesien, und es muß bekannt werden, daß die Schlester sich in keinem Jahrhundert ihrer Geschichte so wenig zu ihrem Vortheil zeigen, als in diesem. Durch die Thei¬ lung in viele kleine unabhängige Territorien waren sie politisch schwach und ganz ungeeignet, einem starken feindlichen Angriff aus eignen Kräften zu wi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/194>, abgerufen am 03.07.2024.