Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einem wüsten Räuberleben und hausten wie Mordbrenne.' in ihrem eignen
Lande. Bis in daS 16. Jahrhundert hinein währten die innern Händel, Räu¬
bereien, rohe Gewaltthaten, und klägliche Katzbalgereien, bis die Reformation
dem lebhafte" und beweglichen Nolksstamm einen neuen Idealismus, freilich
auch neue Leiden brachte.

Es ist der Anfang dieser bösen Zeit, welchen die folgenden Bilder schil¬
dern. Mit Freude wird man merken, daß über viele Schlechtigkeit und über
eine Wildheit, die wir jetzt kaum noch begreifen, bei beiden Parteien hier
und da die unvertilgbare Güte der menschlichen Natur und der ruhige,
feste Sinn Einzelner sich erhebt. Martin, ,der von jetzt ab erzählt, er¬
scheint selbst als ein treuherziger Mann von gesundem Urtheil, und eS' ist
sehr zu bedauern, daß die hübsche Farbe, welche sein Dialekt der Erzählung
gibt, hier verloren gehen mußte.

"Ais man schrieb nach Christi Geburt 1423, da kamen die Hussen vor die
Stadt Wünschelbnrg an einem Sonnabend und gewannen den Zugang, am
Sonntag um die Vesperzeit mit Uebermacht und brachen durch die Mauern.
Da floh das Volk auf des Vogtes Haus^), das war ein hohes Steinhaus.
Als sie nun darauf kamen, beide Männer und Frauen, zündeten sie selbst die
Stadt an vom Steinhause aus und meinten sich bani- zu retten. Die Böh¬
men aber warteten, bis sich das Feuer gesetzte und gelegie, dann drangen sie
mit Macht an das Steinhaus, nud wollten zu ihnen stürmen und daS Haus
untergraben. Und es kam dazu, daß man miteinander verhandelte, und der
Vogt ließ sich zu den Hussen hinab mit einem blauen rohen Tuche mit ihrem
Willen, er sollte mit ihnen sprechen und verhandeln, ob die Bürger los und
frei von ihnen werden und Herabkommen könnten. Er war überlange da un¬
ten in der Stadt, so daß es den Leuten zu lange währte und zu bange war,
sonderlich dem Pfarrer derselben Stadt -- er war des Vogt"S Gevatter --
der ließ herabschreien und rufen, ob der Vogt etwa noch da unten wäre, sollte
er sich offenbaren und melden und ^wieder zu ihnen heraufkomm-n. Darauf



") Hans ohne weiteren Zttsatz bezeichnet auch ein befestigtes Gebäude, in den Städten
die Vogici, ans dem Lande den Sitz des Edelmanns, In solchem Fall ist es von Stein,
die Mauer unten sehr dick, aber zuweilen nicht in Grund ' gesetzt, sondern breit ans der
Oberfläche gelagert, daher leicht zu untergraben. Die Fenster sind dann wohl mit (5ihn"gittern
versehen, und unter dein Dache länft innerhalb der Meiner ein Gang, oder über den Stock-
werken ist el" großer freier Saat unter dem Dachgebälk, an dessen Wänden Schießscharten
von verschiedener Form für Bolzen, und später anch für Feuerwaffen angebracht sind, um
es. Jahrhundert standen wol auch leichtere Geschütze oben. Oft war das Hans noch mit einer
besonderen Ringmauer umgeben, zumal ans dein Lande, wo diese anch den Wirthschafrshos
einschloß. In solchem Landhaus saßen oft mehre Familie" des adligen Geschlechts gedrängt
beieinander, bald Feldarbeiter, bald Räuber, im Jahrhundert aber schon und starkem Ge¬
fühl aristokratischer Privilegien. -- Hans anch tu diesem Sinn ist von "Burg" und "Schloß"
verschiede".

einem wüsten Räuberleben und hausten wie Mordbrenne.' in ihrem eignen
Lande. Bis in daS 16. Jahrhundert hinein währten die innern Händel, Räu¬
bereien, rohe Gewaltthaten, und klägliche Katzbalgereien, bis die Reformation
dem lebhafte» und beweglichen Nolksstamm einen neuen Idealismus, freilich
auch neue Leiden brachte.

Es ist der Anfang dieser bösen Zeit, welchen die folgenden Bilder schil¬
dern. Mit Freude wird man merken, daß über viele Schlechtigkeit und über
eine Wildheit, die wir jetzt kaum noch begreifen, bei beiden Parteien hier
und da die unvertilgbare Güte der menschlichen Natur und der ruhige,
feste Sinn Einzelner sich erhebt. Martin, ,der von jetzt ab erzählt, er¬
scheint selbst als ein treuherziger Mann von gesundem Urtheil, und eS' ist
sehr zu bedauern, daß die hübsche Farbe, welche sein Dialekt der Erzählung
gibt, hier verloren gehen mußte.

„Ais man schrieb nach Christi Geburt 1423, da kamen die Hussen vor die
Stadt Wünschelbnrg an einem Sonnabend und gewannen den Zugang, am
Sonntag um die Vesperzeit mit Uebermacht und brachen durch die Mauern.
Da floh das Volk auf des Vogtes Haus^), das war ein hohes Steinhaus.
Als sie nun darauf kamen, beide Männer und Frauen, zündeten sie selbst die
Stadt an vom Steinhause aus und meinten sich bani- zu retten. Die Böh¬
men aber warteten, bis sich das Feuer gesetzte und gelegie, dann drangen sie
mit Macht an das Steinhaus, nud wollten zu ihnen stürmen und daS Haus
untergraben. Und es kam dazu, daß man miteinander verhandelte, und der
Vogt ließ sich zu den Hussen hinab mit einem blauen rohen Tuche mit ihrem
Willen, er sollte mit ihnen sprechen und verhandeln, ob die Bürger los und
frei von ihnen werden und Herabkommen könnten. Er war überlange da un¬
ten in der Stadt, so daß es den Leuten zu lange währte und zu bange war,
sonderlich dem Pfarrer derselben Stadt — er war des Vogt"S Gevatter —
der ließ herabschreien und rufen, ob der Vogt etwa noch da unten wäre, sollte
er sich offenbaren und melden und ^wieder zu ihnen heraufkomm-n. Darauf



") Hans ohne weiteren Zttsatz bezeichnet auch ein befestigtes Gebäude, in den Städten
die Vogici, ans dem Lande den Sitz des Edelmanns, In solchem Fall ist es von Stein,
die Mauer unten sehr dick, aber zuweilen nicht in Grund ' gesetzt, sondern breit ans der
Oberfläche gelagert, daher leicht zu untergraben. Die Fenster sind dann wohl mit (5ihn»gittern
versehen, und unter dein Dache länft innerhalb der Meiner ein Gang, oder über den Stock-
werken ist el» großer freier Saat unter dem Dachgebälk, an dessen Wänden Schießscharten
von verschiedener Form für Bolzen, und später anch für Feuerwaffen angebracht sind, um
es. Jahrhundert standen wol auch leichtere Geschütze oben. Oft war das Hans noch mit einer
besonderen Ringmauer umgeben, zumal ans dein Lande, wo diese anch den Wirthschafrshos
einschloß. In solchem Landhaus saßen oft mehre Familie» des adligen Geschlechts gedrängt
beieinander, bald Feldarbeiter, bald Räuber, im Jahrhundert aber schon und starkem Ge¬
fühl aristokratischer Privilegien. — Hans anch tu diesem Sinn ist von „Burg" und „Schloß"
verschiede».
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102791"/>
            <p xml:id="ID_666" prev="#ID_665"> einem wüsten Räuberleben und hausten wie Mordbrenne.' in ihrem eignen<lb/>
Lande. Bis in daS 16. Jahrhundert hinein währten die innern Händel, Räu¬<lb/>
bereien, rohe Gewaltthaten, und klägliche Katzbalgereien, bis die Reformation<lb/>
dem lebhafte» und beweglichen Nolksstamm einen neuen Idealismus, freilich<lb/>
auch neue Leiden brachte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_667"> Es ist der Anfang dieser bösen Zeit, welchen die folgenden Bilder schil¬<lb/>
dern. Mit Freude wird man merken, daß über viele Schlechtigkeit und über<lb/>
eine Wildheit, die wir jetzt kaum noch begreifen, bei beiden Parteien hier<lb/>
und da die unvertilgbare Güte der menschlichen Natur und der ruhige,<lb/>
feste Sinn Einzelner sich erhebt. Martin, ,der von jetzt ab erzählt, er¬<lb/>
scheint selbst als ein treuherziger Mann von gesundem Urtheil, und eS' ist<lb/>
sehr zu bedauern, daß die hübsche Farbe, welche sein Dialekt der Erzählung<lb/>
gibt, hier verloren gehen mußte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_668" next="#ID_669"> &#x201E;Ais man schrieb nach Christi Geburt 1423, da kamen die Hussen vor die<lb/>
Stadt Wünschelbnrg an einem Sonnabend und gewannen den Zugang, am<lb/>
Sonntag um die Vesperzeit mit Uebermacht und brachen durch die Mauern.<lb/>
Da floh das Volk auf des Vogtes Haus^), das war ein hohes Steinhaus.<lb/>
Als sie nun darauf kamen, beide Männer und Frauen, zündeten sie selbst die<lb/>
Stadt an vom Steinhause aus und meinten sich bani- zu retten. Die Böh¬<lb/>
men aber warteten, bis sich das Feuer gesetzte und gelegie, dann drangen sie<lb/>
mit Macht an das Steinhaus, nud wollten zu ihnen stürmen und daS Haus<lb/>
untergraben. Und es kam dazu, daß man miteinander verhandelte, und der<lb/>
Vogt ließ sich zu den Hussen hinab mit einem blauen rohen Tuche mit ihrem<lb/>
Willen, er sollte mit ihnen sprechen und verhandeln, ob die Bürger los und<lb/>
frei von ihnen werden und Herabkommen könnten. Er war überlange da un¬<lb/>
ten in der Stadt, so daß es den Leuten zu lange währte und zu bange war,<lb/>
sonderlich dem Pfarrer derselben Stadt &#x2014; er war des Vogt"S Gevatter &#x2014;<lb/>
der ließ herabschreien und rufen, ob der Vogt etwa noch da unten wäre, sollte<lb/>
er sich offenbaren und melden und ^wieder zu ihnen heraufkomm-n. Darauf</p><lb/>
            <note xml:id="FID_17" place="foot"> ") Hans ohne weiteren Zttsatz bezeichnet auch ein befestigtes Gebäude, in den Städten<lb/>
die Vogici, ans dem Lande den Sitz des Edelmanns, In solchem Fall ist es von Stein,<lb/>
die Mauer unten sehr dick, aber zuweilen nicht in Grund ' gesetzt, sondern breit ans der<lb/>
Oberfläche gelagert, daher leicht zu untergraben. Die Fenster sind dann wohl mit (5ihn»gittern<lb/>
versehen, und unter dein Dache länft innerhalb der Meiner ein Gang, oder über den Stock-<lb/>
werken ist el» großer freier Saat unter dem Dachgebälk, an dessen Wänden Schießscharten<lb/>
von verschiedener Form für Bolzen, und später anch für Feuerwaffen angebracht sind, um<lb/>
es. Jahrhundert standen wol auch leichtere Geschütze oben. Oft war das Hans noch mit einer<lb/>
besonderen Ringmauer umgeben, zumal ans dein Lande, wo diese anch den Wirthschafrshos<lb/>
einschloß. In solchem Landhaus saßen oft mehre Familie» des adligen Geschlechts gedrängt<lb/>
beieinander, bald Feldarbeiter, bald Räuber, im Jahrhundert aber schon und starkem Ge¬<lb/>
fühl aristokratischer Privilegien. &#x2014; Hans anch tu diesem Sinn ist von &#x201E;Burg" und &#x201E;Schloß"<lb/>
verschiede».</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0196] einem wüsten Räuberleben und hausten wie Mordbrenne.' in ihrem eignen Lande. Bis in daS 16. Jahrhundert hinein währten die innern Händel, Räu¬ bereien, rohe Gewaltthaten, und klägliche Katzbalgereien, bis die Reformation dem lebhafte» und beweglichen Nolksstamm einen neuen Idealismus, freilich auch neue Leiden brachte. Es ist der Anfang dieser bösen Zeit, welchen die folgenden Bilder schil¬ dern. Mit Freude wird man merken, daß über viele Schlechtigkeit und über eine Wildheit, die wir jetzt kaum noch begreifen, bei beiden Parteien hier und da die unvertilgbare Güte der menschlichen Natur und der ruhige, feste Sinn Einzelner sich erhebt. Martin, ,der von jetzt ab erzählt, er¬ scheint selbst als ein treuherziger Mann von gesundem Urtheil, und eS' ist sehr zu bedauern, daß die hübsche Farbe, welche sein Dialekt der Erzählung gibt, hier verloren gehen mußte. „Ais man schrieb nach Christi Geburt 1423, da kamen die Hussen vor die Stadt Wünschelbnrg an einem Sonnabend und gewannen den Zugang, am Sonntag um die Vesperzeit mit Uebermacht und brachen durch die Mauern. Da floh das Volk auf des Vogtes Haus^), das war ein hohes Steinhaus. Als sie nun darauf kamen, beide Männer und Frauen, zündeten sie selbst die Stadt an vom Steinhause aus und meinten sich bani- zu retten. Die Böh¬ men aber warteten, bis sich das Feuer gesetzte und gelegie, dann drangen sie mit Macht an das Steinhaus, nud wollten zu ihnen stürmen und daS Haus untergraben. Und es kam dazu, daß man miteinander verhandelte, und der Vogt ließ sich zu den Hussen hinab mit einem blauen rohen Tuche mit ihrem Willen, er sollte mit ihnen sprechen und verhandeln, ob die Bürger los und frei von ihnen werden und Herabkommen könnten. Er war überlange da un¬ ten in der Stadt, so daß es den Leuten zu lange währte und zu bange war, sonderlich dem Pfarrer derselben Stadt — er war des Vogt"S Gevatter — der ließ herabschreien und rufen, ob der Vogt etwa noch da unten wäre, sollte er sich offenbaren und melden und ^wieder zu ihnen heraufkomm-n. Darauf ") Hans ohne weiteren Zttsatz bezeichnet auch ein befestigtes Gebäude, in den Städten die Vogici, ans dem Lande den Sitz des Edelmanns, In solchem Fall ist es von Stein, die Mauer unten sehr dick, aber zuweilen nicht in Grund ' gesetzt, sondern breit ans der Oberfläche gelagert, daher leicht zu untergraben. Die Fenster sind dann wohl mit (5ihn»gittern versehen, und unter dein Dache länft innerhalb der Meiner ein Gang, oder über den Stock- werken ist el» großer freier Saat unter dem Dachgebälk, an dessen Wänden Schießscharten von verschiedener Form für Bolzen, und später anch für Feuerwaffen angebracht sind, um es. Jahrhundert standen wol auch leichtere Geschütze oben. Oft war das Hans noch mit einer besonderen Ringmauer umgeben, zumal ans dein Lande, wo diese anch den Wirthschafrshos einschloß. In solchem Landhaus saßen oft mehre Familie» des adligen Geschlechts gedrängt beieinander, bald Feldarbeiter, bald Räuber, im Jahrhundert aber schon und starkem Ge¬ fühl aristokratischer Privilegien. — Hans anch tu diesem Sinn ist von „Burg" und „Schloß" verschiede».

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/196
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/196>, abgerufen am 23.07.2024.