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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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zerren, balanciren auf verschiedene Arten; Männer leisten ihnen diese Dienste.
Bei diesen Bewegungen halten die Mädchen fromme Reden, singen Psalmen
und Gesänge, stellen die Mysterien Christi, besonders seine Passion dar, weis¬
sagen und errathen Geheimnisse. Einer ihrer Anhänger zählte ihrer 6--700
und behauptete, daß sie durch die heftigsten Zuckungen durchaus nicht an¬
gegriffen wurden Und daß es ihnen nicht schädlich, vielmehr heilsam sei, wenn
sie Mit einem Holzscheite 30 bis 40,000mal geschlagen würden. Man tritt
ihnen auf Arme, Brust, Bauch, Schenkel und Beine, bis Mehre Menschen
Mit vollem Gewicht auf ihren Gliedern lasten. Mädchen mit fliegenden Haa¬
ren, Fuße und Beine nackt, der übrige Körper sehr nachlässig bedeckt, einige
in Harlekinstracht oder wenigstens so bizarr gekleidet, wie sie es erfunden
haben, um ihren Rücken, Beine, Kreuz und Hüften besser nackt zeigen zu
können, produciren sich in den unanständigsten Stellungen; einige lassen sich
sogar auf Tüchern prellen, ja eine hat, um die Entblößung Christi am Kreuz
vorzustellen, sich in Gegenwart von Geistlichen ganz entkleidet, eine andere sich
einem Priester gradezu angetragen u. s. w. Ich wage nicht das Uebrige
mitzutheilen, so abscheulich ist es. Man erbaut sich, diese Weiber die Messe
halten, ein Kreuz bilden, Todte machen, das Abendmahl nachahmen zu sehen,
sie waschen den Geistlichen die Füße, nachdem sie verlangt, daß sich dieselben
die Beine ebenfalls entblößten. Einige legen die Hände aus, selbst ans Prie¬
ster, halten Predigten, Gebete oder Reden; es wird dort geweint, heilige
Priester erweichen im Geist und man überschüttet diese Priesterinnen mit spi¬
rituellen, süßlichen Complimenten und Lobsprüchen."

So weit der würdige Erzbischof, nach dessen Schilderung, welche übrigens
durch alle historischen Zeugnisse bestätigt wird, die ganze Sache in einen un¬
erhörten Skandal ausgeartet war. Man darf sich aber Nicht vorstellen, daß
alle Jansenisten die Wunder billigten; viele thaten das nicht, viele verwarfen
die ausgeartete Form der (Konvulsionen und noch mehre die unpassenden Hilfs¬
leistungen. So blieben am Ende nur wenige, welche bis ins ErtreM, wohin
die Sache gediehen war, folgten; von diesen aber suchte nun auch jeder und
jede die anderen zu überbieten; hier warf sich ein Prophet, dort ein anderer
auf, jeder hatte seinen Anhang und nun entzweiten und schimpften sich diese
und enthüllten einer die Betrügereien des anderen. Paris in seiner damaligen
Sittenlosigkeit war der rechte Ort für solche skandalöse Auftritte und eS kamen
die allerärgsten theils widerwärtigen, theils lächerlichen Scenen vor, von denen
wir nur einige und nicht die ärgsten mittheilen werden.

Das Journal des Convulsions, welches von Mole, einem Parlaments-
advocaten, verfaßt sein soll, enthält geistreiche und witzige Beschreibungen von
den Thaten und Schicksalen vieler einzelner Convulsionärs; im Wesentlichen
ist es zuverlässig, wie man aus den Gegenschriften sieht, welche die Haupt-


zerren, balanciren auf verschiedene Arten; Männer leisten ihnen diese Dienste.
Bei diesen Bewegungen halten die Mädchen fromme Reden, singen Psalmen
und Gesänge, stellen die Mysterien Christi, besonders seine Passion dar, weis¬
sagen und errathen Geheimnisse. Einer ihrer Anhänger zählte ihrer 6—700
und behauptete, daß sie durch die heftigsten Zuckungen durchaus nicht an¬
gegriffen wurden Und daß es ihnen nicht schädlich, vielmehr heilsam sei, wenn
sie Mit einem Holzscheite 30 bis 40,000mal geschlagen würden. Man tritt
ihnen auf Arme, Brust, Bauch, Schenkel und Beine, bis Mehre Menschen
Mit vollem Gewicht auf ihren Gliedern lasten. Mädchen mit fliegenden Haa¬
ren, Fuße und Beine nackt, der übrige Körper sehr nachlässig bedeckt, einige
in Harlekinstracht oder wenigstens so bizarr gekleidet, wie sie es erfunden
haben, um ihren Rücken, Beine, Kreuz und Hüften besser nackt zeigen zu
können, produciren sich in den unanständigsten Stellungen; einige lassen sich
sogar auf Tüchern prellen, ja eine hat, um die Entblößung Christi am Kreuz
vorzustellen, sich in Gegenwart von Geistlichen ganz entkleidet, eine andere sich
einem Priester gradezu angetragen u. s. w. Ich wage nicht das Uebrige
mitzutheilen, so abscheulich ist es. Man erbaut sich, diese Weiber die Messe
halten, ein Kreuz bilden, Todte machen, das Abendmahl nachahmen zu sehen,
sie waschen den Geistlichen die Füße, nachdem sie verlangt, daß sich dieselben
die Beine ebenfalls entblößten. Einige legen die Hände aus, selbst ans Prie¬
ster, halten Predigten, Gebete oder Reden; es wird dort geweint, heilige
Priester erweichen im Geist und man überschüttet diese Priesterinnen mit spi¬
rituellen, süßlichen Complimenten und Lobsprüchen."

So weit der würdige Erzbischof, nach dessen Schilderung, welche übrigens
durch alle historischen Zeugnisse bestätigt wird, die ganze Sache in einen un¬
erhörten Skandal ausgeartet war. Man darf sich aber Nicht vorstellen, daß
alle Jansenisten die Wunder billigten; viele thaten das nicht, viele verwarfen
die ausgeartete Form der (Konvulsionen und noch mehre die unpassenden Hilfs¬
leistungen. So blieben am Ende nur wenige, welche bis ins ErtreM, wohin
die Sache gediehen war, folgten; von diesen aber suchte nun auch jeder und
jede die anderen zu überbieten; hier warf sich ein Prophet, dort ein anderer
auf, jeder hatte seinen Anhang und nun entzweiten und schimpften sich diese
und enthüllten einer die Betrügereien des anderen. Paris in seiner damaligen
Sittenlosigkeit war der rechte Ort für solche skandalöse Auftritte und eS kamen
die allerärgsten theils widerwärtigen, theils lächerlichen Scenen vor, von denen
wir nur einige und nicht die ärgsten mittheilen werden.

Das Journal des Convulsions, welches von Mole, einem Parlaments-
advocaten, verfaßt sein soll, enthält geistreiche und witzige Beschreibungen von
den Thaten und Schicksalen vieler einzelner Convulsionärs; im Wesentlichen
ist es zuverlässig, wie man aus den Gegenschriften sieht, welche die Haupt-


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[0162] zerren, balanciren auf verschiedene Arten; Männer leisten ihnen diese Dienste. Bei diesen Bewegungen halten die Mädchen fromme Reden, singen Psalmen und Gesänge, stellen die Mysterien Christi, besonders seine Passion dar, weis¬ sagen und errathen Geheimnisse. Einer ihrer Anhänger zählte ihrer 6—700 und behauptete, daß sie durch die heftigsten Zuckungen durchaus nicht an¬ gegriffen wurden Und daß es ihnen nicht schädlich, vielmehr heilsam sei, wenn sie Mit einem Holzscheite 30 bis 40,000mal geschlagen würden. Man tritt ihnen auf Arme, Brust, Bauch, Schenkel und Beine, bis Mehre Menschen Mit vollem Gewicht auf ihren Gliedern lasten. Mädchen mit fliegenden Haa¬ ren, Fuße und Beine nackt, der übrige Körper sehr nachlässig bedeckt, einige in Harlekinstracht oder wenigstens so bizarr gekleidet, wie sie es erfunden haben, um ihren Rücken, Beine, Kreuz und Hüften besser nackt zeigen zu können, produciren sich in den unanständigsten Stellungen; einige lassen sich sogar auf Tüchern prellen, ja eine hat, um die Entblößung Christi am Kreuz vorzustellen, sich in Gegenwart von Geistlichen ganz entkleidet, eine andere sich einem Priester gradezu angetragen u. s. w. Ich wage nicht das Uebrige mitzutheilen, so abscheulich ist es. Man erbaut sich, diese Weiber die Messe halten, ein Kreuz bilden, Todte machen, das Abendmahl nachahmen zu sehen, sie waschen den Geistlichen die Füße, nachdem sie verlangt, daß sich dieselben die Beine ebenfalls entblößten. Einige legen die Hände aus, selbst ans Prie¬ ster, halten Predigten, Gebete oder Reden; es wird dort geweint, heilige Priester erweichen im Geist und man überschüttet diese Priesterinnen mit spi¬ rituellen, süßlichen Complimenten und Lobsprüchen." So weit der würdige Erzbischof, nach dessen Schilderung, welche übrigens durch alle historischen Zeugnisse bestätigt wird, die ganze Sache in einen un¬ erhörten Skandal ausgeartet war. Man darf sich aber Nicht vorstellen, daß alle Jansenisten die Wunder billigten; viele thaten das nicht, viele verwarfen die ausgeartete Form der (Konvulsionen und noch mehre die unpassenden Hilfs¬ leistungen. So blieben am Ende nur wenige, welche bis ins ErtreM, wohin die Sache gediehen war, folgten; von diesen aber suchte nun auch jeder und jede die anderen zu überbieten; hier warf sich ein Prophet, dort ein anderer auf, jeder hatte seinen Anhang und nun entzweiten und schimpften sich diese und enthüllten einer die Betrügereien des anderen. Paris in seiner damaligen Sittenlosigkeit war der rechte Ort für solche skandalöse Auftritte und eS kamen die allerärgsten theils widerwärtigen, theils lächerlichen Scenen vor, von denen wir nur einige und nicht die ärgsten mittheilen werden. Das Journal des Convulsions, welches von Mole, einem Parlaments- advocaten, verfaßt sein soll, enthält geistreiche und witzige Beschreibungen von den Thaten und Schicksalen vieler einzelner Convulsionärs; im Wesentlichen ist es zuverlässig, wie man aus den Gegenschriften sieht, welche die Haupt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/162>, abgerufen am 23.07.2024.