Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kleine Burgen erheben. Einförmig, reichlich und tüchtig ist alles, was sicht¬
bar wird. Mit Mühe wenden sechsspännige Pflüge den schweren Boden,
fetter Weizen steht neben fettem Raps und fetten Bohnen, Auf den Weide¬
plätzen grast zahlloses Vieh, das gegen den Herbst hin den Talg der Nieren
und Wammen kaum noch zu tragen vermag. Auch die Körper der Menschen
zeigen häufiger als anderwärts eine ungewöhnliche Fülle. -- Noch weiter
westlich, jenseits der Haffdeiche, welche das Land wie eine riesenhafte Schanze
umgürten, streckt sich während der Ebbe die schlammige Welt der Watten,
während der Flut die nimmerruhende Nordsee, aus der die Bruchstücke des
alten Strandes, Sylt, Föhr, Pellworm und die Halligen auftauchen.

All diese Landschaftsbilder hat der Verfasser mit Liebe für das Detail,
Sorgfalt und Sauberkeit ausgeführt und geschickt in Nahmen gebracht. Dasselbe
gilt von seiner Charakteristik der Landesbewohner, unter denen er, wie uns
scheint mit Recht, den Bauern und Edelleuten besondere Aufmerksamkeit an-
gedeihen läßt.

Ein nationaler Unterschied zwischen den Einwohnern Schleswigs und
Holsteins, wie er hin und wieder behauptet worden ist, eristirt nicht, wol
aber findet ein solcher zwischen den schwerfälligem Marschleuten und den leb¬
hafteren Bewohnern der Geest und zwischen den verschiedenen Stämmen statt,
welche namentlich in Schleswig politisch vereinigt sind. Holstein nicht nur,
sondern auch Schleswig bis zur Schlei und dem Dannewerk ist von Sachsen
bewohnt demselben deutschen Stamme, der die Striche zwischen dem untern
Laufe der Elbe und Weser inne hat. Die Wagner im Südosten Holsteins
haben ihre slawische Nationalität, und Sprache längst aufgegeben und sind
von ihren Nachbarn nicht mehr zu unterscheiden. Die Propsteier, deren
Hauptfest, den Pingstfriidag, einer der Briefe ausführlich beschreibt, zeichne"
sich nur durch Neste einer eigenthümlichen Tracht vor den übrigen Holsteinern
aus, sonst wohnen sie in demselben Hause wie der Niedersachse, haben gleiche
Sitten, die gleiche Art, ihr Land zu bewirthschaften, denselben vorwiegend
verständigen, leidenschaftslosen, nüchternen, in allen Beziehungen aufs Prak¬
tische gerichteten Sinn, und dieselbe Bedächtigkeit im Ueberlegen und Ent¬
schließen, welche -- nicht recht genau -- als Phlegma bezeichnet wird. Die nächsten
nördlichen Nachbarn der Sachsen sind die Angler, deren Charakteristik bis ins
Einzelne ausgeführt ist, einestheils wol, weil sie einer der interessantesten
Stämme der Halbinsel sind, anderntheils, weil sie von der dänischenMaßregel,
Entnationalisirung der Kirche und Schule, am empfindlichsten betroffen werden.
Sie sind ein Mischvolk aus Resten der alten Angeln, von Norden eingewan¬
derten Juden und von Süden heraufgezogenen Sachsen, von ven Dänen der
Mehrzahl nach für ihre Nationalität, reclamirt und darnach behandelt, in der
Wirklichkeit aber zu nichr als neun Zehntheilen schon seit Jahrzehnten durch-


kleine Burgen erheben. Einförmig, reichlich und tüchtig ist alles, was sicht¬
bar wird. Mit Mühe wenden sechsspännige Pflüge den schweren Boden,
fetter Weizen steht neben fettem Raps und fetten Bohnen, Auf den Weide¬
plätzen grast zahlloses Vieh, das gegen den Herbst hin den Talg der Nieren
und Wammen kaum noch zu tragen vermag. Auch die Körper der Menschen
zeigen häufiger als anderwärts eine ungewöhnliche Fülle. — Noch weiter
westlich, jenseits der Haffdeiche, welche das Land wie eine riesenhafte Schanze
umgürten, streckt sich während der Ebbe die schlammige Welt der Watten,
während der Flut die nimmerruhende Nordsee, aus der die Bruchstücke des
alten Strandes, Sylt, Föhr, Pellworm und die Halligen auftauchen.

All diese Landschaftsbilder hat der Verfasser mit Liebe für das Detail,
Sorgfalt und Sauberkeit ausgeführt und geschickt in Nahmen gebracht. Dasselbe
gilt von seiner Charakteristik der Landesbewohner, unter denen er, wie uns
scheint mit Recht, den Bauern und Edelleuten besondere Aufmerksamkeit an-
gedeihen läßt.

Ein nationaler Unterschied zwischen den Einwohnern Schleswigs und
Holsteins, wie er hin und wieder behauptet worden ist, eristirt nicht, wol
aber findet ein solcher zwischen den schwerfälligem Marschleuten und den leb¬
hafteren Bewohnern der Geest und zwischen den verschiedenen Stämmen statt,
welche namentlich in Schleswig politisch vereinigt sind. Holstein nicht nur,
sondern auch Schleswig bis zur Schlei und dem Dannewerk ist von Sachsen
bewohnt demselben deutschen Stamme, der die Striche zwischen dem untern
Laufe der Elbe und Weser inne hat. Die Wagner im Südosten Holsteins
haben ihre slawische Nationalität, und Sprache längst aufgegeben und sind
von ihren Nachbarn nicht mehr zu unterscheiden. Die Propsteier, deren
Hauptfest, den Pingstfriidag, einer der Briefe ausführlich beschreibt, zeichne»
sich nur durch Neste einer eigenthümlichen Tracht vor den übrigen Holsteinern
aus, sonst wohnen sie in demselben Hause wie der Niedersachse, haben gleiche
Sitten, die gleiche Art, ihr Land zu bewirthschaften, denselben vorwiegend
verständigen, leidenschaftslosen, nüchternen, in allen Beziehungen aufs Prak¬
tische gerichteten Sinn, und dieselbe Bedächtigkeit im Ueberlegen und Ent¬
schließen, welche — nicht recht genau — als Phlegma bezeichnet wird. Die nächsten
nördlichen Nachbarn der Sachsen sind die Angler, deren Charakteristik bis ins
Einzelne ausgeführt ist, einestheils wol, weil sie einer der interessantesten
Stämme der Halbinsel sind, anderntheils, weil sie von der dänischenMaßregel,
Entnationalisirung der Kirche und Schule, am empfindlichsten betroffen werden.
Sie sind ein Mischvolk aus Resten der alten Angeln, von Norden eingewan¬
derten Juden und von Süden heraufgezogenen Sachsen, von ven Dänen der
Mehrzahl nach für ihre Nationalität, reclamirt und darnach behandelt, in der
Wirklichkeit aber zu nichr als neun Zehntheilen schon seit Jahrzehnten durch-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102607"/>
          <p xml:id="ID_16" prev="#ID_15"> kleine Burgen erheben. Einförmig, reichlich und tüchtig ist alles, was sicht¬<lb/>
bar wird. Mit Mühe wenden sechsspännige Pflüge den schweren Boden,<lb/>
fetter Weizen steht neben fettem Raps und fetten Bohnen, Auf den Weide¬<lb/>
plätzen grast zahlloses Vieh, das gegen den Herbst hin den Talg der Nieren<lb/>
und Wammen kaum noch zu tragen vermag. Auch die Körper der Menschen<lb/>
zeigen häufiger als anderwärts eine ungewöhnliche Fülle. &#x2014; Noch weiter<lb/>
westlich, jenseits der Haffdeiche, welche das Land wie eine riesenhafte Schanze<lb/>
umgürten, streckt sich während der Ebbe die schlammige Welt der Watten,<lb/>
während der Flut die nimmerruhende Nordsee, aus der die Bruchstücke des<lb/>
alten Strandes, Sylt, Föhr, Pellworm und die Halligen auftauchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_17"> All diese Landschaftsbilder hat der Verfasser mit Liebe für das Detail,<lb/>
Sorgfalt und Sauberkeit ausgeführt und geschickt in Nahmen gebracht. Dasselbe<lb/>
gilt von seiner Charakteristik der Landesbewohner, unter denen er, wie uns<lb/>
scheint mit Recht, den Bauern und Edelleuten besondere Aufmerksamkeit an-<lb/>
gedeihen läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_18" next="#ID_19"> Ein nationaler Unterschied zwischen den Einwohnern Schleswigs und<lb/>
Holsteins, wie er hin und wieder behauptet worden ist, eristirt nicht, wol<lb/>
aber findet ein solcher zwischen den schwerfälligem Marschleuten und den leb¬<lb/>
hafteren Bewohnern der Geest und zwischen den verschiedenen Stämmen statt,<lb/>
welche namentlich in Schleswig politisch vereinigt sind. Holstein nicht nur,<lb/>
sondern auch Schleswig bis zur Schlei und dem Dannewerk ist von Sachsen<lb/>
bewohnt demselben deutschen Stamme, der die Striche zwischen dem untern<lb/>
Laufe der Elbe und Weser inne hat. Die Wagner im Südosten Holsteins<lb/>
haben ihre slawische Nationalität, und Sprache längst aufgegeben und sind<lb/>
von ihren Nachbarn nicht mehr zu unterscheiden. Die Propsteier, deren<lb/>
Hauptfest, den Pingstfriidag, einer der Briefe ausführlich beschreibt, zeichne»<lb/>
sich nur durch Neste einer eigenthümlichen Tracht vor den übrigen Holsteinern<lb/>
aus, sonst wohnen sie in demselben Hause wie der Niedersachse, haben gleiche<lb/>
Sitten, die gleiche Art, ihr Land zu bewirthschaften, denselben vorwiegend<lb/>
verständigen, leidenschaftslosen, nüchternen, in allen Beziehungen aufs Prak¬<lb/>
tische gerichteten Sinn, und dieselbe Bedächtigkeit im Ueberlegen und Ent¬<lb/>
schließen, welche &#x2014; nicht recht genau &#x2014; als Phlegma bezeichnet wird. Die nächsten<lb/>
nördlichen Nachbarn der Sachsen sind die Angler, deren Charakteristik bis ins<lb/>
Einzelne ausgeführt ist, einestheils wol, weil sie einer der interessantesten<lb/>
Stämme der Halbinsel sind, anderntheils, weil sie von der dänischenMaßregel,<lb/>
Entnationalisirung der Kirche und Schule, am empfindlichsten betroffen werden.<lb/>
Sie sind ein Mischvolk aus Resten der alten Angeln, von Norden eingewan¬<lb/>
derten Juden und von Süden heraufgezogenen Sachsen, von ven Dänen der<lb/>
Mehrzahl nach für ihre Nationalität, reclamirt und darnach behandelt, in der<lb/>
Wirklichkeit aber zu nichr als neun Zehntheilen schon seit Jahrzehnten durch-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] kleine Burgen erheben. Einförmig, reichlich und tüchtig ist alles, was sicht¬ bar wird. Mit Mühe wenden sechsspännige Pflüge den schweren Boden, fetter Weizen steht neben fettem Raps und fetten Bohnen, Auf den Weide¬ plätzen grast zahlloses Vieh, das gegen den Herbst hin den Talg der Nieren und Wammen kaum noch zu tragen vermag. Auch die Körper der Menschen zeigen häufiger als anderwärts eine ungewöhnliche Fülle. — Noch weiter westlich, jenseits der Haffdeiche, welche das Land wie eine riesenhafte Schanze umgürten, streckt sich während der Ebbe die schlammige Welt der Watten, während der Flut die nimmerruhende Nordsee, aus der die Bruchstücke des alten Strandes, Sylt, Föhr, Pellworm und die Halligen auftauchen. All diese Landschaftsbilder hat der Verfasser mit Liebe für das Detail, Sorgfalt und Sauberkeit ausgeführt und geschickt in Nahmen gebracht. Dasselbe gilt von seiner Charakteristik der Landesbewohner, unter denen er, wie uns scheint mit Recht, den Bauern und Edelleuten besondere Aufmerksamkeit an- gedeihen läßt. Ein nationaler Unterschied zwischen den Einwohnern Schleswigs und Holsteins, wie er hin und wieder behauptet worden ist, eristirt nicht, wol aber findet ein solcher zwischen den schwerfälligem Marschleuten und den leb¬ hafteren Bewohnern der Geest und zwischen den verschiedenen Stämmen statt, welche namentlich in Schleswig politisch vereinigt sind. Holstein nicht nur, sondern auch Schleswig bis zur Schlei und dem Dannewerk ist von Sachsen bewohnt demselben deutschen Stamme, der die Striche zwischen dem untern Laufe der Elbe und Weser inne hat. Die Wagner im Südosten Holsteins haben ihre slawische Nationalität, und Sprache längst aufgegeben und sind von ihren Nachbarn nicht mehr zu unterscheiden. Die Propsteier, deren Hauptfest, den Pingstfriidag, einer der Briefe ausführlich beschreibt, zeichne» sich nur durch Neste einer eigenthümlichen Tracht vor den übrigen Holsteinern aus, sonst wohnen sie in demselben Hause wie der Niedersachse, haben gleiche Sitten, die gleiche Art, ihr Land zu bewirthschaften, denselben vorwiegend verständigen, leidenschaftslosen, nüchternen, in allen Beziehungen aufs Prak¬ tische gerichteten Sinn, und dieselbe Bedächtigkeit im Ueberlegen und Ent¬ schließen, welche — nicht recht genau — als Phlegma bezeichnet wird. Die nächsten nördlichen Nachbarn der Sachsen sind die Angler, deren Charakteristik bis ins Einzelne ausgeführt ist, einestheils wol, weil sie einer der interessantesten Stämme der Halbinsel sind, anderntheils, weil sie von der dänischenMaßregel, Entnationalisirung der Kirche und Schule, am empfindlichsten betroffen werden. Sie sind ein Mischvolk aus Resten der alten Angeln, von Norden eingewan¬ derten Juden und von Süden heraufgezogenen Sachsen, von ven Dänen der Mehrzahl nach für ihre Nationalität, reclamirt und darnach behandelt, in der Wirklichkeit aber zu nichr als neun Zehntheilen schon seit Jahrzehnten durch-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/12
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/12>, abgerufen am 23.07.2024.