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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Frievrich dem Großen würde es bei dem Verfasser, wenn ihm der Gegenstand
nahe läge, nicht viel besser gehen; wenigstens deuten einzelne Aeußerungen
darauf hin. Am schlimmsten sind die cynischen Ausdrücke, in denen sich der
Verfasser gefällt. Nebenbei geht er in der Kritik der Thatsachen nicht sorg¬
fältig genug zu Werke. Für die Zeit des siebenjährigen Krieges sucht er die
Ansicht durchzuführen, daß es den Russen mit ihrer Betheiligung kein Ernst
war, daß die russischen Generale den geheimen Befehl hatten, Friedrich so viel
als möglich zu schonen und die beiden deutschen Mächte sich einander auf¬
reiben zu lassen. Die ursprüngliche Quelle dieser Auffassung sind französische
Gesandtschaftöberichte von sehr zweifelhaftem Werth. Hat man so etwas aber
einmal festgestellt, so gewinnen die Thatsachen eine ganz andere Beleuchtung.
Noch auffallender wird die Sache, als der bekannte Moment eintritt, wo nach
der Ermordung Peters Hi. General Tschernitscheff im Begriff ist, sich mit den
Oestreichern zu verbinden, aber durch ein geheimes Gespräch mit Friedrich
dem Großen daran verhindert wird. Was war der Inhalt dieses Gesprächs?
Sugenheim macht die höchst überraschende Entdeckung, daß Katharine II.
Friedrichs des Großen Tochter war, und daß die Mittheilung dieses Umstandes
den russischen General zur Neutralität bewog. Um eine so unerhörte Be¬
hauptung aufzustellen, sind die Gründe, die er anführt, doch nicht schlagend
genug; trotzdem betrachtet er es als eine ganz ausgemachte Thatsache. -- Für
den Klatsch jener Zeit ist übrigens das Buch eine nicht zu umgehende Quelle.
Einen ganz andern Charakter hat das Werk des verstorbenen Aveken:
Der Eintritt der Türkei in die europäische Politik des 18. Jahrhunderts. Mit-
einem Vorwort von Stüve. (Berlin, Herz.) ES umfaßt dieselbe Zeit 1699--1768.
Aber es ist eine höchst solid und gründlich gearbeitete Monographie, von der
wir sehr bedauern, daß es dem Verfasser nicht vergönnt war, sie seiner Absicht
nach bis zur französischen Revolution fortzusetzen. In Betreff der Zusammen-.
Stellung des Materials ist sie die zweckmäßigste Schrift für die Geschichte dieser,
Zeit und beruht dabei zum Theil auf selbstständigen Forschungen. -- Noch
erwähnen wir daS von uns bereits besprochene Buch von Nöpell: Die
orientalische Frage in ihrer geschichtlichen Entwicklung (177^ -- 1830). Breslau,
Trewendt und Graner. -- Nach einer andern Seite hin wird die orientalische
Frage in dem Werk von La llerstedt behandelt: l^a ScüiliZinavie, 8es er^indes
se Los czsperanLss. l^aris, Dsntu. Das Buch ist zwar zunächst eine Partei,
Schuft, es sucht nachzuweisen, wie groß das Interesse ist, welches Schweden an
der Demüthigung Rußlands nehmen muß, weil es nur dadurch eine staatliche
Unabhängigkeit gewinnen kann. Sehr zu bedauern ist die Einseitigkeit, mit
welcher der Verfasser sür die Eiderdänen Partei nimmt, wenn er sich auch sehr
entschieden gegen den russischen Einfluß auf Dänemark und gegen die Be¬
günstigung desselben im londoner Protokoll ausspricht. Der Verfasser, ein ge-


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Frievrich dem Großen würde es bei dem Verfasser, wenn ihm der Gegenstand
nahe läge, nicht viel besser gehen; wenigstens deuten einzelne Aeußerungen
darauf hin. Am schlimmsten sind die cynischen Ausdrücke, in denen sich der
Verfasser gefällt. Nebenbei geht er in der Kritik der Thatsachen nicht sorg¬
fältig genug zu Werke. Für die Zeit des siebenjährigen Krieges sucht er die
Ansicht durchzuführen, daß es den Russen mit ihrer Betheiligung kein Ernst
war, daß die russischen Generale den geheimen Befehl hatten, Friedrich so viel
als möglich zu schonen und die beiden deutschen Mächte sich einander auf¬
reiben zu lassen. Die ursprüngliche Quelle dieser Auffassung sind französische
Gesandtschaftöberichte von sehr zweifelhaftem Werth. Hat man so etwas aber
einmal festgestellt, so gewinnen die Thatsachen eine ganz andere Beleuchtung.
Noch auffallender wird die Sache, als der bekannte Moment eintritt, wo nach
der Ermordung Peters Hi. General Tschernitscheff im Begriff ist, sich mit den
Oestreichern zu verbinden, aber durch ein geheimes Gespräch mit Friedrich
dem Großen daran verhindert wird. Was war der Inhalt dieses Gesprächs?
Sugenheim macht die höchst überraschende Entdeckung, daß Katharine II.
Friedrichs des Großen Tochter war, und daß die Mittheilung dieses Umstandes
den russischen General zur Neutralität bewog. Um eine so unerhörte Be¬
hauptung aufzustellen, sind die Gründe, die er anführt, doch nicht schlagend
genug; trotzdem betrachtet er es als eine ganz ausgemachte Thatsache. — Für
den Klatsch jener Zeit ist übrigens das Buch eine nicht zu umgehende Quelle.
Einen ganz andern Charakter hat das Werk des verstorbenen Aveken:
Der Eintritt der Türkei in die europäische Politik des 18. Jahrhunderts. Mit-
einem Vorwort von Stüve. (Berlin, Herz.) ES umfaßt dieselbe Zeit 1699—1768.
Aber es ist eine höchst solid und gründlich gearbeitete Monographie, von der
wir sehr bedauern, daß es dem Verfasser nicht vergönnt war, sie seiner Absicht
nach bis zur französischen Revolution fortzusetzen. In Betreff der Zusammen-.
Stellung des Materials ist sie die zweckmäßigste Schrift für die Geschichte dieser,
Zeit und beruht dabei zum Theil auf selbstständigen Forschungen. — Noch
erwähnen wir daS von uns bereits besprochene Buch von Nöpell: Die
orientalische Frage in ihrer geschichtlichen Entwicklung (177^ — 1830). Breslau,
Trewendt und Graner. — Nach einer andern Seite hin wird die orientalische
Frage in dem Werk von La llerstedt behandelt: l^a ScüiliZinavie, 8es er^indes
se Los czsperanLss. l^aris, Dsntu. Das Buch ist zwar zunächst eine Partei,
Schuft, es sucht nachzuweisen, wie groß das Interesse ist, welches Schweden an
der Demüthigung Rußlands nehmen muß, weil es nur dadurch eine staatliche
Unabhängigkeit gewinnen kann. Sehr zu bedauern ist die Einseitigkeit, mit
welcher der Verfasser sür die Eiderdänen Partei nimmt, wenn er sich auch sehr
entschieden gegen den russischen Einfluß auf Dänemark und gegen die Be¬
günstigung desselben im londoner Protokoll ausspricht. Der Verfasser, ein ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/97>, abgerufen am 05.07.2024.